Die Analgesie großer Pferde


Frau Gundelfindes Hausarzt hatte beschlossen, dass das unspezifische Fieber seiner Patientin unbedingt krankenhäuslich behandelt werden sollte. Zack landete Frau Gundelfinde in unserer Aufnahme. Frau Gundelfinde, im höheren Stadium der Demenz, hatte keinen Bock auf irgendetwas und rief meistens einfach laut: „AHHHHAaaahhhaaa“ Mein Stethoskop fand sie besonders dumm, was dann ein etwas lauteres „AAAAHAHHAA!“ produzierte und sämtlich Herztöne überlagerte. Immerhin musste sie zwischendurch tief Luft holen. Hmhm, Lunge: gut belüftet.

Frau Gundelfinde pendelte sich dann wieder auf ein mittellautes „aahAAhhaaaaa“ ein und ich beschloss einen Aufnahmebogen auszufüllen, auf dass Frau Gundelfinde bald auf Station und dort ihre neuen Bettnachbarn in den Wahnsinn treiben könnte.

„Ja und jetzt?“ rief da die neue Praktikantin der Notaufnahme, „kriegt sie jetzt Schmerzmittel, das man auch problemlos zur Analgesie eines großen Pferdes verwenden könnte?“

„Hä, warum das denn?“ fragte ich. „Erhoffen wir uns dadurch, dass sie aufhört zu atmen und in einen ähm tiefen Schlaf fällt?“ (Bo, ich war in echt viel netter. Und verwirrter.)  

„Na sie hat doch Schmerzen!“ rief die Praktikantin.

Ich schaute prüfend auf Frau Gundelfinde, die entspannt unter ihrer Decke lag und nun leise „AAaahhaaaHHHaaa“ murmelte.

„Nein!“ sagte ich dann, „nein. Keine Schmerzen. Das ist ein typisches Protest-Demenz-AAAAhhAA. Nein, kein Schmerzmittel… Und schon gar nicht dieses.“

Mister Zuhäggi


Es war mal wieder mitten in der Nacht zu einer Uhrzeit, bei der es immer stockdunkel ist. Die Nachtschwester rief an: „Sorry, mein Patient der will unbedingt einen Arzt sprechen. Gerade hat er sich auf den Boden geworfen und will da rumliegen bis einer kommt.“
Wie so oft in der Nacht fühlte ich mich jetzt nicht so superfit und wandelte mit einem Schlafdefizit äquivalent zu 1 Promille Alkohol zur Station.

Den Patient sah ich schon von weitem im Flur liegen. Ich griff nach der von der Schwester dargereichten Akte. Herr Zhuieiggi. Aktuell eingewandert aus einem Land, dessen Sprache ich nicht mächtig war. Niemand im ganzen Krankenhaus würde diese Sprache sprechen. Herr Zhuieiggi hatte günstigerweise seinen Einwanderungszettel mitgebracht, der angab er würde außer abgefahrener-Sprache-von-deren-Existenz-ich-zuvor-nicht-geahnt-hatte, russisch und portugiesisch sowie Englisch sprechen. Meiner bisherigen Erfahrung nach waren diese Aussagen jedoch eher großzügig ausgelegt. Wenn da stand „Sprachkenntnisse: Englisch“, dann hieß das, der Patient kann „Hello“ und „I’don’t understand“ sagen.

Ich trat also neben Herrn Zhuieiggi, der zu viel Alkohol konsumiert hatte und weiter auf dem Boden lag.

„Hi. I’m the doctor. Ähm.”

Herr Zhuieiggi stöhnte missmutig.

“Mister Zuhäggi (hier versuchte ich verzweifelt den Patienten beim Namen zu nennen, für eine bessere Arzt-Patientenbeziehung, inständig hoffend, den ungefähren Klang des Namens zu treffen.) Mister Zuhäggi, WARUM … WHY are you lying on the floor?”

Herr Zhuieiggi deutete nun an, dass es ihm schlecht war und er daran gedachte sich bald zu erbrechen. Die Schwester brachte eine Schüssel. Herr Zhuieiggi erbrach sich.

Ich versprach eine Infusion gegen Übelkeit. Dann gestikulierte ich wild in Richtung Patientenbett: „Maybe you go back to bed now?“

Herr Zhuieiggi stöhnt nochmal und stieg schließlich, meiner Arztautorität folgend, zurück ins Bett.

Ich ging dann auch ein Bett für mich suchen.

Die Lunge der Frau Rozohdon


Frau Rozohdon rauchte seit ihrem 7.Lebensjahr. (Na gut eigentlich hatte sie erst 10 Jahre später damit angefangen, dies aber durch die Menge an Zigaretten wettgemacht). Ab einem gewissen Punkt hatte das Frau Rozohdons Lunge nicht mehr mitgemacht und eine sogenannte COPD produziert, eine Krankheit an der man ganz bestimmt nicht sterben möchte und die dazu führte, dass Frau Rozohdon konstant an Atemnot litt. Manchmal auch besonders viel Atemnot und deswegen lag Frau Rozohdon nun auf meiner Station.

Wir begannen eine großartige Kombination an Sprays voller Kortison und Infusionen voller Kortison, sowie Medikamenten, die die Bronchien weiten sollten und als Nebenwirkung den Pulsschlag in interessante Höhen beschleunigen können.

Frau Rozohdon fühlte sich dann etwas besser und fragte ob wir ihr für zuhause ein mobiles Sauerstoffgerät besorgen könnten. Sie hätte da schon so einen Sauerstoffkonzentrator, aber der wäre zu groß um nach draußen zugehen.

Da die Blutgasanalyse trotz Kortison in Dosen, bei denen Frau Rozohdon vermutlich Nachts gar nicht mehr schlief und auch gleich Amphetamine hätte nehmen können, das hat auch einen weitenden Effekt auf die Bronchien, ähm, also unsere Blutgasanalyse zeigte viel zu wenig Sauerstoff und zu viel Kohlenstoffdioxid in unserer Patientin Blut und so beschlossen wir ein transportables Flüssigsauerstoffgerät zu beantragen. Ich füllte ein Formular aus.

„WAAAS?!“ rief die freundliche Dame vom Sozialdienst und wedelte mit dem Antrag herum, „bist du noch ganz bei Trost?“
„Warum?“

„Die Frau Rozohdon treffe ich immer draußen beim Rauchen!“
„Oh“.

Ich ging also hin zu Frau Rozohdon und erklärte, dass das so nicht ginge. Flüssigsauerstoff ist brennbar. Gut brennbar. Vermutlich auch gut explodierbar. Gleichzeitig Rauchen und ein Flüssigsauerstoffgerät zu benutzen ist prinzipiell nicht empfehlenswert. Ganz davon abgesehen, dass es paradox wäre, ihr nun so ein mobiles Flüssigkeitssauerstoffgerät zu besorgen nur damit sie weiterhin regelmäßig zum Rauchen könne.

Frau Rozohdon sagte, das sei gemein und ignorierte meine überzeugenden Argumente wie: „Sie könnten schwer verletzt werden!“ „Sie brennen ihr Haus ab!“ und „Sie werden unauffällige Passanten in der Explosion umbringen!“

Sie entschied sich dann für’s weiterrauchen, ging heim und um unsere ablehnende Entscheidung bezüglich des Flüssigsauerstoffs zu begründen, verwendete ich zum ersten Mal die Wörter „Brand- und Explosionsgefahr“ in einem Arztbrief.

Ausgelagert


Herr Horgg war ein internistischer Patient mit einer typisch internistischen Erkrankung, die ich vergessen habe. Kardiale Dekompensation oder so.

Nun war Herr Horgg an einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt gekommen, nämlich dem Zeitpunkt, an welchem alle Betten in den internistischen Abteilungen schon von einer Unzahl anderer internistischen Patienten besetzt waren.

Da nun die Unfallchirurgen gerade unter einer Flaute an Schenkelhalsbrüchen litten und somit ein, zwei freie Betten hatten, gaben sie uns freundlicherweise eins ab und wir legten Herrn Horgg in die unfallchirurgische Abteilung. Selbstverständlich würde sich hier kein unfallchirurgischer Arzt um ihn kümmern. Stattdessen wird ein Internist abgestellt, der nun zusätzlich zu seiner normalen Stationsarbeit, zwei Mal am Tag quer durchs Krankenhaus joggt, mehrere Stockwerke durchquerend, ihm unbekannte Stationszimmer nach Akten und Kurven durchsuchend um Herrn Horgg und mögliche weitere so ausgelagerte, internistische Patienten zu betreuen. Dies ist offensichtlich nicht die beste Betreuung, die ein Patient haben kann. Der internistische Arzt schimpft mit den chirurgischen Schwester: „Täglich wiegen habe ich gesagt!“ „Aber wir wiegen unsere Patienten nie!“ „AHHHRGHL WIEGEN!! Wie soll ich denn sonst wissen ob die Wassertabletten anschlagen!“

Und die chirurgischen Schwestern, die sich nicht merken können, welcher der ständig wechselnden Internisten nun zuständig ist, rufen bei Problemen willkürlich irgendwelche sich zumindest internistisch anhörenden Ärzte an, was sie denn nun tun sollen.

Deswegen waren wir froh, als endlich ein Bett auf der kardiologischen Station frei wurde und wir Herrn Horgg auf eine ordentliche internistische Station verlegen konnten.

„GRM!“ schimpfte Herr Horgg, das sei ja ein schreckliches Zimmer, ob er nicht wieder zurück könne?!
„Aber hier sind sie jetzt viel besser betreut!“ rief ich erstaunt.

„Aber das Zimmer! Ganz schrecklich!“
„Hm ich verstehe sie nicht Herr Horgg. Sie haben hier sogar einen Balkon!“
„Grrr“, sagte Herr Horgg und rückte schließlich mit der Wahrheit heraus, „hier habe ich keinen Internet-Empfang für mein Handy!“

„Oh.“


Sitzblockade


Herr Koslow hatte keine Lust. Nachdem die Chirurgen erst seine verärgerte Gallenblase herausoperiert hatten, hatte er irgendein internistisches Problem entwickelt und lag nun auf meiner Station herum. Manchmal stöhnte er auch und wenn man sehr laut mit ihm redete dann würde Herr Koslow vielleicht ein, zwei zusammenhangslose Sätze auf Russisch rufen.

Unter meiner Superbetreuung ging es Hernn Koslow jedoch bald besser. Manchmal redete er nun auch Deutsch, aber Lust auf irgendwas, wie z.B. aufzustehen oder überhaupt sich bewegen, hatte er immer noch nicht.

Eines Morgens saß ich nun so im Stationszimmer rum und versuchte den Pathologen anzurufen, ob er „Verdacht auf bösartige Zellen“ irgendwie spezifizieren könne? – „Nein, zu wenig Material…“ (Ich dachte ja immer diese Antwort sie ein unrealistischer Pathologenwitz…)
Da kamen plötzlich die Physiotherapeutin und Herr Koslow vorbei, Herr Koslow käme um mir etwas mitzuteilen. Erstaunt, dass mein Patient plötzlich ganz alleine von seinem Bett bis zu unserem Stationszimmer gelaufen war, lächelte ich freundlich und Herr Koslow rief diverse russische Dinge in meine Richtung, die ich nicht verstand. Die Physiotheraputen, mit der er zuvor wohl noch Deutsch gesprochen hatte, erklärte schließlich, Herr Koslow wolle nun heim und ich sagte, das wäre eine schlechte Idee, da wir das internistische Problem noch nicht zuende behandelt hätten. Hierauf ärgerte sich Herr Koslow unglaublich und setzte sich auf den Boden, von wo aus er nun lautstark mich und die Physiotherapeutin beschimpfte. Zahlreiche (alle) anderen Schwestern der Station eilten herbei und versuchten Herrn Koslow dazu bewegen wieder aufzustehen oder zumindest in einen Transportstuhl zu sitzen. Herr Koslow wog jedoch geschätzte 200 Kilogramm und hatte beschlossen erst mal schimpfend im Flur sitzen zu bleiben.

Derweil begann sich nun auch die Oberärztin der Nachbarstation zu beschweren, was wir hier eigentlich veranstalteten und schickte diverse Untergebenen zur „Streitschlichtung“. Haha.

Im Anschluss zerrten wir zu Zehnt Herrn Koslow in einen Rollstuhl, rollten ihn zurück in sein Zimmer und am liebsten hätte ich ihn ja einfach im Flur sitzen lassen.
 

Leicht blass und keine Leichenblässe (Teil 2)


Ich zog also Frau Brimmchen, hochdement, 90 Jahre alt und wild schimpfen durchs halbe Krankenhaus um meinen klinischen Verdacht auf einen arteriellen Gefäßverschluss zu bestätigen. Am besten mit einem exklusiven Blutgerinnselbild oder so.

Eine Computertomographie hatte ich gleich verworfen, da Frau Brimmchen höchstens in Vollnarkose oder tot bewegungslos in einer Röntgenröhre verharren würde. Daher landeten wir also gleich vor dem Lieblingsgerät aller Internisten: Dem Ultraschallgerät.

Haha, habe ich schon erwähnt, dass Arme nicht so das Heimgebiet eines aspirierenden Internisten sind? Arme, das ist was für Unfallchirurgen. Oder Neurologen. Aber der hatte sich ja erfolgreich aus dem Staub gemacht.

Naja, irgendwie stellte ich dann auch irgendwelche Blutgefäße des betroffenen Arms dar und auf denen war kein Blutfluss darzustellen. Dies wertete ich als Beweis für meine Theorie des  A R T E R I E L L E R  G E F Ä ß V E R S C H L U S S und rief erst mal nun so gegen nachts um 1 Uhr meinen Oberarzt an um ihm dies mitzuteilen und zu fragen, was ich denn nun um alles in der Welt tun solle.

„Gnaaa“, sagte der Oberarzt, „wahrscheinlich haben sie das Ultraschallgerät falsch eingestellt!“ „Ja aber…“

„Also jetzt stellen sie mal die Sensibilität höher und zwar…“
Kurze Zeit später hing ich nun halb über Frau Brimmchen, das Telefon zwischen Schulter und Ohr geklemmt, mit einer Hand den Schallkopf haltend, mit der anderen auf Anweisung des Oberarztes Schalter des Ultraschallgerät verstellend, mit Hilfe derer man bei richtiger Bedienung vermutlich einen Wettersatelliten steuern kann.

Das Ultraschallgerät zauberte mir nun die schönsten Farben auf den Schirm, wenn auch an der falschen Stelle, Frau Brimmchen schlug mich grimmig mit der unbeschallten Hand und ich erklärte dem Oberarzt: „Nein, auch so weiterhin keine Durchblutung der großen Armgefäße und das hier sieht aus wie ein riesengroßes Blutgerinnsel. AHHHHH. Hören sie mich auf zu schlagen Frau Brimmchen!!!“

Der Oberarzt glaubte mir nun, gab mehrere kluge Oberarztinstruktionen und ich schaltete das Ultraschallgerät schnell aus um zu verhindern, dass sich eine Verbindung zum russischen Geheimdienst aufbaute und mehrere Wettersatelliten abstürzten.

Leicht blass und keine Leichenblässe (Teil 1)


Es war also mal wieder so nachts. Andere Leute schliefen, ich aber nicht, denn die Nachtschwester rief an: „Hallo Dienstarzt. Bei mir liegt die Frau Brimmchen. Kennen sie die?“

„Äh nö?“

„Ah ok. Frau Brimmchen liegt bei uns mit hochgradiger Demenz und einer Lungenentzündung. Im Rahmen dieser Demenz hasst Frau Brimmchen die ganze Welt und lässt keine Gelegenheit aus jeden in Reichweite zu schlagen. Aber jetzt pass‘ auf: Als wir heute Nacht das Mitternachtsantibiotikum geben wollte, da hat sie uns nur mit rechts geschlagen. Nicht mit links. Da stimmt was nicht!“

„Oook ich komme vorbei.“


Kurz nach Mitternacht stand ich in einem kleinen Kreis, bestehend aus Nachtschwester (naja 2) und mir um Frau Brimmchens Bett herum und wir zogen vorsichtig an Frau Brimmchens Arm, welcher bewegungslos und schlaff zurück auf die Matratze fiel.

„Mist, ein Schlaganfall“, dachte ich und rief den Neurologen an.

Frau Brimmchen schimpfte.

Der Neurologe kam.

Zombiegleich erhob Frau Brimmchen den bis dahin bewegungslosen Arm um wenige Zentimeter an.

„Na super“, dachte ich.

„Sag‘ mal. Ist dieser Arm eigentlich immer so kalt“, sagte der überaus kluge Neurologe und wir entschlossen uns nun das große Zimmerlicht anzumachen.

Etwas blass. War er. Der Arm. Nicht der Neurologe.

Eine wilde Leuchtschrift mit den Buchstaben: Achtung: A R T E R I E L L E R  G E F Ä ß V E R S C H L U S S! durchzog mein Gehirn.

Der Neurologe stimmte dem zu, erklärte, das sei ja kein neurologisches Problem und ging schnell wieder weg.

Prinzipiell hätte ich das alles als gefäßchirugisches Problem deklariert, aber es gab keine Gefäßchirurgen in der Gegend, deswegen war es jetzt erst mal ein internistisches Problem und der Internist, tja das war ich.

Nun sollte ich meine Gefäßverschlusstheorie nur noch ausführlicher und möglichst schnell beweisen, denn ehrlich gesagt, über so etwas hatte ich bis jetzt nur in großen Büchern gelesen, die Namen trugen wie: „1000 Krankheiten in kleiner grauer Schrift“ oder auch „Diese Buch ist nichts für Weitsichtige.“

Dieser Superplan mit dem CT


Es war Montag und mein erster Tag auf dieser Station. Einer meiner Patienten litt laut der Schwester schon das ganze Wochenende unter Atemnot und ich rief meinen Oberarzt an, der den Patienten schon von der Vorwoche kannte. Ob es hier schon einen strategisch durchdachten Plan gab, was wir nun veranstalten sollten.

Wir versuchten dann dieses und jenes Medikament und nahmen noch mehr Blut ab, das insgesamt recht schlechte Resultate zeigte, so dass mein Oberarzt am Spätnachmittag rief: „Na dann machen wir morgen eben eine Computertomographie der Lunge!“

Da mein Patient nun aber zusätzlich mittelmäßig dement war, für das CT aber eine Einwilligung von Patient oder bevollmächtigtem, sonstigen Verantwortlichen vorliegen muss, rief ich nun die Angehörigen an.

Ans Telefon ging auch gleich der Sohn, welcher vorwurfsvoll rief, man wolle ja schon seit drei Tagen mit einem Arzt reden, aber es käme ja keiner! Huä, dachte ich, ich war doch den ganzen Tag da. Mit mir wollte keiner reden! Der Sohn schien hier etwas verplant zu sein. Naja, sagte ich, jetzt sprächen wir ja miteinander und blabla, wir dächten daran so ein CT der Lunge bei seinem  Vater… „WAS?!“ rief der Sohn nun empört, „das haben sie doch letzte Woche schon gemacht!“

„Ahm hm“, sagte ich, „letzte Woche war ich nicht da.“ Was eine dumme Ausrede war. Dann schaute ich im System nach und es war auch wirklich ein CT von Donnerstag vorhanden. Die Radiologen hatten hierfür zwar noch keinen Befund erstellt, aber es gab einen Haufen Bilder. Schwarz-weiß. Fünfhundert oder so.

„Ah ja“, sagte ich zum Sohn, „da haben sie recht. Ich werde sofort mit den Radiologen Kontakt aufnehmen wegen des Befundes.“ Dann ärgerten wir uns beide im Anschluss wirklich ganz grässlich, wenn auch über unterschiedliche Dinge.

Warum der Patient Atemnot hatte, haben wir trotzdem nie so richtig herausgefunden und insgesamt ist das wirklich eine sehr deprimierende Geschichte, aber ich habe sie trotzdem aufgeschrieben. 

Flieg Engelchen, flieg!


Herr Foihaduk war von einer Leiter gefallen. Im Anschluss hatte er einen Herzinfarkt erlitten. Oder so ähnlich. Vielleicht auch anders herum. Auf jeden Fall war das Ende der Herzinfarktbehandelung in greifbarer Nähe. Ich terminierte noch zwei Tage bis zur Entlassung und schrieb ein chirurgisches Konsil: „Liebe Unfallchirurgen, hier wie besprochen das Konsil: Herr Foihaduk, welcher von der Leiter fiel und sich hierbei eine hässliche Wunde am Knie zuzog (ganz zu schweigen von diesem gräulichen Herzinfarkt) geht in zwei Tagen in die Reha. Ihr wolltet das Knie ja vor Entlassung nochmal anschauen. Also: Nicht vergessen!!“

Ein Tag vor Entlassung riefen sowohl ich als auch die Schwester (ich weiß in einer genderoptimierten Welt wäre das jetzt ein Pfleger oder zumindest ein geschlechtsneutraler Roboter), also diverse Leute riefen mahnend die Chirurgen an, wegen des Konsils und dass Herr Foihaduk um 15 Uhr vom Krankentransport am Folgetag dahintransportiert werden würde. „Jaja“, sagte die Chirurgen, „regt auch  nicht auf. Das klappt super.“

Es kam nun der Entlasstag und mein perfekter Entlassbrief ruhte im PC, auf die Vollendung des Satzes: „Von chirurgischer Seite wird empfohlen…“ wartend.

Dann riefen wir noch mal die Chirurgen an.

„KEIN STRESS!“

Dann sagte mein Oberarzt: „Wir machen Visite um 14.30 Uhr. Seien sie pünktlich!“
Dann rief ich noch ungefähr fünf Mal bei den Chirurgen an und gegen 13 Uhr wurde Herr Foihaduk zu den Chirurgen beordert.

Super, dachte ich, das passt wunderschön in meinen ausgeklügelten Zeitplan. Ich kann in Ruhe den Satz: „Chirurgische Knieempfehlung: blabla…“ beenden, den Brief ausdrucken und rechtzeitig zur Visite erscheinen, während das DRK oder ein sonstiges Konkurrenzunternehmen Herrn Foihaduk hinwegtransportiert.

Natürlich war mein Patient um 14 Uhr immer noch nicht zurück.

„Jaaaa“, sagte die chirurgische Schwester am Telefon, „der Chirurg, der war noch im OP. Der fängt jetzt erst an. Jaaaaa. Ihr Patient kommt gleich dran.“

Um 14.15 Uhr wurde die Lage langsam kritisch und ich begab mich in die chirurgische Abteilung, wo ich mich prominent hinter den Chirurgen stellte und erklärte ich würde jetzt solange im Weg stehen bleiben, bis ich das blöde Konsil hätte. Bevorzugt in 5 Minuten. Der Chirurg gab mehrere männliche Chirurgenkommentare von sich, beschloss aber tatsächlich das Konsil sofort zu vollbringen und übergab mir die chirurgische Empfehlung mündlich. Jetzt war es 14.28 Uhr und die Schwestern, welche in großer Spannung die Ereignisse verfolgt hatten und von der drohenden Oberarztviste in zwei Minuten sowie der ebenso nahenden Abholung von Herrn Foihaduk wussten, riefen mir motivierend: „Renn, Frau Zorgcooperations, renn!“ hinterher.

(Was mir hier einfällt: Einmal musst ich von einem verspäteten Zug zum nächsten Rennen. Da war ein komischer Mann, der rief mir damals: „Flieg, Engelchen, flieg!“ hinterher. Aber ich konnte mich da nicht mehr umdrehen und „WTF?!!“ rufen, weil ich sonst den anderen Zug verpasst hätte.)

Also ich lief sehr zügig durchs Krankenhaus, sodass alle dachten ich wäre ultimativ unterwegs ein Leben zu retten, sprintete an meinem verdutzen Oberarzt vorbei ins Arztzimmer, vollendete den letzten Satz des Briefes, drückte auf Drucken  und während mein Oberarzt vermutlich dachte: „Idioten, ich bin von Idioten umgeben. WAS MACHT SIE DA?!“, eilte schon wieder nach draußen, vollbrachte eine elegante Zweifachfaltung des Briefes, stopfte alles in einen Briefumschlag und meldete mich dann erfolgreich zur Visite.

Alte Leute mit Malaria?

Und dann war da dieser Patient und unser Labor rief an und sagte: „Joa, euer Patient, der hat Malaria.“
„Woah, woah!“ sagte mein Oberarzt, „wir behandeln keine Patienten mit Malaria. Die verlegen wir alle in die Tropenklinik!“
Echt jetzt?
Wir, das hieß in jedem Fall ich. Nachdem dies mein erster Patient mit Malaria war, hatte ich prinzipiell keinen Plan und fragte freundlich die Pforte, ob sie mich mal mit einer ähm nahegelegenen Tropenklinik verbinden würde. „Öh ja“; sagte die Pforte und drückte auf den Verbindenknopf.
„TropenINSTITUT, wichtige Stadt rechts von Beteigeuze, hallo?“
Institut ist ja fast wie Klinik. Die grimmige Dame des Tropeninstitutes besaß aber die Nummer der Tropenklinik, welche sie mir auch gab und ich rief erneut wo an.
„Tropenklinik, wichtige Stadt rechts von Beteigeuze, hallo?“
Haha, das hörte sich besser an und ich erklärte, ich wolle meinen Malariapatienten gerne in die Tropenklinik verlegen.
„Hmhm“; sagte die Pfortendame, „na gut ich verbinde sie mit einem Arzt.“
„Dienstarzt hallo?“
„Ja ich möchte diesen Malariapatienten verlegen…“
„Ja nö.“
„Nö?“
„Sie sind hier in der Geriatrie.“ (Die Geriatrie der Tropenklinik?!?!!!)
„Aber ihre Pforte hat mich verbunden.“
„Oh. Hm also das tut mir Leid. Aber wie gesagt. Geriatrie. Alte Leute und deren Gebrechen. Sie wissen schon?“
„Alte Leute mit Malaria?“
„Haha. Sie müssen in die Tropenabteilung. Leider kann ich sie nicht mehr zurückverbinden.“
Grm. 
Ich rief erneut die Tropenklinikpforte an und die Empfangsdame erklärte sie habe mich doch mit dem zuständigen Dienstarzt verbunden! Was ich eigentlich wolle. Eine exzellente, gute Verbindung wäre das gewesen.
Seufzend durchsuchte die Dame nun diverse Verzeichnisse und erklärte schließlich grimmig: „Na gut, dann verbinde ich sie eben mit Dr. Häfele PERSÖNLICH!!“
Oh Freude, Dr. Häfele war tatsächlich Tropenmediziner und erklärte ich dürfe gerne meinen Malariapatienten umgehend vorbeischicken.