Kopiererreparierer – Der Krieg der Kopierer geht weiter

Bitte Papierprogramm beenden!“ flötete eine freundliche Frauenstimme aus dem interaktiven Kopiergerät und diesmal war es nicht meine Schuld.
„Ja“, sagte mir die Krankenschwester verzweifelt, „ich wollte nur diese Formular doppelseitig in Farbe ausdrucken und jetzt macht das Gerät gar nichts mehr.“ (Abgesehen vom Befehl das Papierprogramm zu beenden!!) Die Tasten „Abbruch“ und „Auftrag beenden“ schienen sich weiterhin nur zur Dekoration am Gerät zu befinden und gaben bei Betätigung nur ein protestierendes „Piep“ von sich. Ich unternahm einen Versuch indem ich das Gerät ausschaltete, wurde beim Wiederanschalten aber sofort von einem erneuten „Bitte Papierprogramm beenden“ begrüßt. „Hm naja“, dachte ich, „kopiere ich diesen Befund halt später“, und überließ weiteren Schwestern das Feld.
Im Laufe der nächsten Stunde wiederholte nun jeder Anwesende auf exakt gleiche Weise dieses Reperaturvorgehen. Erfolglos.
„Die EDV sagt, sie hilft uns nicht!“ jammerte meine Krankenschwester und verschwand in ein Patientenzimmer. Da war ich dann alleine mit dem renitenten Kopierer, der dadurch nicht leiser wurde.

Dies nicht als künftigen Dauerzustand akzeptierend, rief ich nun ebenfalls die EDV an. „Gnom“, sagte ein grimmiger EDV-mensch, „schauen sie doch in der Bedienungsanleitung im Intranet nach!“
Hier sollte man erwähnen, dass das Intranet des Klinikum Beteigeuze mit hoher Wahrscheinlichkeit auch Information darüber enthält, wie man mit einfachen Hausmitteln in einer Einbauküche eine nukleare Kernfusion starten kann oder zumindest eine vollfunktionsfähige Wetterstation mithilfe eines lebendigen Breitmaulfrosches konstruiert. Man müsste diese Information zwischen den bunten Buttons, Links und Listen voller PDF-Dokumente halt nur finden. Ich starrte auf den Computer neben mir und versuchte auf der Intranetstartseite das Wort EDV zu erkennen. Dies war nicht möglich, da jemand in die Startseite ein stilvolles Gedicht passend zur aktuellen Jahreszeit implementiert hatte, welches alle Buttons nach sonstwohin verschoben hatte.
„Ähm“, sagte ich zum EVDler, „sie haben ja vermutlich eine EDV-Ausbildung. Und ich arbeite hier so als Arzt und bevor ich jetzt anfange eine 200-seitige Anleitung zu suchen, zu lesen, um dann den Kopierer selbstständig umzuprogrammieren, da wäre es echt nett wenn nicht ich, sondern sie, den man jetzt ja für den EDV-Teil eingestellt hat, also wenn sie dann halt den Kopierer reparieren und ich gehe zurück meine Patienten betreuen.“
„Grmbl, grmbl“, sagte der EDV-Mensch, der vermutlich gerade das Gedicht auf Intranetstartseite las, „komm‘ ich halt vorbei.“


Solches und solches Wissen


Irgendwann nachdem ich also angefangen hatte Arzt zu sein, ließen sie mich ganz alleine eine Station betreuen. Erfreut über das in mich gesetzte Vertrauen, saß ich also im Stationszimmer und tat…hm naja irgendwas professionell aussehendes. Hinter mir blätterte eine Krankenschwester wild in einem Laborbuch. „NSL, NSL“, murmelte sie missmutig,  „was soll das denn bitte sein?!“
Als superkompetener Arzt konnte ich selbstverständlich weiterhelfen: „Jo. Hier handelt es sich um die Neuronenspezifische Enolase, einen Tumormarker den man z.B. beim kleinzelligen Bronchialkarziom bestimmen kann.“ Die Krankenschwester war schwer beeindruckt, fand endlich die richtige Seite im Buch und zeigte es gleich ihrer Kollegin: „Hier siehst du. Neuronenspezfische Enolase. Sachen gibt es!“
Die Kollegin nickte anerkennend über dieses brilliante Detailwissen. Dann sagte sie noch: „Ach Frau Zorgcooperations, wo du schon die Patientenkurven seit einer halben Stunde für dich vereinnahmst, kannst du da bitte ein Schlafmittel für Herrn Bongel aufschreiben. Und Frau Huber hat seit einer Woche keinen Stuhlgang mehr. Kannst du dich da drum kümmern?“ 

„Äh ja“, sagte ich und überlegte ob ich hier vielleicht mein Wissen zur aktuellen Behandlung der Narkolepsie anbringen könnte oder die genaue Pathologie des Morbus Hirschsprungs, welcher ja schließlich auch zu Stuhlgangsproblemen führt! Den Kurs „Banale Alltagsproblem deiner Patienten als Stationsarzt“ muss ich an der Uni irgendwie verpasst haben. Ahem.
Am Ende  fragte ich dann die Schwester, was für ein Schlaf- und Antiverstopfungsmedikament denn empfehlenswert wäre. Hat dann leider meinen erst zuvor erarbeiteten Eindruck der brilliant klugen Stationsärztin zerstört.

Gnö, so Herzarbeit, das ist echt voll anstrengend!


Und dann brachten sie eine Patientin von der Notaufnahme auf meine Station. „Verdacht auf Herzrhythmusstörungen“. Ich warf einen Blick auf den Überwachungsmonitor, der sofort in wildes Alarmpiepsen ausbrach und eine lustige Nulllinie anzeigte. Dann schlug das Herz der Patientin weiter und ich fragte sie besorgt, wie sie sich denn fühle. Naja, solange sie sich nicht bewege, wäre alles gut, aber sobald sie aufstände würde ihr schwindelig. Ich vergrub hastig mein Stetoskop in ihrem Dekolltée und suchte nach dem Puls. Passend zur hässlichen Monitorkurve schlug das Herz der Patientin nicht mit einem regelmäßigen „Glomp-glomp, glomp-glomp, glomp-glomp“, sondern eher mit einem „Glomp-glomp …. [nichts] …. [lalalala] … [jop, ok jetzt wieder] glomp-glomp, glomp-glomp … [gnö, so Herzarbeit, das ist echt voll anstrengend!] … [laaaa] … [lala] … glomp-glomp“ “Oh, ähm, gut, bewegen sie sich mal nicht weiter!“ befahl ich, lief rückwarts aus dem Zimmer, ließ zur Sicherheit die Tür offen stehen und griff nach dem Telefon. 
Dies war ein klarer Fall für SUPERMAN! Hier fiel mir ein, dass ich dessen Nummer leider verlegt hatte, aber meine freundliche Oberärztin würde es auch tun. Oh ja, krank war die. „Der Dr. Oberarzt Nummer Zwei ist heute auch krank!“ sagte meine Krankenschwester und drückt nervös den Monitoralarm weg. Ob die gestern alle eine wilde Party gefeiert hatten? Da ging endlich Oberarzt Nummer 3 an Telefon; dachte ich. „Jaaa, Schwester Gundel für Dr. Drei???“ „Öh Mist, ich bräuchte dringend Herrn Dr. Drei hier!“ „Also“, flötete Schwester Gundel freundlich, „wo der ist wissen wir auch nicht. Der hat hier nur sein Telefon liegen lassen.“
„JETZT MACH‘ DOCH ENDLICH WAS!“ rief meine anwesende Schwester verzweifelt und starrte weiter auf den Monitor, der wild blinkend anzeigte, dass das Herz meiner Patientin seine Arbeit so nicht korrekt verrichtete. Durch die offene Zimmertür konnte ich sehen, dass sie zwar soweit noch wach und lebendig war, fragte sich nur wie lange noch.
Ich begann nun abwechselnd den letzt möglichen Oberarzt anzurufen (besetzt), sowie sämtliche Orte, an denen sich Oberarzt Drei möglicherweise aufenthalten könnte. Kurz bevor meine Krankenschwester in einen hysterischen Anfall verfiel, ging schließlich Oberarzt Vier ans Telefon, unterbrach sein Mittagessen und baute der Patientin glorreich einen Herzschrittmacher ein.  

Wollen sie mich etwa behandeln in diesem Krankenhaus?!

Und dann kam eine freundliche Schwester zu mir und sagte: „Der Herr Baumler, der will keine Infusion.“ Also ging hin zu Herrn Baumler. Der saß grimmig in seinem Bett und starrte  mich mit zusammengekniffenen Augen an. „Hm ja“, sagte ich, „in dieser Infusion ist ihr Antibiotikum drin. Das brauchen sie.“ „Nein!“ sagte Herr Baumler.

„Gibt es einen spezifischen Grund dafür?“

„Nein, ich will keine Infusion!“

„Überlegen sie mal, warum sind sie denn gekommen?“

 „Ja weil es mir so schlecht geht.“

„Hmhm. Wir könnten ihnen schon helfen, aber da müssten wir halt diese Infusion…“

„NEIN!“

„Naja, dann wird es Ihnen aber weiter schlecht gehen, dann ist ihr Aufenthalt hier sinnlos!“ 
Diese brilliante Argumentation wollte Herr Baumler auch nicht akzeptieren und so drehten wir uns argumentativ mehrere Male im Kreis.

„Wir könnten ihnen das Antibiotikum auch als Tablette anbieten“, schlug ich am Ende verzweifelt vor, „das wäre halt schlechter wirksam, aber besser als nichts.“ „Nö“, sagte Herr Baumler. Er nehme sowieso schon so viele Tabletten.

Inzwischen fiel der Bettnachbar vor Lachen fast aus dem Bett.

Weitere 10 min später hatte ich Herrn Baumler zwar überzeugt, dass ich ein Arzt und keine Krankenschwester wäre, ein weiteres Medikament wollte er trotzdem nicht. „Ich nehme NUR was mir mein Hausarzt verschreibt“, erklärte er schließlich gewichtig.

„Haha“; dachte ich und rief den Hausarzt an. Mit diesem am Telefon wanderte ich zurück zu Herrn Baumler und drehten dem das Telefon samt Hausarzt in der Leitung an. Eine längere Diskussion später, erklärte mir der Hausarzt erschöpft, der Patient sei nun bereit mit einem Antibiotikum behandelt zu werden.

Herr Baumler war dann den restlichen Aufenthalt sehr begeistert von mir. Mein Oberarzt sagte nur, was ich denn in aller Welt bitte eine komplette halbe Stunde lang mit dem Patienten diskutiert hätte.

Die Gichtablagerung oder auch wie dann das totale Chaos ausbrach.

Und dann sagte der Oberarzt: „Moment, diese Frau hat bestimmt Gicht und die Knubbel an den Fingern sind Gichtablagerungen. Lasst uns eine Gewebeprobe davon nehmen!“ Er schrieb hierfür eine Anforderung an die Allgemeinchirurgen und bis dahin hatte ich auch weder Ärger noch Arbeit damit. Das war schön.
Dann kam eine Krankenschwester zu mir und sagte: „Duuuu Frau Zorgcooperations, der Allgemeinchirurg war da und hat gesagt, er nimmt keine Biopsie, das sieht man doch auf 100m Entfernung, dass das Gichtablagerungen sind!“  Super. Ich kann doch nicht in meinen Brief später schreiben: „Gicht. Ablagerungen visuell vom allgemeinchirurgischen Oberarzt sicher zugeordnet.“ Kurz überlegte ich stattdessen eine Biopsie-Anforderung an die Unfallchirurgen zu schicken, hatte aber die Befürchtung, würde dies bekannt werden, so wären die Chirurgen auf Jahre verärgert.
Also rief ich den Allgemeinchirurgen an, was er denn die tolle Biopsie nicht täte und ob er sich hier offiziell weigere. Der vermutlich langsam genervte Chirurg sagte, na gut er käme in zehn Minuten und ich hoffte mal er käme zur Biopsie und nicht um sich lautstark bei mir persönlich zu beschweren was das denn für eine dumme Idee wäre.
Aber er kam tatsächlich zur Probenentnahme, schnitt der armen Frau ohne Betäubung ein Loch in den Finger und rannte dann weg zu einer wichtigen OP. Dies überließ uns nur (haha nur) noch die Aufgabe die glibberige Ablagerung aus dem Loch zu fischen und in ein Gefäß (was für ein Gefäß?!) zu bugsieren sowie zu Analyse (WOHIN?) zu schicken.
Da hatten wir also die „Biopsie“ und da alles so plötzlich passiert war, waren wir auch völlig unvorbereitet. Eine Krankenschwester hielt freundlich die Hand der Patientin und eine weitere rief im Labor an, wo genau wir denn die Gichtablagerung rein tun sollten. Das Labor war ebenso überfordert und am Ende habe wir es vorerst mal in Urinprobenröhrchen transferiert. Die Patientin dachte derweil vermutlich: „Warum bin ich nur von solchen Idioten umgeben?!“
Dann rief ich selber im Labor an und am Ende lief ich mit meiner Gichtprobe in der Hand persönlich hin. Die Laborfrau schaute alles erstaunt an und sagte, so glibberige gelbe Sachen könnten sie hier nicht mikroskopieren! Also fragte ich hoffnungsvoll den Oberarzt WAS ICH DENN NUN IN ALLER WELT mit dieser Gichtablagerungsprobe anfangen solle. Der Oberarzt gratulierte mir zu Überzeugung des Chirurgen und sagte dann: „Das macht das Labor.“ Haha.
Nachdem ich in der Pathologie angefragt hatte: „WAS wollen sie? Probieren sie es mit dem Labor der Uniklinik.“ Rief ich also da an und tatsächlich, hier könne man gern meine Probe analysieren.
In was für einem Gefäß sie das denn gerne hätten?
Öm, ein Lithium-Heparin-Röhrchen.
Ok.
Anschließend ließ sich im ganzen großen Krankenhaus kein einziges Lithium-Heparin-Röhrchen auftreiben. Da habe ich es in ein anderes Röhrchen getan. Wahrscheinlich können sie es jetzt nicht mehr analysieren und wir brauchen eine neue Biopsie.

Drei Tage!


Da war ich also der Arzt vom Dienst oder auch mit dem Dienst und trug das Diensthandy mit mir herum, auf dem ein Haufen Leute anrief, die irgendetwas sagten wie z.B.: „ICH WILL EINEN ARZT SPRECHEN!“ „Ja, sie sprechen mit einem.“

Schon allein die Begrüßung hätte mich misstrauisch werden lassen sollen: Dies war das Dienstarzthandy. Hier riefen Hausärzte an um ihre Patienten anzumelden oder Krankenschwestern, die jemand brauchen, der eine Kanüle legt. Die wissen alle, dass ein Arzt am Telefon ist, weshalb sich der Dienstarzt auch faulerweise nicht mit „Dienstarzt Müller, Klinikum Beteigeuze, was kann ich für sie tun?“ meldet, sondern nur unfreundlich „Müller!“ ins Telefon ruft.

Äh ja. Mein Anrufer fing sich wieder: „Ich habe seit drei Tagen keinen Stuhlgang!!“  

„Ah“, dachte ich und antwortete verwirrt, „Waren sie denn schon beim Hausarzt?“

„NEIN! Der ist im Urlaub.“ 

„Naja, aber da gibt es sicherlich eine Vertretung.“

„Ja nö, weiss ich nicht. ABER ICH HABE SEIT DREI TAGEN KEINEN STUHLGANG!!“

„Haben sie denn mal ein Abführmittel versucht? Da gibt es auch gut verträgliche…“

„NEIN! Die haben sie mir mal verschrieben, aber die benutze ich nicht!“
„Ah… da würde ich empfehlen sie gehen zu ihrem Hausarzt..“

„Der ist im Urlaub!“

„Der Vertretung ihres Hausarztes…“

„Aaaaber, als ich hier in der Sprechstunde eures führenden Super-Gastroenterologen war, da hat der gesagt, bei Problemen könne ich jederzeit kommen!!!“

„Ok, also ich rufe jetzt für sie den Gastroenterologen an und frage da mal nach“, sagte ich nachdem das Gespräch inzwischen 10 Minuten dauerte und das Wort Stuhlgang sich exponentiell zu häufen begann.

Der Gastroenterologe erinnerte sich glücklicherweise gleich an den Patienten und sagte grummelig, das hätte er mit „Problemen“ nicht gemeint, aber am Ende haben wir den Patienten trotzdem aufgenommen.

Meinungsverschiedenheiten (Teil 2)

Da war also diese Patientin, Frau Klumcz, und hatte Magenschmerzen. Wir machten eine Magenspiegelung, nahmen eine Gewebsprobe, deklarierten das Ganze erst Mal als Gastritis und dachten uns eine schlaue Therapie aus.
Die Biopsie war ungewöhnlich schnell von den Pathologen ausgewertet. Alles unauffällig.  Außerdem ging es der Patientin so langsam besser. „Super, kann sie morgen heim“, dachte ich. Am nächsten Tag war jedoch mein gastroenterologischer Oberarzt krank. Als Ersatz kam eine freundliche Kardiologin. „Moooooment!“ sagte die, „die Frau Klumcz, die hat doch diese Aortenklappenverengung! Das müssen wir erst mal kontrollieren. Außerdem ist das doch komisch, was der Pathologe da über die Magenschleimhaut sagt! Das kann gar nicht sein, dass die Gewebsprobe unauffällig ist. Ruf‘ da erst mal an und frag‘ ob die sich sicher sind. Ich schaue solange nach der Herzklappe.“
 
 
Ich telefonierte also mit den Pathologen, die erklärten selbstverständlich wären sie sich sicher! Nach zwei Tagen hatte die Kardiologin festgestellt, dass das mit der Klappe  noch akzeptabel wäre und dann kam auch mein ursprünglicher gastroenterologische Oberarzt wieder. „Super, entlass‘ ich die Patientin morgen“, dachte ich. Aber dann sagte der Gastroenterologe: „Ach, wenn die Frau Klumcz noch da ist, dann können wir ja nochmal eine Kontrollgastroskopie machen.“
Einen Tag später, die Kontrollgastroskopie war erfolgreich und unauffällig gewesen, bekam die Patientin einen Harnwegsinfekt.
Drei Tage und ein paar Antibiotika später, fühlte sich Frau Klumcz schwach aber annehmbar. „Super, entlass‘ ich sie morgen“, dachte ich.
Am nächsten Tag war der gastroenterologische Oberarzt in einer wichtigen Konferenz und der zweite Hauskardiologe kam zum Einsatz.
„Mooooment“, sagte der, „was ist mit der Aortenklappe? Da muss man doch die Medikamente umstellen! So geht das nicht. Die Patientin kann nicht heim. Was denken sie sich denn Frau Zorgcooperations?!“

Nachts im Krankenhaus – warum Patienten nachts nicht schlafen können (Teil5)

Und dann war ich also Patient in diesem Krankenhaus und lag in einem sehr alten Vierbettzimmer.
Es gab eine Waschbeckennische, die über einen geblümten Vorhang vom restlichen Zimmer abgetrennt war und ein Klo am anderen Ende der Station. Also zwei Klos. Für alle Patienten. Und daneben noch ein frei einsehbares Pissoir, das alte Männer ungeniert benutzten, auch wenn das Ganze eine Unisextoilette war.
Zumindest waren nur drei der vier Betten mit uns besetzt, aber das musste kein gutes Vorzeichen sein. War es auch nicht.

Gegen ein Uhr Nachts stürmten die freundlichen Nachtkrankenschwestern herein, gefolgt von zwei Rettungssanitätern, die eine Trage hinter sich herzerrten. Man hatte eine neue Patientin für das freie Bett aufgegabelt.
Eine ältere Dame wurde hereingefahren. Sie schaute sich misstrauisch im Zimmer um und begann zu schreien: „WAS? EIN VIERBETTZIMMER?!? DAS IST JA UNZUMUTBAR!!! ICH BIN PRIVATPATIENTIN!“ „Äh ja“, sagte eine der Nachtschwester, „ist halt gerade kein anderes Zimmer frei.“ „UNANNEHMBAR! PRIVATPATIENTIN!  DAS GEHT NICHT!!“ brüllte die Dame einfach weiter. Die Rettungssanitäter warfen sie schnell von der Trage und gingen unauffällig zurück in ihre gemütliche Rettungswache. Die Schwestern flüchteten dann auch zügig und unsere neue Mitpatientin hörte schließlich auf zu schreien. Vermutlich waren wir, das gemeine Volk kein guter Ansprechpartner. Stattdessen begann sie ihren überdimensional großen Koffer auszupacken und laut Schranktüren auf und zu zu schlagen. Mit Licht natürlich. Musste man ja sehen, wo man alles so hinverstaute. Die Nachtschwester kam nochmal und erklärte der Dame, dass sie ja auch noch morgen auspacken könne. „WIE? ICH BIN DOCH LEISE!“ Jop, fast. Wir machten dann das Licht aus, aber das half nicht viel. Dann riefen wir abwechselnd: „FRAU GOMZOMBOL (Jaja so schnell lernt man die Namen randalierender Mitpatienten.) HÖREN SIE AUF IHREN KOFFER AUSZUPACKEN!“ „NEIN, ICH MUSS MEINE SOCKEN FINDEN!!“
„FRAU GOMZOMBOL MACHEN SIE DAS LICH WIEDER AUS!“
„ICH BIN DOCH LEISE!”
„NEIN!!! SIND SIE NICHT. GEHEN SIE SCHLAFEN!!“
„MEINE SOCKEN!“
„GAAAARGHLL!!“
Naja, am nächsten Tag war dann plötzlich ein Speziellundnurfürprivatpatientenzimmer frei.

Die Vermisstenanzeige

Da war ich also der Arzt vom Dienst oder auch mit dem Dienst und trug das Diensthandy mit mir herum, auf dem ein Haufen Leute anrief, die irgendetwas sagten wie z.B.: „Ähh du Frau Zorgcooperations… wir vermisse einen unserer Patienten.“ „Ah“, dachte ich, „und warum ruft ihr jetzt mich an?“
Hier stellte sich heraus, dass es laut offiziellen Krankenhausanweisungen bei verlorenen Patienten genaue Befehle gab. Sollte das Pflegepersonal den Patient nicht mehr finden können, dann wird der Dienstarzt informiert und nimmt die Sache in die Hand. Ha. Das ist auch nur ein logischer Gedankengang. Schließlich hat der Dienstarzt mehrere Jahre studiert, ist somit einiges schlauer als so eine Krankenschwester und wird daher den Patienten zackzack wiederfinden… Oh ja, den Patienten hatte ich im Übrigen nie zuvor getroffen.


Das Superhandlungsprotokoll in der Hand, stapelte ich erst mal die Unterlagen des Patienten vor mir auf den Tisch und hakte die Unterpunkte ab: „Habt ihr die Stationen durchsucht?“ „Jop“ „Die Toiletten?“ „Hmhm.“ „Den Keller?“ „Jaaaa.“ „Die Umgebungsgrünfläche?“ „Wir haben aus dem Fenster geschaut.“ „Eine Suchdurchsage gemacht?“ „Schon erledigt.“ Der nächste Punkt ‚Dienstarzt informieren‘ war ebenfalls ausgeführt. Sehr informiert kam ich mir da nicht aber trotzdem nicht vor. Als folgende Maßnahme kam nun: „Polizei informieren“.
Das tat natürlich der Dienstarzt. Wer sonst konnte hier präzise Informationen über den Vermissten geben!
Irgendwie hatte ich in meinem ganzen Leben noch nie mit der Polizei telefoniert und diskutierte erst mal mit den Schwestern ob man denn hier nun 110 wählen solle oder ob es vielleicht eine unauffällige Nummer direkt in die lokale Polizeidienststelle gab. Immerhin war das ja kein akuter Raubüberfall.
Ich rief schließlich die Pforte an und fragte nach ob die mich mit der Polizei verbinden könnten. Die Polizei, wohin auch immer die Pforte mich da nun verbunden hatte, ging auch sofort ran. „Klinikum Beteigeuze an der Zingg, blabla ich möchte hier einen Patienten als vermisst melden.“ „Name?“ „Hmm Hermann Frö..“ „Nein, nein ihrer.“ Der Polizist brachte nun erstmal mehrere Minuten damit zu ganz genau meinen Nachnamen und den Vornamen zu notieren. „Zorgcooperations mit Z oder S? Zwei Os? Können sie das bitte mal buchstabieren? Und den Vornamen auch! Haben sie einen Doktortitel?“ Nachdem ganz genau notiert war WER hier überhaupt anrief, wurden auch die Patientendaten aufgenommen. Wir erfanden einen genauen Vermissungszeitpunkt, da „naja seit einer Stunde“ als Zeitangabe überhaupt nicht präzise genug war. Eine der Schwestern, welche im Übrigen belustigt im Kreis um mich herumstanden, gab schließlich eine genaue Personenbeschreibung ab und zum Glück ging die Polizei dann los und fand uns den Patienten wieder, der inzwischen freundlich nach Hause gelaufen war.

Entspannungsübungen

Und dann hatte ich also meinen ersten Nachtdienst und dachte: „Ahhh, das wird bestimmt schwer. Jetzt kommen die ganzen Notfälle.“ Am Tag zuvor schaute ich abends nochmal nervös meine Bücher durch und betrat schließlich möglichst kompetent aussehend die abendliche Notaufnahme.
Erst mal passierte nichts und ich ging hin irgendwelches Blut auf den Stationen abzunehmen.
Gegen 22.30 Uhr rief man mich an, ich solle mal zurückkommen. Patient mit Brustschmerzen. „Uhhh“, dachte ich mir, „Vielleicht ein Herzinfarkt oder eine Lungenembolie.“
„Kabine 1“, rief die Aufnahmeschwester und da ging ich dann hin.
Da saß also der Patient in Kabine 1 auf der Trage rum, baumelte mit den Beinen und ich stellte mich freundlich vor: „Zorgcooperations hallo“ „Kevin“, sagte der Patient. „Äh ja. Kevin. Was ist denn das Problem?“
„Ja“, sagte Kevin, „wenn ich mich so im Sessel zuhause zurücklehne, dann habe ich so Schmerzen. Hier!“, er wedelte mit seiner Hand in Richtung rechte Brustkorbhälfte, „seit einem halben Jahr habe ich das.“
Ich sagte erst mal nichts und Kevin erzählte mir noch, dass er deswegen auch schon beim Hausarzt gewesen sei, aber der habe gesagt da wäre nichts und ihm geraten mit Pilates anzufangen.
 
Irgendwie brachte mich dies alles aus meinem Anamnesekonzept, weshalb ich erst mal dumm fragte: „Und haben sie angefangen mit Pilates?“
„Trage ich Makeup oder was?!“  
„Hmhm, haben sie denn jetzt aktuell Schmerzen?“
„Nö.“
„Und warum kommen sie JETZT gerade hier ins Krankenhaus?“
„Na, der Hausarzt macht ja nichts.“
„Hmhm“, sagte ich und untersuchte meinen Patienten, der aber echt nichts hatte. Dann schrieb ich zur Sicherheit ein EKG, welches ich bestimmt als Superstandard-EKG an ein Lehrbuch hätte verkaufen können und ein Labor nahmen wir auch ab, aber das war das schönste Labor, das ich jemals gesehen hatte.
Ein Röntgenbild hätte man schon vor einem Monat gemacht, sagte Kevin und da entschuldigte ich mich, schlug vor es noch mal bei einem Orthopäden zu versuchen und schickte ihn wieder heim.
Außerdem hätte ich ihm fast vorgeschlagen doch mal mit Pilates anzufangen…