Ein Hoch auf die internistische Standarduntersuchung.


 „Also“ sagte Frau Hutvernichts Hausärztin, „sie bekommen ja kaum noch Luft!“ Die Hausärztin stopfte gewissenhaft alle Unterlagen in einen großen braunen Umschlag und bestand darauf, dass der Rettungsdienst inklusive eines Notarztes Frau Hutvernicht persönlich in ein bewährtes Klinikum in der Umgebung transportierte.
Auf ihrer Einweisung notierte sie, sie verdächtige eine Verschlechterung der schweren chronischen Bronchitis auch COPD genannt, die Frau Hutvernicht durch ihre langjährige Arbeit in einer Raucherkneipe erworben hatte. Krankheiten die man nicht haben möchte.
Der Notarzt setzte auf der Fahrt sein ganzes Arsenal an Anti-COPD-Medikation ein. Cortison. Inhalationen. Morphin. Zack, war er auch schon im Krankenhaus und händigte die Patientin schnell dem Dienstarzt aus. Denn so richtig toll hatte diese Notarzttherapie nun auch nicht geholfen.
„Hallo Frau Hutvernicht“, sagte ich zu meiner neuen Patientin und fragte sie gleich mal unsere Standardatemnotfragen. Links von mir nahm Schwester Margit solange Blut ab. Frau Hutuvernicht war aktuell irgendwie leicht grau im Gesicht, sonst aber stabil. Fragte man sich nur, wie lange noch.
Ich beschloss Frau Hutvernicht noch schnell zu untersuchen, so wie man das als Arzt halt tut. Über Lunge war auch gleich das typische Pfeifen zu hören, dass die meisten COPD Patienten aufweisen. Allerdings nicht sehr ausgeprägt. Vermutlich wirkten die Notarzt-Medikamenten nun doch, dachte ich erfreut. Einziges Problem: Viel besser sah die Patientin jetzt nicht aus. Schnell noch das Herz abhört und zur Komplettierung der ordentlichen internistischen Untersuchung betrachtete ich noch Frau Hutverneints Beine, ob denn Wasser eingelagert wäre.
Hier triggerte mein Internistenalarmknopf: „Das rechte Bein ist ja ganz dick, ist das normal bei ihnen oder neu?“
„Ja“, erklärt Frau Hutvernicht, „vor ein paar Wochen waren beide Beine dick, wegen Wassereinlagerungen und meine Hausärztin hat mir Wassertabletten verschrieben. Da ist das eine Bein wieder dünner geworden, das andere aber nicht.“
„Oh hm“, sagte ich und zerrte ein Ultraschallgerät in Frau Hutvernichts Kabine. Auf dem Bildschirm lachte uns sofort eine große Thrombose in der Oberschenkelvene rechts entgegen.  Von solchen Gerinnseln bricht gerne mal ein Gerinnselteil ab, wird in die Lunge geschwemmt und bleibt dort stecken. Zum Ärger aller. Ich setzte den Schallkopf über’s Herz. Dessen rechte Kammer war riesengroß. Ein Hinweis darauf, dass hier tatsächlich etwas prominent wichtige Lungengefäße verstopfte und Blut ins Herz zurückstaute.
Deswegen und nicht wegen der COPD bekam Frau Hutvernicht auch nicht genug Luft. Und deswegen hatte auch die vorherig ausgeklügelte Therapie nicht funktioniert.
Frau Hutvernicht bekam dann aufgrund der schweren Lungenembolie eine Lysetherapie und tatsächlich ging es ihr auch zügig wieder besser.
Ein Hoch auf die internistische Standarduntersuchung, inklusive Beinbetrachtung.

10 Dinge, mit denen sie den Dienstarzt in der Notaufnahme wahnsinnig machen können.

1.    Erzählen sie, sie nähmen ungefähr 20 verschiedene Tabletten ein, wüssten aber gerade nicht welche. Fordern sie Ihren Arzt den Hausarzt anzurufen und dies selbst herauszufinden. Ihr Hausarzt ist zur Zeit im Urlaub und es ist 3 Uhr nachts.

2.    Erklären sie vehement, sie möchten nicht in diesem Krankenhaus bleiben. Hat man ihnen Ambulanzbrief, Notfallrezept und Plan für die heimische Therapie ausgehändigt, erklären sie, dass sie nun doch lieber im Klinikum bleiben möchten.

3.    Trinken sie viel Alkohol und nehmen einige Drogen unklarer Herkunft. Erbrechen sie sich dann über das Ultraschallgerät und schreien sehr laut. Ununterbrochen. Mehrere Stunden lang.

4.    Nehmen sie ihre komplette Familie und auch einige Freunde mit ins Aufnahmezimmer.

5.    Erklären sie, sie müssten nun unbedingt eine Rauchen. Gehen sie eine Rauchen.

6.    Berichten sie dem Aufnahmearzt ausführlich von Prof. Dr. Maier, zu dem sie sonst gehen. Prof. Dr. Maier ist der wirkliche Experte für ihre Krankheit. Lassen sie offen, warum sie diesmal in diese Notaufnahme gekommen sind und nicht zu Prof. Maier.

7.    Sagen sie, sie hätten nicht erwartet, dass man sie stationär aufnehmen wolle. Verlangen sie, dass man sie erst mal heimlasse, damit sie die wichtigsten Sachen packen können. Gehen sie heim. Packen sie fünf Stunden lang.

8.    Sprechen sie laut weiter, wenn der Arzt mit seinem Stethoskop ihre Lunge abhört.

9.    Fragen Sie nach, wie lange sie noch warten müssen. Regelmäßig. So alle 15 min. Nur eine Arztantwort ist akzeptabel.

10.  Antworten sie auf die Frage: „Beschreiben sie ihre Beschwerden.“ mit einer ausführlichen Darstellung ihres letzten Urlaubs in Mallorca. Bestehen sie darauf, dass dies ein wichtiger Teil ihrer Krankheitsgeschichte ist.

Monitor-Plan


Herr Gnitzel hatte einen kleinen Herzinfarkt. „Nicht so schlimm“, sagte der Kardiologe und plante einen Herzkatheter für den nächsten Tag. Herr Gnitzel sollte solange zur Sicherheit an einem Überwachungsmonitor auf der kardiologischen Station aufbewahrt werden, betreut von geschulten kardiologischen Pflegekräften und klugen Assistenzärten. Soweit der Superplan.
„Also“, sagte die geschulte Schwester Monika ins Telefon, „dieser Herr Gnitzel bleibt nicht an Monitor. Du musst jetzt kommen Arzt!“
Auf meinem Namensschild stand nun tatsächlich Arzt, und so ging hin und erzählte Herrn Gnitzel nochmals die Geschichte mit dem Herzinfarkt und dem Superplan.
Herr Gnitzel war wenig beeindruckt, er könne nicht an diesem Monitor sein, denn: er müsse rauchen gehen. JETZT.
„Gaa, Rauchen ist ganz schlecht, besonders für ihr Herz, sie sollten darüber nachdenken ganz aufzuhören“, gab ich einen klugen Ratschlag für’s Leben.
Herr Gnitzel starrte mich mit leerem Blick an.
Ich fügte eine wilde Drohung an: Es könne zu schlimmen Herzrhythmusstörungen kommen und wenn es dumm liefe zum vorzeitigen Tode im Raucherhäuschen.
Dann piepste mein Telefon und ich musste irgendetwas in dessen Mikrophon sagen: „Hallo Frau Zorgcooperations, wer ruft an?“, zum Beispiel.
Herr Gnitzel warf mir an dieser Stelle einen verachtenden Blick zu. Er schien nicht viel von verweichlichten Ärzten mit Telefonen zu halten. Im Anschluss rupfte er alle Monitorkabel von Brustkorb und  Armen und verschwand aus der Tür. Das Raucherhäuschen empfing ihn freundlich, und das nicht nur einmal in diese Nacht. Wir machten eine Notiz in die Akte und ließen Herr Gnitzel auf eigene Verantwortung umherwandern.
Irgendwie war ich aber doch frustriert. Herr Gnitzel überlebte trotzdem völlig unbeeinträchtigt.

Was genau hat Herr Gnüller?


Einmal da schickte der besorgte Hausarzt Müller einen seiner Patienten, den Herrn Gnüller. Einen rosa Einweisungsschein bekam der mit auf dem alle möglichen grässlichen Dinge standen, die Herr Gnüller so haben könnte: 1.) Eine Lungenembolie (das hätte Herr Gnüller schon mal gehabt und es bestände nun eine akute neue Luftnot.) 2.) Vielleicht auch einen Herzinfarkt (Das hatte Herr Gnüller zwar noch nie gehabt, es beständen aber Schmerzen im Brustkorb.) Zur Untermauerung dieser Behauptungen hatte der Hausarzt gleich mehrere Schnelltests performt 1.) auf ein D Dimer und 2.) auf ein Troponin. Beides war positiv was sowohl auf eine Lungenembolie als auch den Herzinfarkt hindeuten konnte.
Nun kommen wir also zum spannenden Teil. Was genau hat Herr Gnüller?
Da mit Dingen wir Lungenembolien und Herzinfarkten nicht zu spaßen war, bekam Herr Gnüller nun ein der Notaufnahme des nahegelegenen Klinikums sofort ein ausführliches EKG und eine ebenso ausführliche Analyse der Vitalparameter. Auch besorgte man sich einen diensthabenden Kardiologen, der einen gelangweilten Kardiologenblick über das EKG schweifen ließ und sagte, dies wäre superunauffällig, man solle bitte erst mal die Blutwerte abwarten und, ganz wichtig, einen eigenen Test auf Troponin und D-Dimere machen, denn alles was man nicht selber gemacht hat, ist bestimmt ein großer Mist. Und dann, noch wichtiger, sollte sich der Aufnahmearzt mit dem Problem beschäftigen um es dann möglichst komprimiert in ca. 1 Minute ihm, den Kardiologen vorzutragen.  Auf diese Weises könne er jetzt nämlich erst mal eine random kardiologische aber gesprächsarme Untersuchung an einem sonstigen Patienten durchführen.
Tada. Das Labor hatte einen der seltenen Tage, an welchen es den Arzt extraschnell mit 50 rot gefärbten und fertig analysierte Blutwerte blendete und das in nur einer halben Stunde.
Begeistert drückte mir die Schwester den Bogen in die Hand und erläuterte des Kardiologen Plan, während sie mit dem unauffälligen EKG des Patienten herumwedelte.
Auch unsere Laborwerte zeigten ein positives Ergebnis für das Troponin und D-Dimer. Allerdings zeigten sie auch eine Niereninsuffizienz, was beide Werte grundsätzlich erst mal verfälscht und positiv werden lässt. Ganz egal ob jetzt ein Infarkt oder ein Blutgerinnsel vorliegt.
Naja, dachte ich, da werde ich mal haha PERSÖNLICH mit Herr Gnüller sprechen.
„Hallo Herr Gnüller, der Hausarzt macht sich ja ziemlich Sorgen“, sagte ich und starrte auf den Einweisungszettel, „öh warum erzählen sie nicht kurz von ihren Beschwerden.“
„Also“ sagte Herr Gnüller und löste alle unsere Probleme, „mir hört einfach keiner zu! Wissen sie, heute kam unsere neue Waschmaschine. Und es musste doch jemand da sein die in Empfang zu nehmen! Auf jeden Fall war ich dann spät dran für meinen Termin beim Hausarzt. Der wollte heute die Blutdruckwerte kontrollieren. Weil ich so spät dran war, bin ich eben schnell gelaufen und war dann außer Atem als ich angekommen bin. Aber pünktlich! Da hat die Arzthelferin gleich gesagt: Warum atmen sie so schwer Herr Gnüller, der Hausarzt hat gleich ein EKG gemacht und keiner hat mir zugehört! Jetzt haben sie mich zu ihnen geschickt.“ 
„Oh hm. Hier steht sie hätten auch Schmerzen in der Brust?“
„Ah, das stimmt gar nicht. Das sind meine Rückenschmerzen von der Arthrose. Die habe ich schon seit Jahren und gehe da immer zum Orthopäden hier im Krankenhaus in die Sprechstunde. Können sie nachlesen.“
Wir untersuchten Herr Gnüller zur Sicherheit nochmals gründlich. Die Niereninsuffizienz war ebenso wie die Wirbelsäulenproblematik schon lange bekannt. Nachdem auch die Blutwerte nicht schlechter wurden und Herr Gnüller überhaupt keine Luftnot hatte, schickten wir den supererfreuten Patienten wieder heim. Die Waschmaschine warte auf die weitere Installation.


Anamneseprobleme


Da brachte der Rettungsdienst einen neuen Patienten in die Notaufnahme, denn wozu sonst hat man so eine Notaufnahme.
Übelkeit und Erbrechen.
Weil jetzt unser Monitor gleich eine krumpelige Sauerstoffsättigungskurve anzeigte, ging ich schnell hin um festzustellen ob das nur eine falsche Ableitung des Sensors war oder ein tatsächliches Problem.
„Hallo, Herr Müllor-Stor, ich bin ihr Arzt. Haben sie denn gerade Atemnot?“
„Oh nö.“
„Hm und zuhause?“
„Da auch nicht.“
Weil Herrr Müllor-Stor aber irgendwie blau aussah (ein klassisches Zeichen vieler Leute mit Luftnot), fragte ich zur Sicherheit alles nochmal unter Verwendung mehrerer super Synonyme die ich mir als kluger Arzt so ausgedacht hatte.
„Im Augenblick bekommen sie also gut Luft?“
„Ja genau kein Problem.“
„Und auch daheim gab es keine Probleme mit dem Atmen?“
„Nein. Alles Super. Ich habe nur diese Übelkeit.“
Naja dachte ich, wird er schon besser wissen als ich, was für Beschwerden er hat und entschloss mich nun zu einer offenen Anamnesefrage um die tatsächlichen Beschwerden kennenzulernen.
„Ok gut, gut Herr Müller-Stor, da erzählen sie mir doch noch mal genau was passiert ist, dass sie den Rettungsdienst gerufen haben.“
„Also“, sagte Herr Müller-Stor, „erst habe ich geschlafen. Und dann bin ich aufgewacht, weil ich keine Luft mehr bekommen habe.“
Hmhm. 

Fluktuierende Degeneration


Es war die dritte Nachtschicht in Folge und der Zustand meines Gehirns befand sich in einem Zustand fluktuierender Degeneration. Oder so etwas Ähnlichem.
Plausible Gründe hierfür erschienen mir
a)    Die nahegelegenen Holzfällerarbeiten. (Schlecht für den Tagesschlaf.)
b)    Der große Haufen nachtkranker oder auch nicht nachtkranker Patienten, die eine sofortige Nachtbehandlung benötigen (oder auch nicht benötigten, aber jetzt wären sie schon mal da.)
Gegen 3 Uhr in der dritten Nacht, hatte ich dann aber alle superversorgt und legte mich glorreich in das einladende Dienstarztbett, welches meinen schlafenden Körper für eine halbe Stunde oder so aufbewahrte. Es klingelte das Dienstarzttelefon, ich schreckte hoch, drückte auf ABHEBEN und dachte erst mal Dinge wie:
„Oh Mist oh Mist, was sage ich denn jetzt? Was ist ein normaler Begrüßungssatz an so einem Telefon? Wie heiße ich? Gaaaah! Ich muss jetzt etwas sagen. Sofort! ARGH!!! ABER WAS?“
Nach 2 Sekunden und der Rückkehr grundlegender Gehirnfunktionen im Kommunikationsbereich, presste ich schließlich „Zorgcooperations, Hallo?“ heraus und versuchte das Problem der Frau Nüsemeni zu lösen, welches sich als unglaublich komplex herausstellte und ich telefonierte hierfür viel zu oft mit deren Schwester Frau Nüsemeni 2, die Krankenhäusern im Prinzip misstraute.
Weil das nun alles so kompliziert gewesen war, beschloss ich dies am Morgen dem Tagesstationsarzt der Frau Nüsemeni extra zu übergeben, damit dieser nicht auch eine Stunde (oder auch zwei) mit Frau Nüssemeni 2 telefonieren musste.
Der Tagesstationsarzt war sehr geduldig und hörte sich meinen Vortrag an in welchem ich 5 min lang von Frau Nüsemeni Tochter sprach, bis mir einfiel, dass die ja die Schwester war. Dies sage ich so und setzte den Vortrag dann unbeeindruckt das Wort Tochter verwendend fort, bis mir wieder einfiel das dies ja die SCHWESTER war. Diesen Vorgang wiederholte ich 3 Mal bis der Tagesstationsarzt vorschlug ich solle doch einfach nach Hause gehen.
Auf der Treppe traf ich schließlich auf den Tageschirurgen, der mitleidig lächelte und sagte: „Frau Zorgcooperations, du solltest mal diese Frauencreme für unter die Augen ausprobieren.“
Haha.
Ich schlief dann 20 Stunden mit kurzen Unterbrechungen und die Moral dieser Geschichte ist, öh, traue keinem Nachtschichtarzt in fortgeschrittener Nachtschicht.

No air, no air


Nachdem nun denn die Bevölkerung erst vom Norovirus getroffen worden war, raffte in der Folge ein klassischer Atemwegsvirus die Leute dahin. Oder zumindest fast. Das Krankenhaus wurde so auch nicht leerer und wir meldeten uns von der Leitstelle bezüglich Sauerstoffplätzen ab. Alles voll.
An dieser Stelle reichte mir unsere verzweifelte Anmeldeschwester das Anmeldetelefon. Ein missmutiger Rettungsassistent erzählte mir, dass sie gerade Fräulein Annelie aus dem Pflegeheim mit einer Lungenentzündung abholen und nun zu uns bringen würden. Wie? Was ich denn wolle? Natürlich brauche die Frau Sauerstoff!
Ich erklärte, wie auch schon die Anmeldeschwester, dass alle Bettenplätze mit Sauerstoffanschluss schon vergeben wären, ABER die Nachbarklinik links von Beteigeuze hätte noch welche übrig und…
„Die haben abgelehnt“ bellte der Rettungsassistent grantig.
„Oh, komisch, das kann eigentlich nicht sein, mit denen habe ich erst vor wenigen Minuten telefoniert und da war noch Platz.“
„Können wir jetzt kommen?“ rief mein Gegenüber aufgebracht.
„Moment, nein. Wir können Frau Annelie so nicht unterbringen. Lassen sie mich schnell mit unserer Nachbarklinik telefonieren, was da los war. Bestimmt ein Missverständnis. Ich rufe sie gleich zurück.“
„Sie lehnen die Patientin also auch ab?!“
„Geben sie mir bitte die 3 min, das mit unserer Nachbarklinik zu klären!“
„Also wir kommen jetzt zu ihnen!“ schrie der sich nicht beruhigend lassende Rettungsdienstler und legte erbost auf.
Ich fühlte mich nun auch erbost und rief erst mal den Dienstarzt der Nachbarklinik an, was aus den fünf Sauerstoffplätzen geworden sei, von denen man mir vor einer Viertelstunde erzählt hätte.
„Hö?“ sagte Dienstarzt, „also bei uns hat kein Rettungsdienst angerufen und wir haben auch noch alle fünf Plätze frei. Ja, kein Problem. Wir reservieren dir einen für die Frau Annelie. Kannst du dann gleich zu uns verlegen.“
Wir warteten dann zwei Stunden auf die Ankunft der Patientin. Als ich schließlich in der Nachbarklinik links anrief um das reservierte Bett wieder abzubestellen, lachte der dortige Dienstarzt laut und erklärte, der Rettungsdienst hätte sich nicht mehr nach Beteigeuze getraut und schon vor einer Stunde Frau Annelie unauffällig bei ihnen abgeliefert.

Pfenniggut.


Im Klinikum Beteigeuze gibt es ein mobiles Sonographiegerät. Sehr praktisch und sehr begehrt ist das.
Irgendjemand schiebt eben jenes Gerät immer mit sich herum oder versucht es heimlich auf seiner Station zu horten. Aufgrund des hohen Gebrauchs ging es dann auch mal kaputt. Unwiderruflich kaputt. Ein neues Gerät musste her.
Na gut, dachten sich alle sonoaffinen Ärzte. Wie lang kann so ein Bestellvorgang schon dauern? Haha, unglaublich lange: Gerätekomitees mussten erstellt werden, WARUM überhaupt ein neues Gerät her sollte. Definieren sie erst mal das Wort „kaputt“. Alle Oberärzte mussten befragt werden. Mehrere Male. Blabla. Und einen Antrag hatten sie da immer noch nicht rausgeschickt.
Um nun aber ungeduldige Assistenzarztfußvolk zu beruhigen, das behauptete so in seiner Alltagsarbeit eingeschränkt zu sein, dachte sich die Geschäftsleitung fürsorglich eine Interimslösung aus.
Hatte man nicht im Keller noch ein 20 Jahre altes Gerät stehen, dass eigentlich aussortiert worden war, aber prinzipiell noch pfenniggut war? Ha. Also liebe Assistenzärzte: Hier euer Ersatzgerät für die nächsten drei Monate, oder auch länger, bis wir es eben geschafft haben ein modernes Ultraschallgerät zu besorgen.
Ich kam also aus dem Urlaub zurück und dachte mir, naja, egal, Hauptsache es macht ein Bild. Dann ging ich gespannt das Ersatzgerät suchen, denn ich wollte so einen Ultraschall machen.
Das Ersatzgerät bestand aus einem riesengroßen, gelblich-vergilbtem Kasten, auf dem ein großer Röhrenmonitor montiert war. Der Transport fühlte sich an, als würde man eine unangemeldeten Großüberführung einer kleineren Windmühlenturbine durch die Krankenhausgänge veranstalten und Leute starrten mich mit großen Augen an.
Im Zimmer angekommen betrachtete man gespannt, wie ich gedachte den riesigen Ultraschallkasten a) neben das Patientenbett und b) nahe genug an die Steckdose zu manövrieren. Nachdem ich das Bett des Patienten, seines Zimmernachbarn und dessen Nachtkästchen verschoben hatte, konnte ich aber tatsächlich SOWOHL Kabel einstecken ALS AUCH mit einem Ultraschallkopf den Patienten erreichen. HAHA. Musste ich nur noch anmachen, dieses Gerät. Hier verbrachte ich die nächsten 5 min oder auch länger, damit den Einschalt-knopf zu finden. Dieser befand sich ebenfalls in vergilbtem computergelb irgendwo in einer Rille des Kastens und nun musste ich nur noch weitere 5 min warten, bis das Gerät hochgefahren war und alle Lüfter gestartet hatte. Yay, endlich konnte die Untersuchung beginnen. Das Vergnügen wurde nur von einem breiten, schwarzen Streifen gestört, wo der Bildschirm mittig defekt war.
Besser als nichts, dachte ich mir und überlegte wie ich nun alles korrekt wieder ausschalten sollte. Zum Glück kam hier gerade meine Kollegin Dr. Bo vorbei, die dieses Ultraschallgerät auch wollte.
Ja klar, sagte Kollegin Bo, natürlich wisse sie wie man das Gerät ausschalte. Sprachs und zog den Stecker aus der Steckdose.

Kriminalpolizei


Am Abend verließ Frau Heimbitt nach einem Krankenbesuch das Klinikum Beteigeuze. Doch noch im Foyer mit Blick auf die aktuellen Nachtsterne wurde ihr wohl irgendwie komisch, so dass sie sich hinsetzte. „Ist alles in Ordnung?“ fragte die Pfortendame und löste den Reanimationsalarm aus. Denn Frau Heimbitt antwortete nicht mehr.
Das Reanimationsteam rauschte herbei. Frau Heimbitt konnte aber trotz großer Mühen nicht erfolgreich wiederbelebt werden. Das Reanimationsteam ging wieder weg. Zurück blieb ich, denn irgendwie fühlte sich nun niemand mehr zuständig und die goldene Regel des Klinikums Beteigeuze lautete: „Wenn sich keiner zuständig fühlt, dann ist es auf jeden Fall ein internistisches Problem.“ Der Internist, das war ich.
Mit Hilfe der Pfortendame fand ich schnell heraus, wen Frau Heimbitt besucht hatte. Die erschrockene Freundin erklärte, Frau Heimbitt wäre es geradeeben noch gut gegangen, eine engere Familie gäbe es wohl nicht. Ich hatte Glück und erreichte den Hausarzt, der eine Abendsprechstunde hatte. Nein Frau Heimbitt hätte außer etwas Bluthochdruck, keinerlei Erkrankungen gehabt. Nichts was ihr plötzliches Versterben erklären konnte.
Da man nun aber von mir erwartete irgendetwas in den Totenschein zu schreiben, fragte ich meinen Oberarzt, was immer eine beliebte Strategie internistischer Assistenzärzte ist. Diese eilte gerade in seinen ersehnten Feierabend und murmelte: „Da müssen sie „ungeklärte Todesart“* ankreuzen.“
Dies hatte ich noch nie getan, jetzt aber schon
Dann rief ich die Polizei an, da das Formular dies verlangte. 10 Minuten später stand eine Polizeisteife vor der Tür, die missverständlicherweise glaubte, jemand wäre gerade umgebracht worden. Enttäuscht rief der Alpha-Polizist nun seinen Vorgesetzten an, während der Beta-Teil seines Teams, welcher anscheinend noch nie eine verstorbene Person gesehen hatte, blass in der Ecke stand. Ich stand auch dumm in der Gegend rum.
Dann rief die Kriminalpolizei an und ein ärgerlicher Kriminalpolizist fragte ob ich denn wirklich ungeklärte Todesart ankreuzen wolle. Es folgte nun eine längere Diskussion in der der Kriminalpolizist rief ER hätte „natürliche Todesursache“ angekreuzt und ich sagte Frau Heimbitt hätte überhaupt keine Erkrankung, die dieses plötzliche Versterben rechtfertigen würden.
Ob ich diese Entscheidung den überhaupt mit meinem Hintergrund abgesprochen hätte?! Ja, natürlich, eine oberarztgestütze Ankreuzung wäre das.
Na gut dann würden sie eben eine dreivierte Stunde lang herfahren!!!
Zwei Stunden später rief mich die Pforte an, die Kriminalpolizei wäre nun da und würde auf mich warten.
Super. Inzwischen fühlte ich mich, als hätte ich persönlich die arme Dame in der Lobby ermordet.
Die Kriminalpolizei hatte wohl außerdem länger im Stau gestanden und hielt mir nun einen Vortrag, dass in dieser Klinik viel zu viele dieser Ärzte ungeklärte Todesart ankreuzen würden. Ich konnte mich zwar an keinen einzigen Fall erinnern, nickte aber freundlich und die Beamten waren im Anschluss auch erstaunlich nett. Man fertigte nun ein offizielles Vernehmungsprotokoll an, machte Fotos von Frau Heimbitt und dann ging ich schnell nachhause.
Frau Heimbitts Versterben wurde später wohl auf undefinierte Herzrhythmusstörungen geschoben.

*„ungeklärte Todesart“ : Es gibt zwar keine Hinweise auf eine Einwirkung von außen, die den Tod verursacht haben kann, aber trotz ausreichender Recherchen, kann keine körperliche Erkrankung benannt werden, die den Tod vermutlich verursacht hat.