Tiefdelta

Es war so 23 Uhr nachts. Den Tag davor hatte ich damit verbracht im Zickzack durch’s Krankenhaus zu hüpfen um die Wochenendwünsche der Stationen zu erfüllen. Gerade hatte ich noch einen Patienten auf das letzte freie Bett aufgenommen und wartete nun sehnsüchtig auf meine Ablösung, die Nachtschicht. So ungefähr zwei Stunden wartete ich da schon.
Nicht gewillt auch die Nacht im wunderschönen Klinikum Beteigeuze zu verbringen und zudem im glorreichen Besitz der Privathandynummer von Fr. Dr. Bo, der designierten Nachtschicht der Nacht des Wochenendes, rief ich also da mal an.
Kling kling… kling ring…
„Grxxx …. Grrr… Frau Dr. Bo am Telefon…wer weckt mich zu dieser Stunde?!?“ Frau Doktor Bos Stimme grub sich krächzend aus einigen Tiefschlafdeltawellen hervor.
„Öh hallo Bo. Hier ist Zorgcooperations. Du hast doch die Nachtschicht heute. Kommst du mich bald ablösen?“
„Grxx… WAS? Nö. Ich habe erst NÄCHSTE Woche die Nachtschicht!“
Verwirrt warf ich einen Blick auf den Dienstplan in meiner Hand: „Ah da hast du AUCH Nachtschicht Bo!“
„Urgh… MIST. Na gut, ich komme.“ Mit einem lauten Klonk fiel Bo aus ihrem Bett und eilte mir zur Ablösung.
Viel zu spät verließ ich dann das Krankenhaus um mit einem mittellauten Glump (?) in mein eigenes Bett zu fallen.


Jetzt müsste ich noch wissen, welche Medikamente sie einnehmen: 6 beliebte Standardantworten


1.    Medikamente, die ich einnehme? Öh… Da müssen sie meine Frau fragen, die weiß das!

2.    Ich nehme drei Medikamente gegen hohen Blutdruck. Keine Ahnung wie die heißen. Eine ist so klein und weiß, da nehme ich nur eine halbe.

3.    Hm ja. Und da nehme ich dann das Torasemid. – Wieviel nehmen sie davon denn ein?-  Ja eine Tablette. – Ok. Und wieviel Milligramm enthält ihre Tablette? – Da wollen sie jetzt echt zu viel wissen.

4.    Außerdem habe ich so eine Allergie gegen dieses Antibiotikum. Welches? Hm das weiß ich jetzt nicht so.

5.    Können sie nicht einfach meinen Hausarzt anrufen und fragen? – Theoretisch ja. Praktisch ist es jetzt leider 1 Uhr nachts.

6.    Also ich nehme zwei verschiedene Tabletten. Von der einen da nehme ich eine halbe am Morgen und von der anderen eine ganze am Abend. – Ah. Hmhm.

(Ausgleichend seien hier aber auch die vielen Patienten erwähnt, die ganz genau wissen was sie einnehmen oder sogar einen Medikamentenplan mitbringen.)

Frühstück!


Herr Gümpzü sollte eine Magenspiegelung bekommen. Für so eine Untersuchung muss der Patient nüchtern sein, da man sonst unter den Frühstückteilen nicht so viel vom Magen sieht. Oder aber der Patient würgt das Frühstück während der Untersuchung wieder hoch und atmet es im gleichen Zug ein. Die Lunge resorbiert so ein Frühstück jetzt leider nicht so gut und öh deswegen bekommen die Patienten vor der Untersuchung nichts zu essen.
Herr Gümpzü fand das schlecht und nachdem er ziemlich lange warten musste, trank er stattdessen eine große Flasche Orangensaft und einen Liter Kaffee. Die Gastroenterologen sagten, das ginge so nicht. Mit zwei Litern Flüssigkeit im Bauch wäre ihnen das zu kritisch. Herr Gümpzü wurde auf den nächsten Tag verschoben.
Der nächste Tag brachte zwei komplizierte Notfälle, die den Betrieb aufhielten. Nicht alle geplanten Untersuchungen konnten durchgeführt werden. Als die Gastroenterologen dies gegen Mittag merkten, verschob man Herrn Gümpzüs Untersuchung auf den nächsten Tag.
Und: Pech muss man haben. Am folgenden Tag hatte man einfach komplett vergessen Herrn Gümpzü in den Terminkalender einzutragen. Dies fiel gegen Mittag auf, nachdem die magenspiegelnden Gastroenterologen alle schon heimgegangen waren.
Die Schwestern, zitternd vor der Wut des hungrigen Herr Gümpzüs, schickten nun mich vor, auf dass ich die schlechte Nachricht des erneuten Ausfalls der Magenspiegelung verkünden sollte.
Hin ging ich also. Das ein Patient drei Tag auf seine Untersuchung warten musste, war mir natürlich auch sehr unangenehm. Ich entschuldigte mich sehr ausführlich. Herr Gümpzu war dann auch unglaublich wütend. Ich erwartete hier eine zornige Tirade auf diese schlechte Organisation (zurecht), stattdessen rief Herr Gümpzü: „Schon 3 Tage habe ich kein Frühstück bekommen! DREI TAGE OHNE FRÜHSTÜCK!!! Was denken sie sich eigentlich!!!“
„Das tut mir sehr leid. Ich werde mich persönlich darum kümmern, dass sie morgen als einer der ersten zur Magenspiegelung dran kommen.“
„NEIN NEIN. Das mache ich nicht mehr mit. Noch ein Tag ohne Frühstück, das halte ich nicht aus! Ich brauche jetzt erst mal ein paar Wochen Erholung davon!“
„Oh. Hm. Herr Gümpzü sind sie sich sicher? Ich weiß, das ist alles extrem blöd gelaufen. Aber wenn sie morgen früh gleich drankommen, dann ist die Zeit ohne Frühstück auch relativ kurz. Das könnte doch gehen.“

Herr Gümpzü willigte schließlich grummelig ein und ich telefonierte mit ungefähr dem halben Krankenhaus, konnte ihm schließlich aber den ersten Untersuchungsplatz des folgenden Tages sichern. Die Gastroenterologen hatten hier wohl auch ein schlechtes Gewissen bekommen.

Platzlos und nicht geplatzt


Auf der Station 12 gab es einen Notfall. Auf der Station 12 war außerdem ich der Stationsarzt, weshalb ich auch gleich hineilte und mit mir das ganze Notfallreanimationsteam.
Herr Glo lag am Boden. Daneben kniete eine Schwester und reanimierte Herrn Glo. Wir gruppierten uns irgendwie um Herrn Glo, warfen Herrn Glos Bettnachbarn aus dem Zimmer, stopften stattdessen den Notfallwagen rein, reanimierten weiter, Herr Glo wurde intubiert, erhielt Adrenalin, noch mehr Adrenalin und dann hatten wir Herrn Glo gerettet. Zumindest so ein bisschen. Des Patienten Herz begann wieder zu schlagen, ein zaghafter Blutdruck baute sich auf. Es ergab sich nur noch die Frage: „Wohin jetzt mit dem Patienten?“
Na klar, auf eine Intensivstation sollte er!
Da rief ich nun an und geriet an die aufgebrachte Intensivchefschwester.
„Nein, nein du kannst den nicht auf die Intensivstation verlegen!“
„Aber warum nicht? Der Intensivoberarzt hat mir vorhin gesagt es gäbe Platz.“
„NEIN! Das Bett ist reserviert für einen Patienten, der noch im OP ist!“
„Hm blöd. Aber da können wir den Platz doch haben bis der andere Patient aus dem OP kommt, man hat mir gesagt das würde noch mindestens 6 Stunden dauern. Solange können wir meinen Patienten hier stabilisieren und einen anderen verlegen damit wir Platz haben.“
„Nein. Das darfst du nicht machen. Wir haben keinen Platz!“
„Aber was soll ich denn tun? Herr Glo hier ist extrem instabil und muss beatmet werden. Den kann ich nicht auf einer normalen Station lassen.“
„Wir haben aber keinen Platz!“
„Ihr habt NACHHER keinen Platz, aber jetzt schon. Mein Patient KANN NICHT AUF NORMALSTATION BLEIBEN!!! Er ist beatmet. Er hat einen kardiogenen Schock! Er MUSS JETZT auf die Intensivstation!“
„Aber wir haben keinen Platz.“
„Öh, das geht so nicht. Wir kommen jetzt.“

Der Plan ging dann auch zu unserer Freude gut auf. (Wenn nicht, hätte mich die Intensivchefschwester bestimmt versucht umzubringen) Herr Glo wurde stabilisiert. Ein anderer Patient konnte verlegt werden und der Patient aus dem OP bekam ohne Probleme seinen Platz.

Batterieexperten


Herr Schdel hatte eine schwere Herzrhythmusstörung. So eine bei der das Herz statt 60 Mal in der Minute nur noch 10 Mal schlägt. Dies war Herrn Schdel Gesundheit nur mäßig zuträglich.
Der Chefkardiologe war herbeigestürzt und hatte sogleich einen passageren Schrittmacher in den Patienten hinheingepopelt. Naja, dachte man sich dann: Herr Schdel nimmt ja alle Blutdruckmedikamente der Welt gleichzeitig. Vielleicht geht diese Herzrhythmusstörung wieder weg, wenn wir alles absetzten
3 Tage: Das Wochenende. Mein Oberarzt und ich standen auf der Intensivstation vor Herrn Schdels Bett und schalteten zur Überprüfung der Kadiologentheorie: „das wird von alleine wieder“ den Schrittmacher aus.
Nichts passierte. Nichts im Sinne von Herr Schdel wurde asystol. Oder auch Herr Schdels Herz schlug erst mal nicht mehr. Oder auch im Sinne von Herrn Schdel begann plötzlich bewusstlos zu werden. Klug wie man als Arzt so ist, drehten wir das Rädchen am Schrittmacherkästchen wieder auf „an“.
„Naja, da lassen wir den Schrittmacher mal an!“ entschied der Oberarzt. Jop. Für solche Entscheidungen haben wir ja Oberärzte. Damit hätte sich alles erledigt haben können außer das Herr Schdels Blutdruck jetzt zu hoch war.
Dann war es später und eine Intensivpflegekraft hielt mich auf:
„Duuuu Frau Zorgcooperations! Da blinkt so ein rotes Lämpchen am Schrittmacherkästchen von Herrn Schdel.“
„Ah“. Ich ging hin und stellte fest: Das war das „Batterie ist gleich leer“-Lämpchen. Im Anschluss stellte ich außerdem fest, dass keine der kardiologischen Fachkräfte da war, die sonst so eine Batterie wechselten.
„Haben wir denn ein Ersatzgerät“, fragte ich, in der Hoffnung, die Sonden des passageren Schrittmachers, welche aus dem Hals des Patienten ragten, einfach in ein Ersatzantriebsaggregat“ umstecken zu können.
Es begab sich denn nun, dass zu dieser Zeit eine Schwemme an Personen mit Herzrhythmusstörungen das Klinikum Beteigeuze heimgesucht hatten und in großer Zahl alle verfügbaren passageren Schrittmacher in Besatz nahmen.
„Nö“, sagte die Intensivpflegekraft, „Ham‘ wir keins. Hier ist eine Ersatzbatterie für dich… Was? Nö. Keine von uns hier hat jemals so eine Batterie gewechselt. DU BIST DOCH DER ARZT!“
„Ja super. Ich habe auch noch nie so eine Batterie getauscht!“ Hier rief ich meinen Oberarzt an, aber der war schon heimgegangen und als ich ihn dort von seinem gemütlichen Sofa aufscheuchte, sagte er: „Ja da wechseln sie halt die Batterie. Jetzt stellen sie sich nicht so an. Das ist ganz einfach. Der Schrittmacher hat 30 Sekunden Energie ohne Batterie. Tschüss!“
Während dieser Zeit hüpfte die Intensivpflegekraft wild um mich herum und rief: „Das Licht blinkt rot! Bestimmt geht er gleich aus der Schrittmacher!! Was sollen wir nur tun?! Er wird sterben!“
„Jaja“, sagte ich, „wechseln wir halt die Batterie. Wir haben 30 Sekunden Zeit.“
„Aber was ist, wenn dir die Batterie runterfällt?!!“
Mit diesen beruhigenden Worten im Ohr betrat ich Herrn Schdels Zimmer. Herr Schdel hatte keinen Plan von der Dramatik der Situation und schlief.
Ich nahm also das Schrittmacherkästchen, welches neben dem Bett und an Herrn Schdel hing und suchte nach irgendetwas, das aussah wie ein Batteriefach.
Was nun folgte war sehr langweilig. Ich fand eine Klappe. Ich öffnete sie: Aha, tatsächlich das Batteriefach. Batterie raus. Andere Batterie rein. Klappe zu. Oh wie mache ich die Arretierung des Faches wieder rein? Hhm. AAAAAAaarghhh. Oh ach hier. Ha. Super. Batterielicht blinkt wieder grün.
Das war tatsächlich ziemlich einfach.

Eine Wintergeschichte


Es war so Abend und ich trödelte als der Dienstarzt vom Dienst in der Notaufnahme rum. Meine zu betreuenden Patienten waren gerade beide zum Röntgen aufgebrochen und vielleicht sollte ich nun eine kleine Pause… aber da rief Station 11 an, die wohl etwas geahnt hatten und baten ganz dringen um ärztlichen Beistand: Schwieriger Patient.
Aha. Hm. Bei Eintreffen auf Station 11 erklärte mir die Schwester missmutig, der erst aufgenommene Patient, wäre mit seinem Zimmer unzufrieden. Ah.
Ich blätterte durch die Akte: „Herr Noczel, 45 Jahre alt mit einer chronischen Bronchitis und einer Lungenentzündung. Zimmer 3.“
Ein beruhigendes Gespräch, der Hinweis, dass wir gerade überbelegt wären, wer kann schon einer logischen Argumentation widerstehen, die dazu noch von einem weißbekittelten Arzt vorgebracht wird.
Dachte ich mit noch so. Haha.
Herr Noczel war auch in Zimmer drei und schon von weitem als unzufrieden erkennbar. Sein Bett hatte er nicht berührt. Seine Tasche stand gepackt auf dem Tisch.
Herr Noczel erzählte mir er habe eine chronische Bronchitis. Und da müsse das Fenster offen sein. Und die Tür. Sonst könne er nicht in dem Zimmer sein. Er bekäme sonst keine Luft.
„Oh. Draußen hat es -2°. Es schneit. Da können wir nicht immer das Fenster und die Tür offen haben. Sie müssen Rücksicht auf die anderen Patienten nehmen. Wir können ihnen aber hier im Zimmer Sauerstoff über eine Nasenbrille oder Maske anbieten, dann…“
Herr Noczel unterbrach mich und schimpfte, dass das Fenster UND die Tür offen sein müssten. Bei seinem letzten Aufenthalt habe er ein eigenes Zimmer gehabt, da wäre das doch gegangen!
„Leider sind wir aktuell überbelegt. Da können wir ihnen kein Einzelzimmer anbieten.“
„Das ist nur weil ich kein Privatpatient bin!“ schimpfte Herr Noczel wütend. Der Wind blies nun einige Schneeflocken herein und es war echt kalt. Die Zimmernachbarn hatten sich prophylaktisch unter ihren Decken vergraben. (Leider hätte es meiner Arztkompetenz vermutlich geschadet, hätte ich auch eine Decke mitgebracht.)
„Manchmal muss man Kompromisse eingehen. Ich kann ihnen aktuell kein Zimmer anbieten in dem sie dauerhaft Fenster und Tür offen haben können.“
Herr Noczel und ich drehten uns dann mehrere Male argumentativ im Kreis und Herr Noczel sagte schließlich er würde dann gehen, er habe sowieso nicht hergewollt. Der Sohn habe ihn gezwungen.
Ich sagte seufzend, dass der Sohn nicht unrecht hätte, würde ihm aber nun einen Kurzbrief für den Hausarzt machen und Antibiotika für den Abend und nächsten Tag mitgeben, außerdem müsse er mir einen gegen-ärztlichen-Rat-Zettel unterschreiben.
„Kein Problem“, sagte Herr Noczel. Ich ging, ich tat und ich betrat mit meinem Kurzbrief und dem versprochenen Antibiotikum Zimmer drei.
Die Zimmernachbarn schauten mich mitleidig an. „Tut und Leid Frau Doktor, sobald sie weg waren, ist der rausgerannt und wir haben ihn vorhin aus dem Fenster zur Straße eilen gesehen.“
Missmutig entledigte ich mich des tollen Briefes samt Zubehör und wanderte zurück in die Notaufnahme, wo meine nun beröntgeten Patienten schon warteten (weil ich ja erst den blöden Brief geschrieben hatte. Und die Schwester wegen des Antibiotikums genervt hatte. Und das Anti-Aufenthalts-Formular suchen musste.)
Eine halbe Stunde später rief Station 11 schon wieder an, die Polizei wäre dran. Für mich. WTF?!
Ein freundlicher Polizist meldete sich und fragte ob wir zufälligerweise einen Herrn Noczel bei uns im Klinikum gehabt hätten? „Warum?!“ „Der behauptet, er wäre bei euch abgehauen und läuft jetzt gerade auf der mehrspurigen Bundesstraße heim.“ „Ah super! Ja, den Teil mit abgehauen kann ich so bestätigen.“
Ich hoffte dann inständig, dass die Polizei Herrn Noczel nicht zurück zu uns bringen würde. Und die Polizei war klug und fuhr ihn exklusiv zu seinem Sohn, der versprach sich um den Vater zu kümmern.

Schlecht halt.


Frau Liene-Mi war eine sehr nette, 80-jährige Dame, vermute ich, sofern sie gerade nicht ins Krankenhaus musste. Der Hausarzt hatte sie geschickt, da sie sich seit längerem sehr unwohl fühle und er eine Verschlechterung der Herzfunktion vermutete.

Frau Liene-Mi fühlte sich insgesamt sehr grummelig und die ganzen Fragerei ging ihr so langsam auf die Nerven. Erst der Hausarzt, dann die Aufnahmeschwestern, zwischendurch ihre zwei Töchter und nun wollte diese Aufnahmeärztin schon wieder alles wissen.

So krümmte sie sich nun auf der nur so mittelbequemen Liege mit dem Rücken zu mir und beantwortete grimmig meine Anamnesefragen. Ich hatte auch schon ein schlechtes Gewissen.

„Können Sie mir den beschreiben, wie das genau ist, wenn sie sich nun so schlecht fühlen.“

„Hm grm.. schlecht halt!“

„Ok. Hm, haben sie da spezifische Symptome dazu?“

„Ich fühle mich nicht gut!“

Das war echt schwer. Frau Liene-Mi starrte missmutig an die Wand und ich missmutig auf mein Anamneseblatt, auf welches ich bis jetzt diffus „schlecht“ notiert hat.

„Hatten sie in den letzten Wochen denn mal einen Infekt?“
Hier musste ich wohl etwas undeutlich gesprochen haben, denn Frau Liene-Mi drehte sich nun plötzlich um und schaute mich erstaunt an. Dann sagte sie etwas empört: „Was wollen sie wissen?! Ob ich in den letzten Wochen Sex gehabt hätte?!“

Öh hm. Fast.

Gnosu


Gnosu war so ungefähr 2 Jahre alt. Vor dem zu Bett gehen, hatte sie ein großes Stück aus ihrem Trinkglas herausgebissen und wo sie schon dabei war, Teile davon gleich aufgegessen. Oder so ähnlich.

Gnosus Eltern waren hierüber doch irgendwie alarmiert und brachten die Tochter vorsichtshalber in die Notaufnahme eines nahegelegenen Krankenhaus.

„Hallo Gnosu“, sagte ich, „ich bin der Dienstarzt heute Nacht.“

Hier hechtete Gnosu von der Untersuchungsliege herunter, auf der sie gerade eben noch friedlich neben ihrem Vater gesessen hatte, und versuchte der Notaufnahme und dem überraschend aufgetauchten Dienstarzt zu entfliehen.

Die Dienstschwester versperrte aber die Tür und wir versuchten die Untersuchung fortzusetzen. Oder überhaupt zu beginnen

„Ich bin völlig harmlos!“ behauptete ich nun und fuchtelte unbedrohlich mit meiner Pupillenlampe herum, während ich Gnosu den Plan erklärte der da war: Mit der professionellen Pupillenleuchte festzustellen ob es durch den Glasverzehr zu Verletzungen im Mundraum gekommen war.

Gnosu hatte aber keine Lust den Mund jetzt aufzumachen und ich hoffte das die Batterie der Lampe nicht vor der geplanten Ausleuchtung zugrunde ging.

Mithilfe pantomimischer Vorführungen und der geduldigen Mutter war Gnosu dann zu überzeugen doch den Mund aufzumachen, wobei sie aber zur Vorsicht den Kopf weit weg von mir drehte. Ich wickelte mich also irgendwie um die Mutter, die Gnosu festhielt um weitere Fluchtversuche zu verhindern und kurz bevor ich den Winkel erreicht hatte, über welchen ich Gnosus Mundinnenraum hätte betrachten können, machte diese lieber dem Mund schnell zu.

Wir wiederholten das Ganze noch zwei Mal und wurden schließlich doch noch mit einem Blick kurz auf unbeschädigte Mundschleimhaut belohnt. Yay.

Daraufhin erklärte ich der Familie, dass die sehr bewegliche Schleimhaut des menschlichen Verdauungstraktes in der Regel auch spitzige Glasscherben ohne Probleme durch die Gegend transportieren könne und solange das Kind keine Beschwerden habe alles im öh grünen Bereich wäre. Dann schicke ich alle wieder heim. Sehr zur Freude von Gnosu.

Ein Piepsakt


Da war ich also wieder mal so ein Dienstarzt und in meiner Tasche steckt glorreich ein Notfallpiepser. Der Notfallpiepser bricht in ohrenbetäubendes Piepsen aus, sobald irgendwo in der Klinik ein lebensbedrohlicher Notfall vorfällt und einer der Involvierten gleich einer Reanimation bedarf. Vermutlich. Manchmal ist es nämlich nur ein Kommunikationszentralen-herr, der die korrekte Funktion des Piepsakts überprüft.

Alle Piepserbesitzer begeben sich im Rahmen des Piepsgeschehens dann sofort zum Notfallgeschehen und führen wichtige Notfallhandlungen aus.

Egal, ich trug also diesen Piepser und weil in so einem Krankenhaus jetzt nicht dauernd jemand stirbt, piepst dieser auch fast nie.

Dann ging ich irgendwann mal auf’s Klo, weil ich da schon länger nicht mehr war. Während meines Kloaufenthaltes klingelte dann auch gleich das Telefon. Nun erwartete ich auch tatsächlich einen sehr wichtigen Anruf vom Labor. Deswegen drückte ich „Anruf annehmen“ und es überfiel mich statt des Labors Frau Miederfanns Sohn, der mehr Details zu seine Mutter wissen wollte und leider ein unverbesserlicher öh, hm: also wenn andere Leute sagen:

„Hallo“

dann sagte Herr Miederfann mindestens:

„Und einen schönen guten Tag wünsche ich ihnen hiermit an diesem Tag heute und hier, der wirklich gut ist dieser Tag, finden sie nicht auch? Auf jeden Fall begrüße ich sie hiermit und nun …“

Ich versuchte Herrn Miederfann klarzumachen, dass es jetzt echt ungeschickt wäre und ich später zurückrufen würde, was in einer Unterhaltung ähnlich dieser resultierte:

„Das ist jetzt sehr ein schlechter Zeitpunkt. Ich…“

„Ah jaja verstehe Frau Zorgcooperations. Da haben sie sicher sehr viel zu tun. Heute ist es ja auch so heiss draußen. Da gibt es sicher viele Kranke. Ja da müssen sie sicher viel tun und ich will sie dabei gar nicht behindern. Nein ich bewundere was die Ärzte heutzutage so leisten!“

„Vielen Dank Herr Miederfann. Da würde ich sie später zurückrufe…“

„Das ist aber nett von ihnen Frau Zorgcooperations. Ich muss wirklich wissen wie es meiner Mutter geht. Sie hat diese Arthrose schon so lange. Wir wissen gar nicht was wir machen sollen. Früher hat sie ja noch Sport gemacht und ist immer zur Frauengymnastik gegangen. Aber jetzt wo auch noch ihre Katze Fifi gestorben ist..“

Ich überlegte ob es sehr unhöflich wäre nun einfach aufzulegen und versuchte gleichzeitig meine Hose anzuziehen ohne das Telefon ins Klo zu werfen, welches wackelig zwischen meinem Ohr und der Schulter klemmte.
PIEP PIEP PIEP erklang da mein Notfallpiepser.

„Oh ein Notfall. Jetzt muss ich wirklich aufhören.“

„Ahhh ein Notfall. Da möchte ich sie natürlich nicht aufhalten. Das ist sicher sehr wichtig. Meine Mutter…“

Hier sagte ich verzweifelt ganz schnell: „Tschüss Herr Miederfann“, legte auf, warf Desinfektionsmittel über meine Hände und das Telefon und begab mich unauffällig zum Notfallort.




Graben-Meteorit


Es war ein schöner Abend, die Sonne versank mittelrot hinter der Klinik und die Pforte stellte mir einen mysteriösen Anruf durch.

Es stellte sich Herr Gäb-Bodele vor, seit längerem habe er immer so einen Druck auf der Brust und man habe ja schon alles untersucht, aber nie etwas gefunden, jetzt habe er mit einem Arzt aus Polarstern telefoniert und der habe vorgeschlagen, man solle doch ein PET CT machen.

Hier machte Herr Gäb-Bodele eine bedeutungsschwere Pause und ich war verwirrt, was man nun von mir erwartete:

Wollte Herr Gäb-Bodele eine Zweitmeinung bezüglich des PET-CTs?

Hoffte er auf eine baldige Durchführung dessen?

Oder aber und hier stellte ich erst mal die naheliegende Frage: „Haben sie denn aktuell die Beschwerden?“

„Ja, nein. Gerade nicht.“

„Hmhm. Und was ist denn nun der Anlass für sie, heute Abend um 21 Uhr bei uns anzurufen?“

„ICH HABE SCHON SEIT EINEM JAHR IMMER WIEDER DEN DRUCK AUF DER BRUST!“

„Ah. Hm. Und sie sagen, man hätte das schon genauer untersucht?“

„Jaja, Röntgen, normales CT, Ultraschall, Blutuntersuchungen, Belastungs-EKGs! Nie ist was rausgekommen. Das kann doch gar nicht sein. Und Herr Dr. renommierter Oberarzt aus Polarstern sagte mir nun, da könne man ein PET-CT machen!!“
„Hm. Wir können jetzt nicht sofort ein PET-CT machen. Das ist keine Notfalluntersuchung. Ganz davon abgesehen, dass wir hier kein solches Gerät haben. Das machen hochspezialisierte Zentren, die eine stabile Bauweise und robuste Statik aufweisen.“

„Aber ich habe den Druck immer wieder!“

„Sie dürfen gerne vorbeikommen und wir schauen uns alles nochmal an. Nur wenn sie aktuell gar keine Beschwerden haben, bin ich mir nicht sicher ob das so sinnvoll ist, nachts in die Notaufnahme zu gehen.“

„So?! Und sie können mir garantieren, dass mir heute Nacht nichts passiert?!!“

„Nein, genauso wenig wie ich ihnen garantieren kann, dass heute Nacht kein Meteorit in ihr Haus einschlägt und in einem riesigen Krater das nächste PET-CT versenkt.“

Herr Gäb-Bodele war nicht zufrieden und beschloss zur Sicherheit doch vorbeizukommen.

Als ihm die Aufnahmeschwester jedoch erzählte, er müsse leider zwei Stunden warten, ging er wieder heim.