Verheugen geht – Suche nach Informationen bleibt

Kein TV-Magazin ohne Pharmathema. Gestern nahm sich Frontal21 der Lockerung des Werbeverbots für rezeptpflichtige Arzneimittel an. Die EU-Kommission unter Federführung des EU-Industriekommissars Günter Verheugen plant die Informationseinschränkungen aufzuheben. Arzneimittelhersteller dürften dann direkt den Patienten über ihre Produkte informieren. Das Deutschlandradio hatte sich vor einer Woche mit den Plänen beschäftigt.

Erst einmal halte ich beide Beiträge für ein trauriges Stück Journalismus und für Irreführung der Zuschauer bzw. Zuhörer. Verheugens Pläne sind alles andere als neu. Anfang 2008 hatte er ein Konzept vorgelegt und zu Stellungnahmen aufgerufen. Die kamen zahlreich und zum überwiegenden Teil ablehnend. Im Oktober 2008 war er dann mit seinem Pharmapaket innerhalb der EU-Kommission gescheitert. Auch weil er strategisch unklug (oder zum Glück) die Lockerung mit einem faktischen Verbot des Parallelhandels verschnürt hat. Im Juni 2009 wird ein neues EU-Parlament gewählt und eine neue EU-Kommission gebildet. Um es mal deutlich zu sagen: Das Ding ist tot. Dagegen wird den Zuschauern suggeriert, dass es eine aktuelle Diskussion ist und die Entscheidung Spitz auf Knopf stünde. Dabei rechnen Insider und Experten aus Politik und Pharmaindustrie nicht vor 2011 mit einer Wiedervorlage.

Bei der Sache bin ich nicht so entschieden, wie die Autoren der Medienstücke. In beiden Beiträgen wird ein eine Tatsache bewusst ausgeklammert, an der in der Diskussion niemand vorbei kommt. Patienten wollen sich zunehmend informieren und machen dies schon. Nicht nur im Internet sind Medizin und Gesundheit Top-Themen. Auch für die Print-Verlage sind es Highlights im düsteren Überlebenskampf. Nicht zuletzt hat es seinen Grund, warum kein TV-Magazin ohne Medizinbeitrag auskommt.

Die Pharmaunternehmen argumentieren immer wieder mit den Zwei-Klasse-Patienten. Die einen könnten sich die englischsprachigen Infos im Internet zusammen suchen – die anderen wären auf die kargen deutschsprachigen Quellen angewiesen. Oder mit den Zwei-Klasse-Produkten. Hersteller von dubiosen Nahrungsergänzungs- und Naturheilmittel dürften ungeprüfte Informationen über das Internet, in Zeitschriften und über Experten wie Bankhofer verbreiten. Über zugelassene und in klinischen Studien geprüfte Arzneimittel sollte der Patient dagegen nichts erfahren.

Das ist so falsch nicht, wenngleich man die Absichten der Pharmaunternehmen kritisch hinterfragen muss.

An einer Novellierung der Bestimmungen, wie Information über Arzneimittel an den Patienten gebracht werden, führt kein Weg vorbei. Auch eine Folge der Medienrevolution und des Internets. Ob man es mag oder nicht, es geht nur zusammen mit den Pharmaunternehmen. Sonst wird die intransparente Grauzone mit gekauften Journalisten, Disease Awareness-Kampagnen und bezahlten Experten, die es heute schon gibt, weiter wachsen. Verheugens Pläne waren zu pharmafreundlich und haben gerechtfertigte Bedenken nicht berücksichtigt. Mit Verheugen und dem Richtlinienentwurf verschwindet jedoch nicht das Problem.

"Destroy them where they live"

Über den Umgang der Pharmaindustrie mit kritischen Medizinern:

Staff at US company Merck &Co emailed each other about the list of doctors – mainly researchers and academics – who had been negative about the drug Vioxx or Merck and a recommended course of action.

The email, which came out in the Federal Court in Melbourne yesterday as part of a class action against the drug company, included the words “neutralise”, “neutralised” or “discredit” against some of the doctors’ names.

It is also alleged the company used intimidation tactics against critical researchers, including dropping hints it would stop funding to institutions and claims it interfered with academic appointments.

“We may need to seek them out and destroy them where they live,” a Merck employee wrote, according to an email excerpt read to the court by Julian Burnside QC, acting for the plaintiff.

(Quelle)

Traumberuf Medizinjournalist (XIV)

Heute ist wieder so ein Tag, an dem die Medizinjournalisten in aller Welt zur Hochform auflaufen. Nur die Kollegen aus Deutschland sind noch ein wenig in Verzug. Selbst “focus.de” ist bis jetzt noch nicht am Start.

Wunderpille gegen Herzerkrankungen (der Standard)
‘Superpill’ may cut heart disease: study (AFP)
Polypill cuts stroke risk by half (Livemint)
Five-in-one ‘polypill’ can halve risk of heart disease, says study (Guardian)
Polypill ‘significantly reduces the risk of heart disease and strokes’ (Telegraph)

Worin genau liegt die Sensation? Eine Studie eines kanadischen Wissenschaftlers mit umfangreichen Verbindungen zur Pharmaindustrie hat im Auftrag einer indischen Pharmafirma gezeigt, dass die gemeinsame Einnahme von fünf Wirkstoffen einige ausgewählte Laborparameter ähnlich stark beeinflusst, als würde man die Wirkstoffe einzeln schlucken.

Der in vielen Schlagzeilen behauptete klinische Nutzen, der bei der Primärprävention von Herzinfarkten und Schlaganfällen schon für die Einzelwirkstoffe fraglich ist, war noch nicht einmal Gegenstand der Untersuchung.

Traumberuf Medizinjournalist (XIV) (Update)

Heute ist wieder so ein Tag, an dem die Medizinjournalisten in aller Welt zur Hochform auflaufen. Nur die Kollegen aus Deutschland sind noch ein wenig in Verzug. Selbst “focus.de” ist bis jetzt noch nicht am Start.

Wunderpille gegen Herzerkrankungen (der Standard)
‘Superpill’ may cut heart disease: study (AFP)
Polypill cuts stroke risk by half (Livemint)
Five-in-one ‘polypill’ can halve risk of heart disease, says study (Guardian)
Polypill ‘significantly reduces the risk of heart disease and strokes’ (Telegraph)

Worin genau liegt die Sensation? Eine Studie eines kanadischen Wissenschaftlers mit umfangreichen Verbindungen zur Pharmaindustrie hat im Auftrag einer indischen Pharmafirma gezeigt, dass die gemeinsame Einnahme von fünf Wirkstoffen ausgewählte Laborparameter ähnlich stark beeinflusst, als würde man die Wirkstoffe einzeln schlucken.

Der in vielen Schlagzeilen behauptete klinische Nutzen, der bei der Primärprävention von Herzinfarkten und Schlaganfällen schon für die Einzelwirkstoffe fraglich ist, war noch nicht einmal Gegenstand der Untersuchung.

Update: Na also, geht doch. Focus Online gewinnt wie in erwartet den nationalen Geschwindigkeitspreis mit dem Titel “Kombi-Pille: Alleskönner für den Herzschutz”.

Traumberuf Medizinjournalist (XIV) (Update 2)

Heute ist wieder so ein Tag, an dem die Medizinjournalisten in aller Welt zur Hochform auflaufen. Nur die Kollegen aus Deutschland sind noch ein wenig in Verzug. Selbst “focus.de” ist bis jetzt noch nicht am Start.

Wunderpille gegen Herzerkrankungen (der Standard)
‘Superpill’ may cut heart disease: study (AFP)
Polypill cuts stroke risk by half (Livemint)
Five-in-one ‘polypill’ can halve risk of heart disease, says study (Guardian)
Polypill ‘significantly reduces the risk of heart disease and strokes’ (Telegraph)

Worin genau liegt die Sensation? Eine Studie eines kanadischen Wissenschaftlers mit umfangreichen Verbindungen zur Pharmaindustrie hat im Auftrag einer indischen Pharmafirma gezeigt, dass die gemeinsame Einnahme von fünf Wirkstoffen ausgewählte Laborparameter ähnlich stark beeinflusst, als würde man die Wirkstoffe einzeln schlucken.

Der in vielen Schlagzeilen behauptete klinische Nutzen, der bei der Primärprävention von Herzinfarkten und Schlaganfällen schon für die Einzelwirkstoffe fraglich ist, war noch nicht einmal Gegenstand der Untersuchung.

Update: Na also, geht doch. Focus Online gewinnt wie erwartet den nationalen Geschwindigkeitspreis mit dem Titel “Kombi-Pille: Alleskönner für den Herzschutz”.

Update 2: Auf Platz 2 begrüßen wir Werner Bartens (jetzt.de / Süddeutsche Zeitung):

Besonders Herzinfarkt und Schlaganfall wurden durch den Arzneicocktail weniger wahrscheinlich.

und Bronze geht an die Berliner Morgenpost, mit einem Sonderpreis für den größten klinischen Nutzen:

Damit sinkt das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei gesunden Personen um mehr als 80 Prozent.

Nobody-Affäre bringt JAMA-Herausgeber unter Druck

Die Herausgeber der renommierten Fachzeitschrift JAMA hatten kürzlich für Aufsehen gesorgt. Sie hatten den Wissenschaftler Jonathan Leo als “Nobody and Nothing” beschimpft und nicht nur ihn, sondern auch seinen Arbeitgeber in beispielloser Weise unter Druck gesetzt. Leo hatte zuvor öffentlich auf inhaltliche Unstimmigkeiten und verschleierte Interessenkonflikte in einem pharmafreundlich ausgefallenen JAMA-Artikel hingewiesen.

Die JAMA-Herausgeber sahen sich zunächst gezwungen, in einem pdf-DateiOnline-Editorial ihr Verhalten wortreich zu rechtfertigen und zu relativieren.

In einer pointierten Stellungnahme schildert und bewertet der “Nobody” daraufhin die Vorgänge:

The implications of the JAMA’s reaction to our letter are significant. […] In the past, I have criticized direct-to-consumer advertising of psychiatric medications, which is not helpful to Big Pharma. However, I have never been telephoned or threatened by representatives from Big Pharma. In contrast to my experience with JAMA, any exchanges have been civil and appropriate.
[…]
What began as a short (and potentially obscure) letter about undisclosed COI has now led to questions about the limits of institutional authority in the medical publishing industry, the extent of academic freedom, and even the role of the First Amendment.

Am Mittwoch hatte die pharmakritische Alliance for Human Research Protection (AHRP) in einem offenen Brief an die American Medical Association (AMA) als Konsequenz aus den Vorgängen die sofortige Suspendierung der beiden beteiligten Herausgeber und eine Entschuldigung gegenüber Jonathan Leo gefordert. Die AMA kündigte daraufhin am Freitag an, die Vorwürfe formell untersuchen zu wollen:

In accordance with the Editorial Governance Plan for JAMA, this entire matter is being formally referred to the Journal Oversight Committee (JOC). The AMA is requesting that the JOC examine the concerns related to Professor Leo’s inquiry and upon completion present its findings to the AMA Board of Trustees. The AMA Board will give careful consideration to whatever is reported to it by the JOC.

Auch in Österreich niemand falsch behandelt

Heimische Ärzte geben aber Entwarnung: Der Schmerztherapeut Hans-Georg Kress vom AKH Wien hält es für unwahrscheinlich, dass Patienten durch die gefälschten Studien falsch behandelt wurden.

Was der ORF nicht erwähnt: Kress steht – wie seine Kollegen, die in der deutschen Presse zu Wort kamen – in Diensten von Pfizer.

Und auch Kress ist ein großer Freund von Cox-2-Hemmern, einer Substanzklasse, deren Verschreibung durch die Verbreitung der gefälschten Studienergebnisse gefördert wurde. Schon kurz nach der Marktrücknahme des Cox-2-Hemmers Vioxx® im Jahr 2004 informierte er die Ärzteschaft in einem PR-Artikelchen unter der Überschrift “Celecoxib: bestens auf Herz geprüft”, dass der Cox-2-Hemmer Celecoxib (Celebrex®) von Pfizer ohne Sorge weiter verschrieben werden könne, es handle sich bei den fatalen Nebenwirkungen nicht um einen “Klasseneffekt”.

Auch im Jahr 2007 bezeichnet Kress Celebrex® als “Substanz der Wahl”, schließlich seien die unerwünschten Nebenwirkungen von Vioxx® nun doch ein “Klasseneffekt”, und zwar aller NSAR (dazu gehört neben den Cox-2-Hemmern z.B. auch Aspirin®).

Und Kress steigt in der Sache selbstverständlich auch als Sprecher für Pfizer in die Bütt:

Auch in Sachen Oxycodon – neben den Cox-2-Hemmern eine Forschungsleidenschaft von Scott Reuben – war Kress für Mundipharma unterwegs.

Anspruchsvolle Patientenkommunikation

Wie bereits in den Vorjahren ist es Merz Pharmaceuticals gelungen, seinen Internetauftritt anspruchsvoll weiterzuentwickeln und damit einen weiteren Sprung in den Top-Rängen zu erzielen. Bei dem aktuellen Benchmarking belegt Merz nun den 1. Platz im Bereich der Angebotsqualität.

Mit seinen umfassenden Informations- und Serviceangeboten auf den Webseiten im Bereich Neurologie und Dermatologie gelingt es Merz sich neben den Branchengrößen wie Roche, Bayer Vital, GlaxoSmithKline oder Merck zu etablieren und im Gesamtranking Platz 5 bei den Fachkreisen und Rang 6 bei den Patientenwebseiten zu belegen.

Unklar bleibt in der Merz-Pressemeldung leider, ob auch das Internetangebot der “Deutschen Seniorenliga” zum Thema Alzheimer-Erkrankung (dsl-alzheimer.de) und die Web-Site der österreichischen Merz-Tochter in die Wertung eingegangen sind.

Wer finanziert die "Initiative Schmerzfreie Klinik"?

Nahezu ungeteilt positives Presseecho fand vor rund drei Jahren die Gründung einer “Initiative Schmerzfreie Klinik”.

Das Handelsblatt schrieb:

Der Kölner Mediziner Edmund Neugebauer will mit dem Tüv Rheinland die Schmerzbehandlung in deutschen Krankenhäusern verbessern. Kliniken, die sich um eine schmerzfreie Behandlung bemühen, sollen mit einem speziellen Tüv-Zertifikat werben dürfen.

Selbst Der Spiegel zeigte sich ungewohnt begeisterungsfähig:

Aus seinen geballten Erfahrungen hat Neugebauer jetzt gemeinsam mit dem TÜV Rheinland ein Zertifikat entwickelt. Um es zu erwerben, können sich Krankenhäuser prüfen lassen. Wer besteht, darf sich mit dem TÜV-Siegel “Initiative Schmerzfreie Klinik” schmücken.

Und beim Deutschen Ärzteblatt hörte sich das folgendermaßen an:

Chirurgen gründen „Initiative Schmerzfreie Klinik“

Eine „Initiative Schmerzfreie Klinik“ hat die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie (DGCH) im Rahmen ihres 123. Kongresses vom 2. bis 5. Mai in Berlin vorgestellt. „Die beste Möglichkeit, die Genesung eines Patienten zu beschleunigen ist es, im Rahmen einer Operation erwartete Schmerzen zu vermeiden und zu lindern“, erklärte Prof. Dr. Edmund Neugebauer, Vorsitzender der Chirurgischen Arbeitsgemeinschaft Akutschmerz (CAAS) der DGCH aus Köln.

Schön, wenn Mediziner aus altruistischen Motiven heraus “Initiativen” gründen.

Das Netz gibt zur Finanzierung der “Initiative Schmerzfreie Klinik” erstaunlich wenig Informationen her. Deshalb einfach mal in den Raum gefragt: Um welches Projekt genau handelt es sich bei dem “Pain Free Clinic Initiative project” von Pfizer, für das Neugebauer angibt, als Berater tätig zu sein?

Pfizer ist Anbieter von Schmerzmitteln, deren postoperativen Einsatz manche Experten wegen potentiell tödlicher Nebenwirkungen für strikt kontraindiziert halten.