H.M. ist gestorben

Henry Gustav Molaison, dessen Schicksal seit Jahrzehnten in Fachbüchern Studierenden die anterograde Amnesie veranschaulicht, ist im Alter von 82 Jahren vergangenen Dienstag verstorben.

H.M. wurden im Alter von 27 Jahren die medialen Strukturen beider Temporallappen (2/3 des Hippocampus, Teil der Amygdala, Anteile der angrenzenden Rindenfelder) entfernt, um seine schweren epileptischen Anfälle zu lindern. Nach der Operation war H.M. dann auch größtenteils anfallsfrei. Der Eingriff führte jedoch auch zu einer anterograden Amnesie. H.M. wurde quasi in dem Moment vor seiner Operation eingefroren. Er war nicht mehr in der Lage neue Informationen zu speichern. Jahrzehnte später zum Beispiel bezeichnete er sich als jungen Mann und erschrak…

Kreuzallergie / Kreuzreaktionen

Kreuzallergien/Kreuzreaktionen sind sehr gefährlich. Man ißt eine Gemüsesorte, die man immer gerne gegessen hat und plötzlich reagiert man darauf. Bei mir fängt die Nase an zu laufen und die Augen jucken, dann wird das Atmen schwerer und langsam schwillt mir der Hals zu.
Bei einer Kreuzreaktion passiert folgendes: bestimmte Nahrungsmittel sind miteinander verwandt. Zum Beispiel man […]

Die Cochrane Collaboration als Gehilfe der Pharmaindustrie

Die Cochrane Collaboration ist eine Organisation, die es sich auf die Fahnen geschrieben hat, Ärzte mittels systematischer Übersichtsarbeiten zu medizinischen Fragestellungen den Weg durch den Dschungel der medizinischen Fachliteratur zu ersparen. Gerne sieht sie sich dabei in einer unabhängigen und kritischen Rolle, wachsam und gefeit gegen die Manipulationen der Pharmaindustrie:

Sie sind die Rebellen der Medizin. Ihre Waffe ist die Evidenz, sie glauben also nur, was sich beweisen lässt. Es sind junge Enthusiasten und arrivierte Professoren der Cochrane Collaboration, die nur ein Ziel haben. “Wir wollen, dass es weniger wahrscheinlich wird, dass Ärzte ihre Patienten töten”, sagt Iain Chalmers, der die Organisation vor 16 Jahren gegründet hat.

Bei den Veröffentlichungen der Cochrane Collaboration handelt es sich üblicherweise um systematische Reviews, in denen der Versuch unternommen wird, den aktuellen Wissensstand zu einer bestimmten Fragestellung zusammenzutragen und zu interpretieren, häufig kombiniert mit einer Meta-Analyse, einer Zusammenfassung der Einzelstudien mit statistischen Methoden.

Eine positive Bewertung eines Medikaments durch ein Cochrane-Review führt zu Jubelstürmen in den Marketingabteilungen der Pharmaindustrie. Selbst die BILD-Zeitung kommt dann nicht umhin, Cochrane-Bewertungen zu zitieren:

„Champix“ – die Super-Pille gegen Rauchen

[…]
Nach ersten Studien kamen Forscher der Cochrane Library für Medizin zu dem Ergebnis, dass Raucher ihre Erfolgsaussichten bei einem Entzug mit Vareniclin verdreifachen. Als Nebenwirkung sind bisher nur Übelkeit und Kopfschmerzen bekannt.

Nun gibt es jedoch eine Reihe von Gründen, die Ergebnisse solcher Metaanalysen skeptisch zu betrachten. Das bekannteste Problem ist der Publication Bias: Unveröffentlichte (negative) Resultate klinischer Studien zu einem Medikament können keinen Eingang in eine von unabhängiger Seite durchgeführte Metaanalyse finden. Das Ergebnis von Metaanalysen ist deshalb häufig zugunsten des Medikaments und im Sinne der Hersteller verzerrt.

Hier im Blog habe ich im Zusammenhang mit dem von der BILD-Zeitung angeführten Cochrane-Review auf ein weiteres Problem hingewiesen: Sind die Ergebnisse der meist herstellerfinanzierten Studien systematisch verzerrt – im Fall Champix® (in den USA Chantix®) u.a. durch die unvollständige Verblindung der klinischen Studien – dann findet sich das Ergebnis dieser Verzerrung auch im Ergebnis der Metaanalyse. Garbage in, garbage out.

Der Mehrwert für das Marketing durch die Zusammenfassung von methodisch fragwürdigen Studien zu einem “Paket” mit einem unabhängigen Bewertungssiegel liegt auf der Hand. Fast erinnert das Verfahren an ein in jüngster Zeit ins Gerede gekommenes aber höchst erfolgreiches Geschäftsmodell: Aus eine Reihe von windigen Hypothekenkrediten ließ sich durch Zusammenfassung zu einem “Zertifikat”, welches durch eine namhafte Ratingagentur wohlwollend bewertet wurde, ein erfolgreiches Finanzprodukt zusammenzimmern.

Dieses Potential hat die Pharmaindustrie natürlich erkannt und tut ihr bestes, auf das Erscheinen möglichst positiv ausfallender Cochrane-Reviews hinzuwirken. Ein Beispiel hierfür findet sich in der Dezember-Ausgabe des arznei-telegramms: Auch hier geht es um ein Pfizer-Medikament, und zwar das Präparat Neurontin®:

Auffällig ist, wie Pfizer mit verschiedenen Arbeitsgruppen der Cochrane Collaboration umgeht. Eine Autorengruppe, die sich mit Gabapentin bei bipolarer Störung befasst, fragt mehrfach vergeblich beim Hersteller nach nicht publizierten Studiendaten und gibt schließlich das Projekt auf. Mit einer anderen Arbeitsgruppe zu Gabapentin bei neuropathischem Schmerz entwickelt sich dagegen eine gedeihliche Zusammenarbeit. Dies wird unter anderem in einer internen Mail 2001 offensichtlich: “Das ist eine potenziell große Gelegenheit für Pfizer, da wir den Bereich formulieren und gestalten können… Die Metaanalyse, von der wir beabsichtigen, sie durch die Oxford Schmerz Arbeitsgruppe (H.J. McQUAY) erstellen zu lassen…”

Die Bemühungen von Pfizer haben sich offenbar gelohnt:

Das gefällige Cochrane-Review, dessen Autoren keinen Interessenkonflikt deklarieren, ist seit 2005 ohne Daten aus der großen Negativstudie 945-224 veröffentlicht. Dabei sind Angaben zu dieser Studie auch firmenunabhängig seit 2002 im Beurteilungsbericht der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA einsehbar, die die Zulassung von Gabapentin in dieser Indikation aufgrund der negativen Datenlage abgelehnt und nur Schmerz bei postherpetischer Neuralgie anerkannt hat. Die von der Cochrane-Arbeitsgruppe ausgewerteten vier kleinen plazebokontrollierten Studien zu Gabapentin bei diabetischer Neuropathie umfassen insgesamt nur 281 Patienten gegenüber 325 Studienteilnehmern der erfolgreich zurückgehaltenen Negativstudie. Das Ergebnis dieser Metaanalyse, die für Gabapentin eine Number needed to Treat (NNT) von 4 für die Verringerung des Schmerzes bei diabetischer Neuropathie angibt, ist daher wertlos und sollte zurückgezogen werden.

Evidence-biased medicine.

Einmal in die “Röhre” bitte Teil 3

Das Kapitel „Bandscheibe“
Zu den Segnungen der heutigen Medizin gehört es, dass Bandscheibenvorfälle eindeutig im Kernspintomogramm erkannt werden können (auch Magnetresonanztomogramm=MRT genannt). In vielen Krankheitsfällen kommt es mittels dieser Untersuchung zu einer sicheren Diagnose.
Diese beiden einleitenden Sätze zum Thema Bandscheibe in der „Röhre“ schreien geradezu nach einem ABER. Hören Sie es auch? Es sind sogar zwei […]

Die abgesicherte Versorgung vs. ärztliche Fehler

Sind Sie gesetzlich versichert und fühlen sich noch gut umsorgt? Nein, nun dann sind Sie kein Einzelfall. 29 %, so eine Umfrage, fühlen sich nicht ausreichend abgesichert. Sicherlich offen bleibt, was „abgesichert“ bedeutet, aber merklich ist schon, wenn ich so aufs Blog Intensivkind zurück schaue: hängt die Versorgung von einem Urteil des Arztes vom medizinischen Dienst (MDK) […]

EU-Wettbewerbsbehörde durchsucht Pharmafirmen

Die EU-Kommission hat Pharmaunternehmen wegen vermuteter Verstösse gegen das Kartellrecht durchsucht. Am Montag und Dientag wurde in mehreren Mitgliedsstaaten mit den unangemeldeten Nachprüfungen begonnen. Es gebe Hinweise, dass die Unternehmen verbotene Kartellabsprachen getroffen und ihre marktbeherrschende Stellung missbraucht hätten. Betroffen waren u.a. die Generika-Hersteller Teva und Servier. Die Pharmakonzerne GlaxoSmithKline, AstraZeneca, Sanofi-Aventis, Merck KGaA, Boehringer und Novartis gaben an, keinen Besuch der Ermittler gehabt zu haben.

Für Beobachter deutet dies darauf hin, dass der Verdacht substanziell ist und nicht nur auf gut Glück nach Belastungsmaterial gesucht worden ist.

Die Razzien stehen nach Angaben der Generaldirektion Wettbewerb nicht im Zusammenhang mit den Durchsuchungen vom Januar dieses Jahres. Damals war auch Teva eine der betroffenen Firmen. Die Ergbnisse dieser Untersuchungen sollen am Freitag in einem Zwischenbericht veröffentlicht werden. Bei der Untersuchung, deren endgültige Ergebnisse im Frühjahr erwartet werden, geht es vor allem um die Frage, inwieweit Pharmahersteller die Einführung von Generika erschweren, beispielsweise durch Klagewellen gegen oder Absprachen mit Generikafirmen. Damals hatten die Generikahersteller die Ermittlungen noch begrüsst. Nun scheinen sie selbst an der Reihe zu sein.


Update:
Die “Krka Group”, ein Generika-Hersteller aus Slowenien hat es auch noch getroffen.

Einmal in die “Röhre” bitte Teil 2

Über Computertomogramm (CT) und Kernspintomogramm (MRT)
Im 1. Teil dieses Artikels haben wir uns mit den technischen Details der oben genannten Untersuchungstechniken beschäftigt. Heute wollen wir die Frage beantworten:
Kann eine Untersuchungsmethode zu genau sein?
Dazu ein eindeutiges Ja! Gerade die Genauigkeit der Untersuchungsmethode birgt eine Gefahr. Genauigkeit oder Intensität der Diagnostik kann geradezu ein Manko der modernen Medizin sein.
Das […]

Interessenskonflikte durch Journalistenpreise

In einem Kommentar wurde ja schon darauf hingewiesen: Nachdem in den letzten Monaten in den englischsprachigen Medien die Ärzte und ihr intransparenter Umgang mit Interessenskonflikten Thema waren, haben Wissenschaftler des Dartmouth Institute for Health Policy and Clinical Practice zurückgeschlagen. In der aktuellen Ausgabe des British Medical Journal (BMJ) betonen Lisa Schwartz, Steven Woloshin, und Ray Moynihan, dass Ärzte sich den zunehmenden Verwicklungen von Medizinjournalisten mit der Pharmaindustrie bewusst sein sollen.

“The media play a role as society’s watchdogs. Good medical journalism can expose links between doctors and rewards from pharmaceutical companies. But who’s looking to see whether the journalists are being influenced?”

Man könnte meinen, Steven Woloshin sieht die Unfehlbarkeit der Ärzte durch die Bestimmtheit journalistischer Enthüllungen ersetzt.

Besonders die von der Pharmaindustrie ausgelobten Journalistenpreise und -reisen sind für die Autoren ein Einfallstor für gekaufte Meinung. Zu den zitierten Beispielen gehört ein Embrace Award für Reportagen über Inkontinenz, der mit Reisen nach Washington und Paris verbunden war und der von Eli Lilly and Boehringer Ingelheim ausgelobt worden ist. Im pdf-DateiGewinnerartikel aus Deutschland im Jahr 2006 hatte sich der Wissenschaftjournalist einfach als Arzt selber befragt. Ein Fall von besonders enger Beziehung zwischen Journalist und Arzt.

The authors were surprised by the widespread business of pharmaceutical and other healthcare businesses offering cash prizes and travel benefits to journalists.

Die hätten mal Markus Grill lesen sollen, der vor über einem Jahr in seinem Buch das “Preisbusiness” kritisch gewürdigt hat.

Das Problem bei den Journalistenpreisen besteht nicht darin, dass gute Artikel ausgezeichnet werden, sondern dass Pharmaunternehmen mit Medienpreisen gezielt Aufmerksamkeit für Krankheiten schaffen und damit eine Nachfrage nach medikamentöser Behandlung wecken.

Ein Blick auf einschlägige Aufstellungen mit Ausschreibungen umfasst allein in Deutschland Ehrungen wie den “Medtronic Medienpreis”, den “Publizistikpreis der GlaxoSmithkline Stiftung”, den “Wyeth – Journalistenpreis für Biotechnologie” oder den “proDente Journalistenpreis”.

Len Bruzzese, Direktor des US-Verbandes der Medizinjournalisten, sieht es trotz allem positiv:

For the most part, he said, “journalists are good solid people who will avoid these conflicts, or they wouldn’t have entered journalism to begin with.

Das wüde ich für Medizinjournalisten in Deutschland nicht unterschreiben.


Was nicht erwähnt wird, sind beispielsweise Moderatorentätigkeiten bei Industrie-Symposien. Die Möglichkeiten, wie sich Medizinjournalisten von Pharmakonzernen abhängig machen können, sind vielfältig.

Sterbehilfe: Wie denkt der Arzt

Da wird sie wohl langsam salonfähig, die Assistenz beim Suizid. Rund ein Drittel der Ärzte in Deutschland würden die Sterbehilfe befürworten, so eine Umfrage auf Spiegel.de. Nicht ganz eindeutig ist, ob die Ärzte diese bei anderen oder nur bei sich befürworten würden. Zumindest wird mir bei diesem Ergebnis schon ein wenig mulmig zu mute, was […]

Einmal in die “Röhre” bitte Teil 1

Über Computertomogramm (CT) und Kernspintomogramm (MRT)
Gestern in der Sprechstunde hat mich ein Patient gefragt, ob es nicht die Möglichkeit gäbe, den gesamten Menschen einmal in der „Röhre“ zu untersuchen, also eine Art medizinischen Ganzkörperscan vorzunehmen. Dann könnte man doch ein für allemal klären, ob alles in Ordnung sei, quasi eine Vorsorgeuntersuchung höheren Ranges. Mit solchen und […]