Die Zukunft der Religionswissenschaft – Erfahrungsbericht vom 23. Symposium der Studierenden der Religionswissenschaft im deutschsprachigen Raum

Kein Zug kommt oder geht, “Notarzteinsatz am Gleis”, schon über eine Stunde Verspätung. Und in Erfurt warten die Studierenden der Religionswissenschaft auf einem Symposium, das sie – mitsamt der Finanzierung – komplett selbst organisiert haben! Ich hatte mich daher über die Einladung zu einem Vortrag zum Sonderkontingent Nordirak und einer Podiumsdiskussion mit Ulf Plessentin vom CERES Bochum so gefreut, dass ich sofort – und in diesem Fall auch gerne honorarfrei – zugesagt und eine Kinderbetreuung organisiert hatte. Und jetzt das! Gähnende Leere am Bahnsteig, blecherne, emotionslose Botschaften aus den Lautsprechern, die doch letztlich nur sagten: Zum Vortrag wird es nicht mehr reichen und selbst zum Podium wird es immer knapper. In diesem Moment hätte ich Schwierigkeiten gehabt, das selbstgewählte Motto “Religionswissenschaft aus Freude” aus vollem Herzen zu unterschreiben… Wann fährt hier noch irgendwas? Vollsperrung am Stuttgarter (Kopf-)Hauptbahnhof am 7.5.2016. Foto: Michael Blume Endlich, die Züge fahren wieder ein! Und irgendwann sogar wieder hinaus. 100 Minuten Verspätung! Zerknirscht rufe ich das “Tagungstelefon” an und habe prompt eine optimistische Studentin, Lena Koch, am Handy. “Ach, wir wollen Sie aber hören! Dann verschieben wir Ihren Vortrag doch einfach auf morgen früh, wir organisieren Raum und Technik! Sie brauchen nur Ihre Rückfahrt etwas verschieben. Einverstanden?” Von wegen Verzweiflung! Die seit Sokrates klassische Klage über “die Nachkommenden” wurde mir soeben – wenige Wochen vor dem 40. Geburtstag – eindrucksvoll empirisch widerlegt. Und aus dem Programmheft erfahre ich, dass Frau Koch am Freitag zum “Codex Hammurapi und kasuistischem Recht im Pentateuch” vorgetragen hat. Das ist Power.weiter

Newsblog Mai 2016 mit Veranstaltungskalender und Osman-Normal-Muslim

Erst einmal allen, die es begehen, ein gesegnetes Christi Himmelfahrt! Gerne hätte ich heute – am Vatertag – keine Zeit zum Bloggen gefunden, doch leider hat uns mein Vater Falko allzu früh verlassen. Immerhin eröffnet mir dies die Möglichkeit, einmal meinen Lieblingsspruch des genial-verrückten Erich Fried (1921 – 1988) zu posten, in dem meines Erachtens ganz verschiedene Facetten des menschlichen Lebens, Liebens und auch Denkens aufscheinen: Für die Welt bist du irgendjemand, aber für irgendjemand bist du die Welt. Mein Lieblings-Kalenderspruch. Foto: Michael Blume

1979 – 2019. Bricht der staatliche Islamismus an der Ölschwemme zusammen?

Morgen Abend (am 3.5.2016) bin ich auf Einladung des Fritz-Erler-Forums der Friedrich-Ebert-Stiftung Podiumsgast einer Diskussion zu ihren “Handlungsempfehlungen zur Auseinandersetzung mit islamistischem Extremismus und Islamfeindlichkeit” (Klick zum pdf-Download) in Stuttgart. Die FES-Handlungsempfehlungen. Die Fingerabdrücke bitte ich zu entschuldigen, ich lese v.a. in Bus und Bahn… Foto: Michael Blume Insgesamt finde ich die Handlungsempfehlungen überwiegend überzeugend – jedoch mit einer starken Einschränkung: Sie betrachten nur das Inland und nicht die Förderung des Islamismus z.B durch Saudi-Arabien und die Förderung von Nationalismus und Islamfeindlichkeit z.B. durch Russland. Hier stehen uns aber, so meine Einschätzung, größere Umwälzungen in der “Weltinnenpolitik” noch bevor…

War Barack Obama ein gescheiterter Messias? Anmerkungen zu einem Problem säkular-politischer Kultur

Wohl zum letzten Mal besuchte Barack Obama als US-Präsident die Bundesrepublik Deutschland. Dabei hielt er in Hannover auch eine Art “Abschiedsrede”, die neben Danksagungen an Angela Merkel vor allem den Wert und die Bedeutung der Europäischen Union im Angesicht neo-nationalistischer Strömungen unterstrich. (Und die Hoffnung, einmal als Nicht-mehr-Präsident das Oktoberfest besuchen zu dürfen.) Es ist eine durchaus bemerkenswerte Rede und ich hatte auch kurz mit dem Gedanken gespielt, sie (wie eine frühere) zu übersetzen. Ich kann sie nur empfehlen. Doch ein Kommentar des SPIEGEL-(Mit)Erben und SPIEGEL-Online-Kolumnisten Jakob Augstein erinnerte mich an die zivilreligiöse Einsetzungsfeier in Washington 2009 und das breite und wichtige Thema Zivilreligion – den religiösen Überbau aus Mythen, Symbolen und Ritualen, den alle aktiven politische Körperschaften entwickeln (müssen). Augstein schrieb: Barack Obama war in Deutschland. Abschiedstournee eines Mannes, der einmal der Messias war. “Die Deutschen” hätten – so Augstein – Obama zunächst als “Messias” geglaubt und gefeiert. Und sich selbst einbeziehend urteilt er:

Stolz auf osmanisch-türkische Eroberungen, empört über westlichen Imperialismus. Ein rationales oder narratives Phänomen?

Zu meinem sciebook über “Öl- und Glaubenskriege” erreichen mich immer wieder sehr interessierte und erfreuliche Reaktionen – und zwar sowohl von christlichen und konfessionsfreien wie auch von muslimisch-sunnitischen, alevitischen und yezidischen Leserinnen und Lesern. Manche fügen auch eigene Beobachtungen oder Fragen hinzu, so dass sich mitunter vertiefende Dialoge ergeben. Dabei fällt mir jedoch ein Phänomen ins Auge, dass ich hiermit vorstellen möchte: Unterschiede in der Deutung osmanischer und westlicher Eroberungen. Das sciebook über die “Öl- und Glaubenskriege” löst vielerlei Reaktionen über Religions- und Herkunftsgrenzen hinweg aus. Foto: Michael Blume Die meisten der deutschsprachigen Leserinnen und Leser lehnen Eroberungskriege generell ab – egal, zu welcher Zeit und ob sie nun von Deutschen, Franzosen, US-Amerikanern, Osmanen oder Russen durchgeführt wurden. Diese Einschätzung ist – bei Unterschieden in Details – durchaus auch herkunfts- und religionsübergreifend und wird beispielsweise auch von muslimischen Deutschkurden, alevitischen oder yezidischen Deutschtürken geteilt. Eine bemerkenswerte Ausnahme bilden jedoch Deutschtürken sunnitisch-muslimischen Glaubens: Hier treffe ich häufig auf Aussagen, nach denen man “stolz” auf die osmanischen Eroberungen etwa von Konstantinopel und des Balkans sei – aber zugleich besonders empört über die zeitlich früheren Kreuzzüge und den westlichen Imperialismus ab dem 18. Jahrhundert. Die osmanischen Eroberungskriege seien also moralisch gerechtfertigt gewesen, die davor liegenden Kreuzzüge und die folgenden westlichen Kriegszüge aber nicht.

Freude am Wissen, Sorgen um Medien – Der #scilogs16

Kalte Regentropfen rauschen gegen die Fenster und die Kinder suchen Zeit und Nähe. Soll ich nun wirklich gen Wiesloch zum #scilogs16-Bloggertreffen aufbrechen? Es ist wieder mal Zehra, die mir den richtigen Schubs gibt: “Geh da wieder hin, das tut Dir gut!” Im Regionalexpress sitze ich einer Frau im Niqab gegenüber und stelle wieder fest, dass ich mich an die Vollverschleierung des Gesichts nicht gewöhnen kann und will. Doch dann steigt eine Horde besoffen-gröhlender Fussballfans hinzu, die meine Musikkenntnisse um das “Lied” mit dem Refrain “Ich will A..lverkehr mit dem Zugchauffeur!” erweitern. Mir wird bewusst, wieviel Toleranz einem eine vielfältige Gesellschaft abverlangt… Schnaufend hält der Zug im Bahnhof Wiesloch, dessen stahlgrauer Beton sich kaum von den sich erleichternden Regenwolken abhebt. Gemeinsam mit einer Bloggerin und einem Blogger mache ich die Entdeckung, dass die Ringstraße keine Haltestelle, sondern tatsächlich eine Ringstraße bezeichnet. Drei Doktortitel vs. ein Busfahrplan, das Ergebnis lautet auf Klatschnass. Und dann… passiert es einfach…

Religiosität in Hirn- und Evolutionsforschung beim ZIT Münster

Das Zentrum für islamische Theologie in Münster (ZIT) gehört mit den Professoren Mouhanad Khorchide und Milad Karimi zu den hörbarsten Stimmen einer innerislamischen Erneuerung, die sich gegen Hass, Extremismus und fehlende Bildung stemmt. Zuletzt ist z.B. das Debattenbuch von Prof. Khorchide und Hamed Abdel-Samad: “Zur Freiheit gehört, den Koran zu kritisieren”. Vor drei Jahren war ich schon mal zu einem Vortrag zum Thema “Zeit, Evolution und Glaube” eingeladen worden – und habe mich nun über eine weitere Einladung zu einemweiter

Funktionen und Gefahren von Vorurteilen. Zum berühmten Aphorismus von Georg Christoph Lichtenberg – oder von Friedrich II

Wenn ein Aphorismus – ein “geistreicher Sinnspruch” – auch noch nach Jahrhunderten frisch und wahr wirkt, so ist dies gerade auch aus evolutionärer Perspektive interessant. Der Pfarrerssohn und Experimentalphysiker Georg Christoph Lichtenberg (1742 – 1799) gilt geradezu als Begründer der deutschen Aphoristik – und eine der ihm zugeschriebenen Aussagen über Vorurteile erlebt gerade als Online-Mem neue Popularität. So habe Lichtenberg angeblich gesagt oder geschrieben: Gesetzt den Fall, wir würden eines Morgens aufwachen und feststellen, dass plötzlich alle Menschen die gleicheweiter

Religionsforschung und Schlagzeilen – Soziale Kognition zwischen geizigen Religiösen, psychopathischen Atheisten und religiös geborenen Frauen

In den letzten Jahren hat die Evolutions- und Kognitionsforschung zur Religiosität einen enormen Aufschwung erlebt – entsprechend erscheinen inzwischen nahezu wöchentlich neue, auch bemerkenswerte Studien. Im Kampf um das knappe Gut der Aufmerksamkeit greifen Medien – und manchmal auch die Forschenden selbst – gerne auf “Zuspitzungen” zurück. Binnen Stunden erreichen mich diese dann immer wieder via Twitter und Facebook, verbunden mit der Frage, was “davon zu halten” wäre. Macht “Religion Kinder geizig” wie Telepolis im November – unter dem Jubel von Religionskritikern – titelte? Oder ist nun bewiesen, “Was Atheisten und Psychopathen gemeinsam haben”, wie FOCUS Online am 25.03. textete, gefolgt von einer Beschwerde beim Deutschen Presserat durch die Humanistische Alternative Bodensee (HABO)? Dank Facebook immer auf dem Laufenden über die neuesten “Zuspitzungen”. Screenshot von meinem Facebook-Profil… Sobald es die Zeit erlaubt, schaue ich mir die verlinkten Presseartikel und Studien dann natürlich auch gerne an – wobei sich regelmäßig herausstellt, dass die eigentlichen Ergebnisse sehr viel feiner, vorläufiger und auch interessanter sind als die um Aufmerksamkeit heischenden Schlagzeilen. Aber so ist nun mal das mediale Leben – und immerhin können wir mittels Wissenschaftsblogs ja auch diejenigen informieren, die gerne “etwas tiefer” schauen und sich nicht nur je nach Vorurteil freuen oder aufregen wollen. Also – was ist hier los? Sind Religiöse nun geiziger, Atheisten nun psychopathologischer und Frauen religiöser?

Interreligiöse (christlich-islamische) Ehe in Theorie und Praxis – Zehra, Michael, erzählt doch mal!

Religionswissenschaftler können religiös sein, müssen aber nicht. Viele sind es ausdrücklich nicht – mein Doktorvater Prof. Günter Kehrer ist beispielsweise ein bekannter Religionskritiker. Für die wissenschaftliche Arbeit ist diese Vielfalt jedoch eher reizvoll: Denn wie andere empirische Wissenschaften auch gehen wir nicht von Glaubensannahmen aus, sondern von Sachverhalten, die unabhängig von Religion oder Weltanschauung überprüft werden können (zum Beispiel die durchschnittlich höhere Kinderzahl von Religiösen). Daher fühle auch ich mich am wohlsten und sichersten, wenn ich einfach sachlich informierend von den vielfältigen Befunden der Religionswissenschaft und von den Themen meiner Bücher berichten kann (denn wie wohl jeder Autor freue ich mich über jede Leserin und jeden Leser). Doch immer wieder kommt es natürlich vor, dass Menschen auch darüber hinaus wissen wollen, wie ich es “eigentlich selbst” hielte mit dem Glauben und Beten. “Sind Sie eigentlich selbst religiös, Herr Blume?” – “Stimmt es, dass Sie mit einer Muslimin verheiratet sind?” – “Kann das funktionieren, so mit zwei Religionen?” – “Sind Ihre Kinder getauft?” – “Was sagt denn Ihre Frau zu Ostern?” – “Haben Sie beide denn keine Angst davor, dass einer von Ihnen in die Hölle käme?” Denn, klar: Für die meisten Menschen ist “Religion” eben gerade nichts Abstraktes (“Objektives”), sondern etwas sehr Persönliches (“Subjektives”). Auch haben viele – etwa junge Paare oder religiöse Amtsträger – auch wirklich ein Bedürfnis zu erfahren, was sich bewährt hat und was nicht. Also haben meine Frau und ich uns schließlich entschieden, auf ehrlich gemeinte und angemessene Fragen auch ehrlich und höflich zu antworten. Zwarweiter