Wird “liberal” das neue Rechts? Wie braune und rote Kollektivisten die Traditionen der Freiheit kapern (wollen)

“An den Liberalismus glaube ich wie eh und je, fester sogar. Aber einst, in den Tagen süßer Unschuld, glaubte ich auch an die Liberalen.” – G.K. Chesterton, “Orthodoxie”, 4.02   Zu den grundlegenden Erkenntnissen (nicht nur) der Religionswissenschaft gehört: Deutungsmacht über Begriffe ist reale Macht. Denn über die Definition von Begriffen wie zum Beispiel “gut”, “Sünde” oder “Gott”, aber auch “Freiheit”, “Erfolg” und “Glück” lassen sich menschliches Denken, Fühlen und Handeln vorprägen und steuern. Im neu erschienenen “Verlockungen der Unfreiheit” beschreibe ich die Entstehung und bis heute verheerende Wirkung der “Protokolle der Weisen von Zion”. Es ist also kein Wunder, dass auch die bedeutende Weltanschauung des Liberalismus immer wieder das Ziel von Umdeutungsversuchen war und ist. Denn der liberale Kerngedanke ist ja ebenso einfach wie revolutionär: Jeder Mensch sei gleichwertig und mit unaufgebbaren (politischen, wirtschaftlichen, sexuellen etc.) Freiheitsrechten geboren.

Religionskrieg um Schuld(en)? Zum Einfluss der Konfessionen in Europa

Als ich letzte Woche die Süddeutsche (SZ) aufschlug, sprang mir ein Zitat ins Auge, das ich mir gleich notierte. Emmanuel Macron, Wirtschaftsminister in der Regierung des sozialistischen Präsidenten Hollande im laizistischen Frankreich, habe demnach die quälende Debatte um die Griechenland-Euro-Krise mit der Aussage kommentiert: Es gibt eine Art Religionskrieg zwischen dem calvinistischen Nordeuropa, das den Sündern nicht verzeihen will, und einem katholischen Südeuropa, das dies alles hinter sich lassen will.” In diesem griffigen Zitat findet sich eine Menge “klassischer” Religionssoziologie. So bezieht sich die Aussage vom “calvinistischen Nordeuropa” auf Max Weber (1864 – 1920), der die These vom “protestantischen Arbeitsethos” entwickelt hatte: Weil evangelische (vor allem: calvinistische) Christen keine sichere Heilszusage durch ihre Kirchen mehr erhalten konnten, sondern selbst direkt vor Gott standen, hätten sie Erfolg im wirtschaftlichen Leben als Zeichen göttlicher Zuwendung gedeutet. Und da zugleich das Zeigen von Luxus evangelisch verpönt gewesen sei, habe sich ein Zyklus aus Schaffen, Sparen und Investieren als Triebkraft des Kapitalismus entwickelt.

Neue Gesellschaften zur Erforschung der (bio-)kulturellen Evolution

Dass nicht nur biologische Traditionen – wie zum Beispiel Pflanzen – evolvieren, sondern auch kulturelle Traditionen – wie zum Beispiel Sprachen oder Religionen – wusste bereits Charles Darwin. Doch nachdem deutsche Stimmen wie Ernst Haeckel gleich im 19. Jahrhundert mit “monistischen” Ansprüchen völlig überzogen, setzte nach dem zweiten Weltkrieg eine ebenso gründliche Distanzierung ein: Selbst unter deutschsprachigen Evolutionsforschenden kann man heute noch auf die irrige Auffassung vertreten, Evolution sei “nur biologisch” zu verstehen – oder es gebe nur krude Modelle zur kulturellen Evolution (Darwinismus vs. Lamarckismus, Gen – Mem o.ä.). Tatsächlich finden jedoch unter den Stichworten der Gene-Culture-Coevolution oder eben der biocultural evolution seit Jahrzehnten eine wachsende Zahl empirisch orientierter Forschungen statt, die nicht nur längst bekannte Beispiele wie die Laktoseintoleranz erkunden, sondern auch zum Beispiel darauf hinweisen, dass sich ohne die menschlichen, kulturellen Traditionen des Kochens auch unsere Anatomie (Zähne, Gebiss, Darm, Gehirn etc.) überhaupt nicht hätte in seine heutigen Formen entwickeln können. Natur und Kultur sind evolutionsgeschichtlich gesehen keine Gegensätze, sondern wechselwirkende “Tanzpartner”.

Rezension zu Thomas Junker – Warum sind Menschen religiös? Die evolutionäre Perspektive

Seit Jahren beobachte ich fasziniert, wie sich die immer eindeutigeren Befunde der Evolutionsforschung zu Religiosität und Religionen langsam und gegen vielerlei Widerstände in den Wissenschaften durchsetzen. Vor allem für Religionskritiker, die mit Berufung auf die Evolution die Religion “abschaffen” wollten, ist der Weg zur Akzeptanz des “Homo religiosus” inhaltlich und psychologisch nicht leicht. Einige, die sich wie Richard Dawkins besonders weit aus dem Fenster gelehnt haben, versuchen sie “tapfer” zu ignorieren. Andere, mutigere Geister wie Susan Blackmore oder Jesse Bering setzen sich damit auseinander und rufen auch ihre antitheistischen Mitstreiter zum Weiterdenken auf (was ihnen von einigen als “Verrat” ausgelegt wird). Schon beim Lesen seines sehr lesenswerten Buches über die “Evolution der Phantasie” (2013) fiel auf, dass auch der deutsche Biologiehistoriker und erklärte Religionskritiker Thomas Junker zunehmend über die plump-polemischen Reduktionismen des 20. Jahrhunderts hinausreicht. Mit “Warum sind Menschen religiös? Die evolutionäre Perspektive” veröffentlichte er 2014 in den Archäologischen Informationen einen Artikel, in dem er mit der Evolution(sforschung) zu Religiosität und Religionen ringt.

Weltanschauung: Glück und Parteipräferenz

Heute – zum vielleicht heißesten Tag des Jahres – lade ich Sie zum Nachdenken und Raten zu einem Befund der Glücksforschung (in Deutschland) ein. Die Beobachtung, basierend auf SOEP-Daten von 1984 bis 2012: Auch nach Kontrolle anderer Variablen wie Bildung und Einkommen unterscheidet sich das subjektive Wohlbefinden (subjective well-being) – gemessen auf einer Selbstauskunft von 1 bis 10 – zwischen Wählenden verschiedener Parteien erheblich. Die Frage: Können Sie raten, welche Parteianhänger im Durchschnitt am glücklichsten (1.), am zweitglücklichsten (2.) etc.weiter

Gehört der Doktortitel auf das Buchcover? Zu den Kulturen von Papier- und Digitalbüchern

Als “teilnehmer Beobachter” mache ich immer wieder die Erfahrung und Beobachtung: Nicht nur das Lesen, auch das Schreiben von Büchern und eBooks unterscheidet sich insbesondere bei Sachbüchern (!) grundsätzlich. Es gibt ja sogar eine – m.E. ziemlich schräge und typisch deutsche – Debatte darüber, ob eBooks überhaupt “Bücher” oder eher “Telemedien” seien. Eines von vielen Beispielen: Wenn ich ein Buch für einen Printverlag schreibe, habe ich meist einen Titel, aber noch kein Buchcover im Kopf, das ja ohnehin von einer Grafikerin oder einem Grafiker gestaltet wird. Für ein eBook bastele ich mir dagegen selbst “laienhaft” ein Vor-Cover, das mich schon beim Schreiben auf ein Ziel hin motiviert und dann gegen Ende noch einmal professionell überarbeitet wird. Bei meinem neuesten sciebook zu “Öl- und Glaubenskriegen”, das innerhalb der nächsten zwei Wochen erscheinen sollte, geschah sogar etwas ganz Interaktives: Ein Freund, Burak Ekin, griff sich das zur Facebook-Debatte gestellte Vor-Cover und verwandelte es in eine sehr viel bessere, zweite Version, die es wohl wesentlich werden wird! Der Vor-Coverentwurf für das sciebook “Öl- und Glaubenskriege” Der Coverentwurf nach Burak Ekin – wow, Danke! (Erscheint 07/2015)

Franziskus und Ali Al-Khawwas – Der Papst rühmt einen islamischen Sufi in seiner Enzyklika Laudato Si

Wie Abertausende andere auch erwartete ich gespannt die Online-Veröffentlichung der Enzyklika “Laudato Si” (Umbrisch für: Gelobt seist Du, ein direktes Zitat des Franz von Assisi) von Papst Franziskus. Auf jeden Fall wollte ich etwas dazu bloggen, hatte ich doch schon bei der vorherigen Enzyklika “Evangelii Gaudium” das dort geschilderte Verhältnis von Glauben und Wissenschaft und den dort starken Bezug auf die jüdischen Wurzeln des Christentums sowie davor die Rede von Benedikt XVI. im Bundestag thematisiert. Was für Überraschungen würde “Laudato Si” jenseits der großen Schlagzeilen noch enthalten?

Rezension: Wissenschaft und die Frage nach Gott – Sammelband von Andreas Losch und Frank Vogelsang

Derzeit bin ich wieder viel in Zügen unterwegs. So bin ich schon sehr gespannt auf die Beiträge der Studierenden ab Samstag beim Seminar zu Religionspsychologie an der Universität Köln. Und eine Woche später, am 19. und 20.6., geht es bei einer Tagung der katholischen Akademie in Weingarten um “Evolution und Schöpfung”, dort bin ich – wie 2013 auch schon durch muslimische Theologinnen & Theologen in Münster – um einen beschreibenden Beitrag zum Thema “evolutionärer Theismus” gebeten worden. Zur Vorbereitung habe ich mir eine Reihe von aktuellen Sammelbänden gegönnt, so das zuletzt vorgestellte, empirische “The Attraction of Religion” und jetzt “Wissenschaft und die Frage nach Gott. Theologie und Naturwissenschaft im Dialog” von den Herausgebern Andreas Losch und Frank Vogelsang an der Evangelischen Akademie Rheinland.

Gehts um Kinder, dann gehts um Geld und Staat. Zum Elend deutscher Demografie-Debatten

Mit einiger Überraschung stelle ich fest: An manchen Schmerz gewöhnt man sich nicht. So tut es mir immer noch fast körperlich weh, wenn deutsche Debatten über Demografie in den immergleichen Denkschablonen abwärts trudeln. 1. Jemand stellt fest, dass in Deutschland zu wenige Kinder geboren würden. 2. Dies sei ein wirtschaftliches Problem, es “bedrohe” die Renten, den Standort, den Arbeitsmarkt, die Zinsen usw. 3. Jemand findet, dass Kinder “zu teuer” kämen. “These”: Wären die Deutschen reicher, dann hätten sie auch mehr Kinder. 4. Jemand wendet ein, dass aber doch die Menschen in ärmeren Gesellschaften eher mehr Kinder haben. 5. Alle einigen sich darauf, dass “der Staat” und “die Politiker” Schuld seien bzw. “etwas tun” müssten. Über das “etwas” gibt es aber keine Einigung – manche schimpfen auf “die Ausländer”, andere auf “die Banken” oder “das Gender-Mainstreaming”. Als anerkannte Beispiele gelten Frankreich und Schweden, ohne dass man(n) Näheres darüber wüsste. Auch das “islamische Patriarchat” wird zunehmend gerne angeführt. 6. Jemand stellt einen Nazi-Bezug her (z.B. Muttertag = Mutterkreuz). Allgemein ratloses, leicht angewidertes Kopfschütteln. 7. Ruhe (auch nicht durch “Kinderlärm” unterbrochen), bis zur nächsten Wiederholung bei 1. Seitdem ich zu Religion & Demografie geforscht und verschiedene Artikel sowie ein Buch publiziert habe, warte ich auf den Moment, wann sich diese ermüdende Debattensackgasse einmal auflösen würde. Aber selbst den Kirchen gelang es bei ihrem (zu Recht wegen Belanglosigkeit verpufften) “2. ökumenischen Sozialwort” nicht, im Demografiekapitel mehr als 1 – 3 zu wiederholen.