und dann noch … winnenden III

wenn sich keine entscheidenden neuen aspekte ergeben, mein letzter beitrag zum thema amoklauf in winnenden:

mit graus habe ich gestern mal wieder eine der zahlreichen reporter gesehen, die vor dem bekannten spot vor der realschule stehen und über die neuesten erkenntnisse berichten. und, oh graus, im hintergrund nicht nur eltern mit ihren kindern mit blumengaben und betroffenen blicken, sondern auch zwei oder drei pfeifen – allesamt männer mittleren alters – die gaffend in die kamera blicken, zweie nicht müde, mit der kamera alles festzuhalten, und einer sogar kurz winkend.

so – und genau das ist das problem nach drei oder vier tagen – vor allem am wochenende danach (ute hat es in den kommentaren zu meinem letzten eintrag schon angedeutet): das alles verkommt zum medien-hype, schon gibt es die gaffer, die auch an den autobahnen halten, um blut und zerquetschtes blech zu sehen und zu fotografieren – sensationstourismus. keine übertreibung: gehen wir heute ins schwimmbad oder spielen wir playstation oder fahren wir nach winnenden.

oh graus.

kurze weisheit zum abend

je später die sprechstunde, desto unerfahrener die eltern und desto aufwändiger die beratung.

ungelogen gestern und heute jungen eltern mit jeweils zweiwöchigen säuglingen über jeweils 30-40 minuten verklickert, wie man a) stillen und flasche auf die reihe bekommt b) den nabel richtig pflegt c) dass man mit einem säugling auch spazierengehen kann d) wie ein normaler neugeborenenstuhlgang aussieht e) was dieses pickelchen und solches hippelchen bedeutet und f) welche vorsichtsmaßnahmen es gibt, dem plötzlichen kindstod ein schnippchen zu schlagen. und so weiter und so fort.

hallo, bin ich hebamme oder was? manchmal denke ich, die hebammen hier im umkreis geben überhaupt kein wissen mehr weiter, hauptsache auf du mit den eltern und hauptsache schon mal ein paar globuli dagelassen. aber eine normale solide wochenbettberatung bekommen die nicht hin.

ok ich steigere mich jetzt etwas rein, es gibt auch hier solche und solche, und alle mitlesenden hebammen sind natürlich ausgenommen – aber heute hats mir echt gereicht.

und ja: dafür sehe ich keinen cent. keinen cent. null. nix. alles privatvergnügen. 

gehts besser?

"na, sie und ihr team sind aber auch froh, dass die erkältungswelle ein bissel abklingt, oder?"

sagte eine mutter heute zu mir und rettete damit den tag, die woche und die ganzen vergangenen zwei monate, angefüllt mit richtig und richtig lang kranken kindern, genervten ungeduldigen eltern, ausfällen im personal und bei sich selbst – kurzum dem klassischen jahresanfang. danke. 

mal wieder mal statistiken

ich habe das vor geraumer zeit schon mal hier eingestellt – was der kinderdok so für diagnosen stellt – interessant vor allem in diesem quartal die deutliche luftwegs-lastigkeit – das heißt auch grippewelle. zB im vergleich zu den darmgeschichten vulgo enteritis oder gastroenteritis. fehlt nur die fiktive diagnose "eltern auch krank" – hätte vermutlich den ersten platz gemacht.

to whom it may concern:

Luftwegsinfektion

384

Grippaler Infekt mit Infektion der Luftwege

288

Husten

261

Bronchitis

149

Otitis

126

Pharyngitis

121

Otitis media purulenta

87

Fieberhafter Infekt der oberen Luftwege

86

Enteritis

57

Gastroenteritis

55

Tonsillitis

55

Konjunktivitis

52

Harnwegsinfektion

39

Fieberhafte Bronchitis

33

usw.

 

übrigens von gut 1500 patienten ingesamt bisher in diesem quartal. übrigens bereits schon die menge an patienten, die ich im gesamten gleichen quartal 2008 gesehen habe – also theoretisch 1 monat über dem regelleistungsvolumen und damit für umme. so. 

 

Klinische Studien mit Kindern weiterhin selten

Schon lange ist die Sicherheit bei der Arzneimitteltherapie von Kindern ein Thema, dass nicht nur Kinderärzte bewegt. Ein grosser Teil der Medikamente, die Säuglinge, Kinder und Jugendliche bis 16 Jahren einnehmen, sind ausschliesslich für Erwachsene, aber nicht für jüngste Patienten entwickelt worden und zugelassen. Die Verschreibung und Dosierung kann sich nur auf Erfahrunsgwerte des Arztes stützen. Mit allen möglichen negativen Folgen für die kleinen Patienten. Ein Urteil des Bundessozialgerichts hat im März 2003 die Lage noch verschärft. Danach dürfen Krankenkassen Off-Label-Arzneimitteltherapien nur noch in Ausnahmefällen erstatten, wenn keine anderen etablierten Therapieformen vorliegen und aktuelle wissenschaftliche Daten aus klinischen Studien oder veröffentlichten Erkenntnissen einen lindernden oder heilenden Erfolg versprechen.

Mit der im Mai 2004 verabschiedeten 12. Novelle des Arzneimittelgesetzes sollte alles besser werden, indem bei klinischen Studien mit Kindern der Gruppennutzen als Forschungsziel etabliert wurde: Studien zur Pharmakokinetik und -dynamik bei Kindern in verschiedenen Altersgruppen sind seidem auch bei fehlendem direkten Individualnutzen zur Entwicklung von zuverlässigen Therapieempfehlungen zulässig.

Was hat es gebracht? Dieser Frage sind Wissenschaftler der Universität Ulm nachgegangen und haben bei vier Ethikkommissionen die in den Jahren 2002-2006 eingereichten Anträge hinsichtlich Anzahl, und Status des jeweiligen Sponsors ausgewertet.

Die Ergebnisse zeigen, dass die 12. AMG Novelle zwar unmittelbar in den Jahren 2004 und 2005 Auswirkungen hatte: Die Schwankungen im Antragsvolumen sind durch die neue Gesetzeslage und damit verbundene Umstellungsprobleme erklärbar. Insgesamt zeigte sich aber, dass die klinischen Prüfungen an Minderjährigen weiterhin selten sind und nur einen geringen Anteil aller klinischen Prüfungen ausmachen. Die nicht industriegeförderten klinischen Prüfungen nahmen nach der Novelle eher ab, allerdings war die Anzahl vor der Novelle ebenfalls sehr gering.

Medikamente für Kinder bleiben ein schlechtes Geschäft. Da wird auch die neue EU-Richtlinie nichts daran ändern. Jedoch auch mehr Vorgaben für die Arzneimittelindustrie, wie sie Karl Lauterbach fordert, können ein Grundproblem nicht lösen: Eltern sind verständlicherweise sehr zurückhaltend, wenn sie der Teilnahme ihres Kindes an einer klinischen Studie einwilligen sollen.

rituale

rituale sind etwas wichtiges in der untersuchung, abhören, racheninspektion, ohrenschauen – muss schon sein. wie sinnvoll das jedesmal ist, ist manchmal fraglich. warum soll ich in die ohren sehen, wenn das kind bauchweh hat? warum den rachen anschauen, wenn die eigentliche vorstellung eine warze ist?

aber das wird erwartet. der kinderdokter muss immer die ohren ansehen. "und an den ohren hatter nix?" – "klagt er denn über ohrenweh?" – "ne, aber man weiß ja nie." – genau. man weiß ja nie.

klasse auch die streptokokkenschnellabstriche. kennen die eltern: innerhalb von fünf minuten weiß man, ob wieder mal der scharlachaussatz im kindergarten um sich greift. und bei allen halsweh wird der abstrich dann erwartet. dabei macht ein abstrich nur sinn, wenn der klinische befund uneindeutig ist, also weder beim vollbild eines scharlaches, noch bei blanden halsweh ohne sichtbare entzündungen im rachen.

"dochdoch, letztens hat der hinnerk-justin-rico auch schalach gehabt ohne ausschlag." – soso. – "weil der abstrich war negativ, und das ist ja nicht gut." – aha. – "naja, aber der annere dokter hat dann aber trotzdem nicht mit antibiotika behandelt." – wenigstens etwas.

merke: es ist immer noch der dokter, der entscheidet, wann welche diagnostik fällig ist und wann welche therapie. und: immer pooositiv denken. 

dressur

schön ist immer das bemühen der eltern, kunststücke der kinder vorzuführen, highlight natürlich stets das winke-winke zum abschied oder einen handkuss zu geben.

klasse gestern auch die kleine lea-matilda-jaqueline, der die mutter auch etwas entlocken wollte.

mutter: "komm, lea-matilda-jaqueline, sag mal doktor kinderdok."
lea-matilda-jaqueline: "…"
mutter: "komm, sag mal tschüssi."
lea-matilda-jaqueline: "…"
ich: "tschü-hüss, lea-matilda-jaqueline!"
lea-matilda-jaqueline: "…"
mutter: "ach komm, lea-matilda-jaqueline, sei lieb, sag mal doktor kinderdok, tschüssi."
lea-matilda-jaqueline: "…"
mutter: "sonst sagt sie das ständig. na komm, lea-matilda-jaqueline, sag doch mal doktor kinderdok und tschüssi."
ich (um der peinlichkeit ein ende zu machen) winkend: "tschüss, mach´s gut."

ich nehme die türklinke in die hand, öffne die tür, dreh mich um, winke nochmal, gehe aus der tür, schau nochmal durch den spalt, winke nochmal.

lea-matilda-jaqueline: "wer is´n das, mama?"