Hextril: Schreibfehler auf Medikamentenpackung und die Geschichte dahinter [akt.]

Was ist die Produktqualität von Medikamenten? Kann ich Medikamenten vertrauen haben? Wie hoch ist die Qualitätskultur in der Pharmaindustrie?

Anfang Winter war ich erkältet. Ich hatte Halsweh. Ich habe mir Hextril® in der Apotheke zum Gurgeln gekauft.

Oh, Schreck. Als ich mir die Packung daheim ansehe, finde ich einen Rechtschreibfehler. Es steht:

Arzneimittel für kinder unerreichbar aufbewahren.

Kinder ist falsch geschrieben. Ich nehme kaum an, dass die Marke „kinder“ der berühmten „kinder Schokolade“ von Ferrero gemeint ist.

Hextril® Photo mit SchreibfehlerHextril® Packung, der Pfeil zeigt den Schreibfehler. Photo: Patientensicht

Nun gut, kann man sich denken. Was ist schon dabei, ein Rechtschreibfehler kann jedem passieren.

Doch es handelt sich immerhin um ein Arzneimittel. Die Produktqualität von Medikamenten ist für Laien kaum beurteilbar. Da frage ich mich schon, wie ist die Qualität eines Arzneimittels, wenn die Firma nicht einmal eine Verpackung ohne Schreibfehler herstellen kann. Im Coop und im Migros ist mir noch nie ein Rechtschreibfehler aufgefallen. Und die haben mit all den Lebensmitteln bedeutend mehr Produkte.

Da gibt es aber auch eine Geschichte dahinter.

Hintergrund

Hextril® wird in der Schweiz von Janssen-Cilag verkauft und die gehören zum Johnson & Johnson Konzern. Der Johnson & Johnson Konzern war 2011 der viertgrösste Pharmakonzern. Und Johnson & Johnson hatte massive Qualitätsprobleme. Ein Rückruf reihte sich an den anderen, eine Auswahl:

Datum Rückruf Grund/Problem
17. Feb 2012 574‘000 Tylenol®-Flaschen Fehler im Flaschendesign
27. Jan 2012 2‘000 Tuben von Aveeno Baby Calming Comfort Lotion Zu hohe Bakterienwerte in Stichproben
21. Dez 2011 12 Mio. Flaschen von Motrin® Schmerzmittel Kapsel löst sich zu langsam auf, welche die Wirkung verzögert
23. Sept 2011 Zwei Chargen von Eprex® Blutarmutmedikament in 17 Ländern Uneinheitliche Wirkstoffdosierung (inconsistent potency)
14. April 2011 57‘000 Flaschen des Epilepsiemittels Topamax® Fäulnisgeruch (foul odor)
29. März 2011 700‘000 Flaschen von Tylenol® und anderen Konsumentenmedikamenten Moder- und Schimmelgeruch
08. März 2011 Fünf Chargen von Insulinpumpenpatronen (insulin pump cartridges) Mögliche undichte Stellen
02. März 2011 107 Chargen von chirurgischen Wundnähten Mögliche Sterilitätsprobleme
11. Feb. 2011 70‘000 Injektionsspritzen gefüllt mit dem antipsychotischen Medikament Invega® Spalt/Bruch in den Spritzen (cracks in the syringes)
14. Jan. 2011 50 Mio Flaschen und Verpackungen von verschiedenen Arten von Tylenol®, Benadryl®, Rolaids® und anderen Produkten Laxe/lockere Reinigungsabläufe in der Herstellungsfabrik
09. Dez. 2010 Alle Chargen des Entkalkungsmittels Softchews Rolaids Holz- und Metallsplitter (bits) in den Tabletten
02. Dez. 2010 12 Mio. Flaschen von Mylanta® und fast 85‘000 Flaschen des AlternaGel Flüssigentkalkers Die kleine Menge von Alkohol des Duftstoffes wurden nicht auf der Verpackung vermerkt
01. Dez. 2010 492‘000 Schachteln von Eintageslinsen Acuvue TruEye Kundenreklamationen wegen Verbrennungen
24. Nov. 2010 9 Mio. Flaschen von Tylenol® Unzureichende Warnung von Akloholspuren in den Duftstoffen
18. Okt. 2010 Eine Charge von Tylenol®-Kapseln für Erwachsene Moder- und Schimmelgeruch
08. Juli 2010 21 Chargen von Tylenol® für Kinder und Erwachsene, verschiedene Formen von Benadryl® und Motrin® welche in USA, Fiji, Guatemala, the Dominican Republic, Puerto Rico, Trinidad and Tobago und Jamaica verkauft wurden, zusätzlich zum Rückruf vom 15. Jan 2010. 2.5 Mio Medizinalflaschen waren betroffen. Moder- und Schimmelgeruch
15. Juni 2010 Vier Chargen Benadryl® und Extra Strength Tylenol® Gels, welche in den USA, Trinidad and Tobago, Bermuda and Puerto Rico verkauft wurden zusätzlich zum 15. Jan 2010 Rückruf. 50‘000 Flaschen waren betroffen. Moder- und Schimmelgeruch
30. April 2010 40 Produkte einschliesslich flüssige Baby- und Kinderschmerzmittel, Tylenol®, und Motrin® und die Allgergiemedikamente Zyrtec® und Benadryl®. Über 135 Mio. Flaschen waren betroffen, gemäss einer parlamentarischen Untersuchung. Herstellungsmängel, welche die Qualität, die Reinheit und Dosierung der Arzneimittel betreffen.
15. Jan. 2010 15 Mio. Flaschen von rezeptfreien Medikamenten einschliesslich Tylenol®, Motrin® and Rolaids®, Benadryl® und St. Joseph’s Aspirin®, betreffend Chargen in Nord- und Südamerika, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Fiji. Ungewöhnlicher modriger, muffiger und schimmliger Geruch wegen einer Chemikalie in Holzpaletten zum Lagern und Versenden der Produkte.
Dez 2009 Erweiterung des Novemberrückrufs von Tylenol® Arthritis Schmerzmittelkapseln Kundenberichte über ungewöhnliche modrige Gerüche in 100er Flaschen.
Nov 2009 Fünf Chargen von Tylenol® Arthritis Schmerzmittelkapseln Berichte von ungewöhnlichem modrigem, muffigem und schimmligem Geruch wegen welche in Verbindung mit Übelkeit, Bauchschmerzen, Erbrechen und Durchfall in Verbindung gebracht wurde.
Sept 2009 Einige Chargen von Baby und Kinder Tylenol® Mögliche bakterielle Verunreinigung
Juli 2009 Rezeptfreie Motrin® Tabletten von Drogerien. Dieser Rückruf wird vom US-Kongress parlamentarisch untersucht wegen des Verdachts auf Vertuschung durch Rückkauf anstatt eines ordentlichen Rückrufes. Gemäss J&J war die Gesundheitsbehörde FDA informiert, welche dies jedoch verneint. Probleme mit dem Auflösen

Rückrufe von Johnson & Johnson von Juli 2009 bis 17. Feb. 2012. Quelle: Timeline: Johnson & Johnson’s product recalls, Reuters, 21. Feb. 2012, eigene Übersetzung

Was in der Liste auffällt, ist, dass es sich um für Laien erkennbare Qualitätsprobleme handelt, wie z.B. Schimmelgeruch. Was aber ist mit Qualitätsmängeln, die nicht offensichtlich sind? Geruchlose Verunreinigungen oder falsche Dosierungen des Wirkstoffes? Man denke da z.B. an Psychopharmaka?

In der obigen Liste von Reuters ist der Rückruf von weltweit 85‘000 Hüftprothesen nicht einmal dabei. Die Schweiz war auch betroffen. (Quelle: Rückruf für Hüftprothesen von Johnson & Johnson in der Schweiz, 31.08.2010, Der Bund, NYT, 30.01.2013)

Rückruf von Hüftprothesen! Man stelle sich dies einmal vor. Womöglich von alten, gebrechlichen Menschen.

Dass, ob all dieser Qualitätsprobleme der Chef William Weldon gehen musste, ist nicht erstaunlich.

Die Financial Times Deutschland schreibt kurz und knapp:

Johnson & Johnson musste in den vergangenen zwei Jahren unter anderem künstliche Hüftgelenke, Kontaktlinsen und Schmerzmittel für Kinder zurückrufen.

Johnson & Johnson ist unter anderem bekannt für seine Penaten- und Bebe-Pflegeprodukte. Auch das Schmerzmittel Dolormin stammt von den Amerikanern.

Bemerkungen

Offensichtlich gab (oder gibt?) es bei Johnson & Johnson eine komplett mangelhafte Qualitätskultur. Das Management hat versagt. Die schiere Grösse dieser Pharmakonzerne ist ein Risiko.

Eine Fluggesellschaft mit diesem Qualitätsbewusstsein wäre schon lange aus dem Verkehr gezogen worden. Das Qualitätsbewusstsein im Flugverkehr ist viel weiter entwickelt.

Vielleicht hängt das auch damit zusammen, dass ein Flugunfall für alle sichtbar ist. Ein tragisches Ereignis.

Bei Arzneimittelpannen ist es umgekehrt, es gibt viele verstreute Schicksale. Einzelne Betroffene haben keine persönliche Verbindung zu einander. Eine Rückführung auf ein Medikament kann schwer sein, besonders bei bereits alten und kranken Menschen mit verschiedenen Leiden.

Ist Johnson & Johnson ein Einzelfall? In der EU und den USA laufen jedenfalls ebenfalls Untersuchungen gegen Roche und Novartis. Novartis hat beispielsweise im Februar 2012 in den USA „freiwillig“ eine Fabrik wegen Qualitätsprobleme ausser Betrieb genommen (siehe auch After Manufacturing Gaffes, Worried Novartis CEO Insists ‚Quality Matters’, 5. Sept 2012, Forbes, Ed Silverman).

Neben diesen Herstellungsproblemen, fällt die Pharmaindustrie durch hohe Bussen und andere Justizfälle und immense Gehälter auf. Wissenschaft scheint weniger der Wahrheitssuche als viel mehr einer Marketingvorbereitungsetappe zu gleichen. Nur die „positiven Resultate“ fliessen in die Wissenschaft ein und die anderen verschwinden in einer Dunkelkammer.

Warum ist nur los mit dieser Industrie, deren primären Ziel es wäre, den Leuten (gute) Heilmitteln zu verkaufen?

In Angesicht all dieser Qualitätsprobleme und Rückrufe von Johnson & Johnson, wie ist dieser Schreibfehler auf der Hextril®-Packung zu beurteilen? Nur ein kleiner Rechtschreibfehler? Spitze eines Eisberges?

Nachtrag

[Aktualisierung 23.02.2014: Im Januar 2014 habe ich eine neue Packung gekauft. Der Rechtschreibfehler war auf dieser neuen Packung korrigiert. Parallel zum Blogartikel hatte ich Swissmedic auf dieses kleine Problem aufmerksam gemacht.]

Hextril: Schreibfehler auf Medikamentenpackung und die Geschichte dahinter

Was ist die Produktqualität von Medikamenten? Kann ich Medikamenten vertrauen haben? Wie hoch ist die Qualitätskultur in der Pharmaindustrie?

Anfang Winter war ich erkältet. Ich hatte Halsweh. Ich habe mir Hextril® in der Apotheke zum Gurgeln gekauft.

Oh, Schreck. Als ich mir die Packung daheim ansehe, finde ich einen Rechtschreibfehler. Es steht:

Arzneimittel für kinder unerreichbar aufbewahren.

Kinder ist falsch geschrieben. Ich nehme kaum an, dass die Marke «kinder» der berühmten «kinder Schokolade» von Ferrero gemeint ist.

Hextril® Photo mit SchreibfehlerHextril® Packung, der Pfeil zeigt den Schreibfehler. Photo: Patientensicht

Nun gut, kann man sich denken. Was ist schon dabei, ein Rechtschreibfehler kann jedem passieren.

Doch es handelt sich immerhin um ein Arzneimittel. Die Produktqualität von Medikamenten ist für Laien kaum beurteilbar. Da frage ich mich schon, wie ist die Qualität eines Arzneimittels, wenn die Firma nicht einmal eine Verpackung ohne Schreibfehler herstellen kann. Im Coop und im Migros ist mir noch nie ein Rechtschreibfehler aufgefallen. Und die haben mit all den Lebensmitteln bedeutend mehr Produkte.

Da gibt es aber auch eine Geschichte dahinter.

Hintergrund

Hextril® wird in der Schweiz von Janssen-Cilag verkauft und die gehören zum Johnson & Johnson Konzern. Der Johnson & Johnson Konzern war 2011 der viertgrösste Pharmakonzern. Und Johnson & Johnson hatte massive Qualitätsprobleme. Ein Rückruf reihte sich an den anderen, eine Auswahl:

Datum Rückruf Grund/Problem
17. Feb 2012 574‘000 Tylenol®-Flaschen Fehler im Flaschendesign
27. Jan 2012 2‘000 Tuben von Aveeno Baby Calming Comfort Lotion Zu hohe Baterienwerte in Stichproben
21. Dez 2011 12 Mio. Flaschen von Motrin® Schmerzmittel Kapsel löst sich zu langsam auf, welche die Wirkung verzögert
23. Sept 2011 Zwei Chargen von Eprex® Blutarmutmedikament in 17 Ländern Uneinheitliche Wirkstoffdosierung (inconsistent potency)
14. April 2011 57‘000 Flaschen des Epilepsiemittels Topamax® Fäulnisgeruch (foul odor)
29. März 2011 700‘000 Flaschen von Tylenol® und anderen Konsumentenmedikamenten Moder- und Schimmelgeruch
08. März 2011 Fünf Chargen von Insulinpumpenpatronen (insulin pump cartridges) Mögliche undichte Stellen
02. März 2011 107 Chargen von chirurgischen Wundnähten Mögliche Sterilitätsprobleme
11. Feb. 2011 70‘000 Injektionsspritzen gefüllt mit dem antipsychotischen Medikament Invega® Spalt/Bruch in den Spritzen (cracks in the syringes)
14. Jan. 2011 50 Mio Flaschen und Verpackungen von verschiedenen Arten von Tylenol®, Benadryl®, Rolaids® und anderen Produkten Laxe/lockere Reinigungsabläufe in der Herstellungsfabrik
09. Dez. 2010 Alle Chargen des Entkalkungsmittels Softchews Rolaids Holz- und Metallsplitter (bits) in den Tabletten
02. Dez. 2010 12 Mio. Flaschen von Mylanta® und fast 85‘000 Flaschen des AlternaGel Flüssigentkalkers Die kleine Menge von Alkohol des Duftstoffes wurden nicht auf der Verpackung vermerkt
01. Dez. 2010 492‘000 Schachteln von Eintageslinsen Acuvue TruEye Kundenreklamationen wegen Verbrennungen
24. Nov. 2010 9 Mio. Flaschen von Tylenol® Unzureichende Warnung von Akloholspuren in den Duftstoffen
18. Okt. 2010 Eine Charge von Tylenol®-Kapseln für Erwachsene Moder- und Schimmelgeruch
08. Juli 2010 21 Chargen von Tylenol® für Kinder und Erwachsene, verschiedene Formen von Benadryl® und Motrin® welche in USA, Fiji, Guatemala, the Dominican Republic, Puerto Rico, Trinidad and Tobago und Jamaica verkauft wurden, zusätzlich zum Rückruf vom 15. Jan 2010. 2.5 Mio Medizinalflaschen waren betroffen. Moder- und Schimmelgeruch
15. Juni 2010 Vier Chargen Benadryl® und Extra Strength Tylenol® Gels, welche in den USA, Trinidad and Tobago, Bermuda and Puerto Rico verkauft wurden zusätzlich zum 15. Jan 2010 Rückruf. 50‘000 Flaschen waren betroffen. Moder- und Schimmelgeruch
30. April 2010 40 Produkte einschliesslich flüssige Baby- und Kinderschmerzmittel, Tylenol®, und Motrin® und die Allgergiemedikamente Zyrtec® und Benadryl®. Über 135 Mio. Flaschen waren betroffen, gemäss einer parlamentarischen Untersuchung. Herstellungsmängel, welche die Qualität, die Reinheit und Dosierung der Arzneimittel betreffen.
15. Jan. 2010 15 Mio. Flaschen von rezeptfreien Medikamenten einschliesslich Tylenol®, Motrin® and Rolaids®, Benadryl® und St. Joseph’s Aspirin®, betreffend Chargen in Nord- und Südamerika, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Fiji. Ungewöhnlicher modriger, muffiger und schimmliger Geruch wegen einer Chemikalie in Holzpaletten zum Lagern und Versenden der Produkte.
Dez 2009 Erweiterung des Novemberrückrufs von Tylenol® Arthritis Schmerzmittelkapseln Kundenberichte über ungewöhnliche modrige Gerüche in 100er Flaschen.
Nov 2009 Fünf Chargen von Tylenol® Arthritis Schmerzmittelkapseln Berichte von ungewöhnlichem modrigem, muffigem und schimmligem Geruch wegen welche in Verbindung mit Übelkeit, Bauchschmerzen, Erbrechen und Durchfall in Verbindung gebracht wurde.
Sept 2009 Einige Chargen von Baby und Kinder Tylenol® Mögliche bakterielle Verunreinigung
Juli 2009 Rezeptfreie Motrin® Tabletten von Drogerien. Dieser Rückruf wird vom US-Kongress parlamentarisch untersucht wegen des Verdachts auf Vertuschung durch Rückkauf anstatt eines ordentlichen Rückrufes. Gemäss J&J war die Gesundheitsbehörde FDA informiert, welche dies jedoch verneint. Probleme mit dem Auflösen

Rückrufe von Johnson & Johnson von Juli 2009 bis 17. Feb. 2012. Quelle: Timeline: Johnson & Johnson’s product recalls, Reuters, 21. Feb. 2012, eigene Übersetzung

Was in der Liste auffällt, ist, dass es sich um für Laien erkennbare Qualitätsprobleme handelt, wie z.B. Schimmelgeruch. Was aber ist mit Qualitätsmängeln, die nicht offensichtlich sind? Geruchlose Verunreinigungen oder falsche Dosierungen des Wirkstoffes? Man denke da z.B. an Psychopharmaka?

In der obigen Liste von Reuters ist der Rückruf von weltweit 85‘000 Hüftprothesen nicht einmal dabei. Die Schweiz war auch betroffen. (Quelle: Rückruf für Hüftprothesen von Johnson & Johnson in der Schweiz, 31.08.2010, Der Bund, NYT, 30.01.2013)

Rückruf von Hüftprothesen! Man stelle sich dies einmal vor. Womöglich von alten, gebrechlichen Menschen.

Dass, ob all dieser Qualitätsprobleme der Chef William Weldon gehen musste, ist nicht erstaunlich.

Die Financial Times Deutschland schreibt kurz und knapp:

Johnson & Johnson musste in den vergangenen zwei Jahren unter anderem künstliche Hüftgelenke, Kontaktlinsen und Schmerzmittel für Kinder zurückrufen.

Johnson & Johnson ist unter anderem bekannt für seine Penaten- und Bebe-Pflegeprodukte. Auch das Schmerzmittel Dolormin stammt von den Amerikanern.

Bemerkungen

Offensichtlich gab (oder gibt?) es bei Johnson & Johnson eine komplett mangelhafte Qualitätskultur. Das Management hat versagt. Die schiere Grösse dieser Pharmakonzerne ist ein Risiko.

Eine Fluggesellschaft mit diesem Qualitätsbewusstsein wäre schon lange aus dem Verkehr gezogen worden. Das Qualitätsbewusstsein im Flugverkehr ist viel weiter entwickelt.

Vielleicht hängt das auch damit zusammen, dass ein Flugunfall für alle sichtbar ist. Ein tragisches Ereignis.

Bei Arzneimittelpannen ist es umgekehrt, es gibt viele verstreute Schicksale. Einzelne Betroffene haben keine persönliche Verbindung zu einander. Eine Rückführung auf ein Medikament kann schwer sein, besonders bei bereits alten und kranken Menschen mit verschiedenen Leiden.

Ist Johnson & Johnson ein Einzelfall? In der EU und den USA laufen jedenfalls ebenfalls Untersuchungen gegen Roche und Novartis. Novartis hat beispielsweise im Februar 2012 in den USA «freiwillig» eine Fabrik wegen Qualitätsprobleme ausser Betrieb genommen (siehe auch After Manufacturing Gaffes, Worried Novartis CEO Insists ‚Quality Matters‘, 5. Sept 2012, Forbes, Ed Silverman).

Neben diesen Herstellungsproblemen, fällt die Pharmaindustrie durch hohe Bussen und andere Justizfälle und immense Gehälter auf. Wissenschaft scheint weniger der Wahrheitssuche als viel mehr einer Marketingvorbereitungsetappe zu gleichen. Nur die «positiven Resultate» fliessen in die Wissenschaft ein und die anderen verschwinden in einer Dunkelkammer.

Warum ist nur los mit dieser Industrie, deren primären Ziel es wäre, den Leuten (gute) Heilmitteln zu verkaufen?

In Angesicht all dieser Qualitätsprobleme und Rückrufe von Johnson & Johnson, wie ist dieser Schreibfehler auf der Hextril®-Packung zu beurteilen? Nur ein kleiner Rechtschreibfehler? Spitze eines Eisberges?

TED Talk von Ben Goldacre: Datenverheimlichung

Was ist ein TED Talk? Was ist das Thema des Vortrages?

In den USA gibt es die Vortragsreihe TED Talk. Eingeladen werden Forscher und Leute mit Ideen. Die Liste der Redner reicht von Bill Clinton über Bill Gates bis zu Nobelpreisträgern. Die Vorträge dürfen maximal 18 Minuten lang sein. Die Vorträge werden dann ins Internet gestellt, nach dem Motto: „Ideas worth spreading“ (dt.: „Ideen, die es Wert sind, verbreitet zu werden“).

Ben Goldacre konnte eine Vortrag über das Verheimlichen von Studiendaten machen. Das ist der zentrale Kritikpunkt seines neuen Buches Bad Pharma: How Drug Companies Mislead Doctors and Harm Patients.

Mit deutschen Untertiteln

Ben Goldacre erläutert in seinem Vortrag von Mitte 2012 das Problem von fehlenden «negativen» Resultaten. In der 14-minütigen TED-Talk Aufzeichnung What doctors don’t know about the drugs they prescribe erläutert Ben Goldacre die Verzerrung der Forschungsliteratur (Publication Bias). Wenn von 10 Studien über ein Medikament nur die 5 «positiven» publiziert werden und die 5 anderen nicht, so meinen alle das Medikament sei wirksam, was es aber bei ganzer Datenlage nicht ist.

Weitere interessante Videos sind auf der Seite Hörens- und sehenswerte Sendungen aufgelistet.

Ein 60 minütiger (lustiger) Vortrag Book Discussion on Bad Pharma (engl.) von Ben Goldacre aus Seattle vom 18.02.2013. Ebenfalls sehenswert.

Tamiflu Saga

Oder: Wo sind die Daten?

Warum geht es bei der Tamiflu® Saga? Wofür steht dieser Konflikt? Was lehrt uns dieses Beispiel über die Medizin und die Wissenschaft?

Tamiflu®Tamiflu® | via Wikimedia

Hinter der Tamiflu® Saga steht die Geschichte über Tamiflu® und dessen kometenhafter Aufstieg während der Schweinegrippe und den Fragen danach.

Das Grippemittel Tamiflu® (Oseltamivir) wird vom Schweizer Pharmaunternehmen Roche hergestellt. Es soll die Grippe verkürzen und Komplikationen wie schwere Lungenentzündungen vermeiden. Während der bedrohlichen Schweinegrippe kauften die Staaten Tamiflu® für Milliarden von Franken zum Schutze der Bevölkerung. Tamiflu® wurde zum Vermeiden grippebedingter Komplikationen und Grippetoten gekauft. Tamiflu® Reserven wurden von der Weltgesundheitsorganisation WHO empfohlen.1

Roche hat zur Wirksamkeit des Medikaments, wie von den Zulassungsbehörden gefordert, Studien erstellen lassen.

Jedoch wurde nur ein kleiner Teil wissenschaftlich veröffentlicht.2 Und Rohdaten sind gar keine zugänglich.3

Im Jahre 2009 wollte eine unabhängige Forschungsgruppe von Cochrane die Studien von Roche nachrechnen. Die Rohdaten sind die Voraussetzung, um die Studien unabhängig nachrechnen zu können. Die Forscher fragten Roche um die fehlenden Daten an. Roche versprach (2009) die vollständigen Daten zur Verfügung zu stellen.

Doch Roche hat die Daten bis heute nicht geliefert!

Seit dem Jahr 2009 gehen Mails hin und her. Ohne Ergebnis.

Resultat: Die Welt weiss bis heute nicht, wie nützlich Tamiflu® eigentlich gegen Grippe ist. Die Rohdaten fehlen. Unabhängige Studien fehlen. Den Ärzten und der Bevölkerung werden die Daten verheimlicht.

Forscher schalten sich ein. Der Fall zieht immer weitere Kreise.

Die angesehene medizinische Fachzeitschrift BMJ begann sich für diesen Fall zu interessieren. Sie haben Roche kontaktiert. Ohne Ergebnis. Um die Absurdität dieses Falles zu veranschaulichen haben sie den ganzen Mailverkehr auf ihrer Webseite www.bmj.com/tamiflu veröffentlicht.

Ist Roche ein Einzelfall mit seinem Verhalten?

Leider nein. Das ist unverständlicherweise gängige Praxis in der Medikamentenforschung. Rohdaten stehen unabhängigen Forschern praktisch nie zur Verfügung. Als Argument werden Geschäftsgeheimnisse angegeben. Doch was ist an einer standardisierten Studie geheim? Der Datenschutz ist es jedenfalls nicht. Es geht um anonyme Daten.

Warum steht gerade Tamiflu® von Roche im Scheinwerferlicht?

Jeder kennt es. Die Grippe geht alle an. Tamiflu® ist deshalb ein gutes Beispiel. Doch Roche ist nicht schlechter als andere Pharmaunternehmen. Das Problem betrifft die ganze Industrie. Die Rohdaten der Tamiflu®-Studien sind einfach zum sichtbaren Testfall geworden.

Die Europäische Zulassungsbehörde EMA würde ebenfalls über die Rohdaten verfügen. Die EMA gibt die Daten den unabhängigen Forschern nicht heraus.

Dass Rohdaten anderen Forschern nicht zur Verfügung stehen ist ein unhaltbarer Zustand. Das hat nichts mit Forschung und Wissenschaft zu tun. Wissenschaft ist unter solchen Bedingungen nicht möglich. Der Öffentlichkeit ist mit solchem Verhalten in keiner Art und Weise gedient.

Warum versteckt Roche seine Daten so sehr? Bei einem wirksamen Medikament kann Roche nur gewinnen. Die Ergebnisse werden von unabhängiger Seite bestätigt.

Der Tamiflu® Fall ist zusätzlich brisant, denn das staatlich gelagerte Tamiflu® hat das Verfalldatum erreicht. Sollen die Staaten ihre Tamiflu® Lager wieder auffüllen4?

Hintergrundinformationen

Wichtige

Weitere

Nebenbemerkung: Gegen Roche läuft eine Untersuchung in der EU. Roche steht im Verdacht, Nebenwirkungen von zahlreichen Medikamenten verheimlicht zu haben. (Radio DRS1)

[Aktualisierung 20.01.2013: Die Initiative alltrials (All Trials Registered | All Results Reported) wurde von Ben Goldacre, BMJ Group, James Lind Initiative und weiteren zur Veröffentlichung aller klinischen Studiendaten gegründet.]

[Aktualisierung 26.01.2013: Die Tamiflu Saga hat es jetzt auch in die etablierten Medien geschafft. Der Tagesanzeiger hat einen lesenwerten Artikel geschrieben: Zweifel an Tamiflu – Der Druck auf Roche nimmt zu, Tages-Anzeiger, 26. Jan. 2013. Hoffentlich passiert jetzt etwas.]

[Aktualisierung 26.01.2013: Lesenswerter Blogartikel über Tamiflu von Alexander Riegler aus Österreich: Tamiflu, ein Medikament das wir kauften – aber nie brauchten …, 8.11.2012]

[Aktualisierung 27.04.2013: Bericht Süddeutsche Zeitung: Das Fieber der Gutgläubigkeit ]

[Aktualisierung 27.04.2013: Roche will Studienrohdaten für Analysen zugänglich machen. BBC, 04.04.2013. Taten zählen, Versprechen gab es schon viele.]

[Aktualisierung 22.06.2013: Forum Gesundheitspolitik schrieb einen Artikel über Tamiflu]

[Aktualisierung 13.04.2014: Die Cochrane Collaboration hat ihren Bericht zu Tamiflu® veröffentlicht. Der einst erhoffte grosse Nutzen von Tamiflu® scheint sich nicht zu bestätigen. Mehr Versprechen als Fakten zu Tamiflu: Forscher werten Studiendaten zu Grippemittel aus, Neue Zürcher Zeitung. 10. Apr. 2014
Tamiflu gerät zum Spielball der Wissenschaft, Bernerzeitung
Jefferson T, Jones M, Doshi P, Spencer EA, Onakpoya I, Heneghan CJ. Oseltamivir for influenza in adults and children: systematic review of clinical study reports and summary of regulatory comments BMJ. 9. Apr. 2014;348(apr09 2):g2545–g2545.
]

[Aktualisierung 13.04.2014: Beitrag im Schweizer Radio: Medikamente halten nicht immer, was sie versprechen. Wie kann man das verhindern? SRF, 11.04.2014; [Harsche Kritik am Grippemittel «Tamiflu»](http://www.srf.ch/gesundheit/gesundheitswesen/harsche-kritik…, SRF, 10.04.2014; Kritiker sehen sich bestätigt, SRF, 10.04.2014]

[Aktualisierung 14.04.2014: Was kann man lernen aus der Causa Tamiflu?, SRF, Wissenschaftsmagazin, 12.04.2014]


  1. Der WHO Pandemiekommission wurden Interessenskonflikte mit den Herstellern vorgeworfen. Das ist ein eigenes Kapitel für sich, siehe Neue Kritik an der WHO, Neue Zürcher Zeitung, 5. Juni 2010. 

  2. Das wird als Publikationsverzerrung (publication bias) bezeichnet. In der wissenschaftlichen Literatur werden nur die „positiven“ Fälle veröffentlicht. Die wissenschaftliche Literatur zeigt deshalb ein verzerrtes Bild der Realität. Medikamente erscheinen als wirksam, obwohl sie es insgesamt sind nicht, Beispiel Reboxetin (Edronax®) von Pfizer. 

  3. Ein wesentlicher Pfeiler der Wissenschaft ist die Wiederholbarkeit. Rohdaten sind ein wichtiges Element. Keine Rohdaten zur Verfügung zu stellen ist unwissenschaftliches Verhalten. 

  4. Mit Steuergeldern versteht sich. 

Neues Buch «Bad Pharma» von Ben Goldacre – Empfehlenswert [akt. 2]

Was steht im Buch „Bad Pharma“? Warum ist es wichtig das Buch zu lesen? Wer ist der Autor Ben Goldacre? Wer soll das Buch lesen?

Ein neues, massstabsetzendes Buch über die Pharmaindustrie – und deren Machenschaften ist erschienen: Bad Pharma: How Drug Companies Mislead Doctors and Harm Patients, Harpercollins UK, 2012 books.ch, amazon.de (Nur Englisch.) Geschrieben hat es der Arzt und Kolumnist Ben Goldacre.

Dieses Buch ist derzeit das beste über die Machenschaften der Pharmaindustrie.

Ben Goldacre kommt aus England. Er ist Arzt, Forscher und Blogger. Er engagiert sich für gute Wissenschaft und gute Medizin. Bekannt wurde Ben Goldacre durch seine Kolumne „Bad Science“ in The Guardian, die er vor 10 Jahren begann. Er hat eine lockere Art zu schreiben, was zu unterhaltsamen Texten führt. Auch bei komplizierten Themen. In seiner Kolumne erklärte er wie Wissenschaft funktioniert, anhand von schlechten Beispiel, so wie man es nicht machen darf. Quacksalberei und Pseudowissenschaft werden durchleuchtet und aufs Korn genommen.

Im Jahre 2008 veröffentlichte er sein erstes Buch mit dem Titel Bad Science, gleichnamig wie seine Kolumne und sein Blog.
Das Buch wurde ein grosser Erfolg.

Bad Pharma

Bad Pharma Buch, Ben GoldacreBad Pharma Buch, Ben Goldacre

“Medicine is broken” ist der erste Satz des Buch, und weiter “the people you should have been able to trust to fix [its] problems have failed you.”

Das Buch beschreibt die Machenschaften der Pharmaunternehmen. Wie die Wissenschaft zu ihren Zwecken sabotiert wird – zum Schaden der Patienten und der Allgemeinheit.

Das Buch beleuchtet die verschiedenen Arten die Wissenschaft zu manipulieren: „Negative“ Studien nicht veröffentlichen, „negative“ Daten weglassen, „negative“ Daten uminterpretieren, die Rohdaten den Universitätsforschern vorenthalten und damite ein unabhängige und kritische Analyse verunmöglichen, gesetzliche Rahmenbedingungen zu ihren Zwecken verändern, Mediziner mit Marketing manipulieren, wissenschaftliche Artikel durch Ghostwriter verfassen lassen, …

Die einzelnen Elemente sind schon lange bekannt. Alles in einem Buch vorzufinden ist erschreckend. Während dem Lesen ist man einem Wechselbad der Gefühle ausgesetzt, Wut über die Missstände, traurig, dass es so weit kommen konnte und inspiriert und voller Tatendrang etwas zu verändern.

Das Buch listet nicht nur die Missstände auf, sondern es enthält auch konkrete Vorschläge, was getan werden kann – was getan werden muss. Für die verschiedenen Gruppen – Ärzte, Forscher, Regulierungsbehörden, Patienten, Patientenorganisationen, Forschungsförderungsinstitutionen, Politiker – sind Korrekturempfehlungen aufgelistet.

Eines der Hauptprobleme ist, dass die Pharmaunternehmen Daten zurückhalten und verstecken. Ein Kernpunkt der evidenzbasierte Medizin ist, dass alle zu einer Therapie ausgewertet werden, und nicht nur die Daten, die einem passen und gefallen (Rosinenpickerei, cherry-picking). Wenn jedoch schon von Anfang an Daten verheimlicht werden, ist die evidenzbasierte Medizin auf Sand gebaut.

> Positive findings are around twice as likely to be published as negative findings. This is a cancer at the core of evidence-based medicine. – Ben Goldacre
> Positive Resultate werden zweimal häufiger publiziert als negative Resultate. Das ist ein Krebs im Herzen der evidenzbasierten Medizin.

Beispielsweise hat Pfizer, das grösste Pharmaunternehmen der Welt, Hersteller von Viagra®, drei Viertel seiner Patientendaten seines Antidepressivums Reboxetin (Edronax®) nicht veröffentlicht. Nur die „positiven Daten“ wurden veröffentlicht. Gemäss aller vorhandenen wissenschaftlich publizierten Daten, ist das Medikament als wirksam. Wenn jedoch alle Daten herangezogen werden, verschwindet die Wirkung. Ist das Wissenschaft? Das traurige ist, dass Pfizer ganz legal gehandelt hat.

Noch trauriger ist, dass der Öffentlichkeit suggeriert wird, dass das Problem bereits gelöst wurde und nicht mehr auftreten kann. Im Buch bezeichnet er diese Korrekturen als „Fake Fixes“ (Scheinkorrekturen). Die Pharmaunternehmen behaupten nun, dass dies in der Vergangenheit gemacht wurde, dass sie sich aber gebessert hätten, und die nicht mehr vorkäme. Das macht das Problem gleich doppelt so schlimm: Nichts korrigiert und eine Korrektur ist nicht zu erwarten.

Regeln wurden aufgestellt, dass alle Studien vor Beginn registriert werden müssen und nur registrierte Studien in renommierten Fachzeitschriften veröffentlicht werden. Denn alle wollen ihre guten Resultate in renommierten Fachzeitschriften veröffentlichen – ein starker Anreiz. Nur das ist Theorie. Die Regeln wurden leider missachtet. Auch nicht-registrierte Studien wurden veröffentlicht. Der ganze Anreiz zerfällt. Ein „Fake Fix“.

Die besten Eindrücke vom Buch erhält mensch durch die frei verfügbare Indroduction.

Es ist wichtig, dass möglichst viele Leute den Inhalt des Buches „Bad Pharma“ kennen. [Aktualisierung 09.09.2013: Zur Zeit leider nur auf englisch erhältlich.] [Aktualisierung 09.09.2013: Mitte August ist die deutsche Übersetzung erschienen: Die Pharma-Lüge.]

Das Buch ist hochgradig relevant und geht uns alle an. Kauft es! Lest es! Sprecht darüber.

Buchkritiken

* The drug industry: Pick your pill out of a hat, The Economist, Sep. 2012
* The drugs don’t work: a modern medical scandal, The Guardian, 21. Sep. 2012
* Trisha Greenhalgh No such thing as a free lunch, British Journal of General Practice, 1. Nov. 2012, 62(604):594–594

> Ben Goldacre’s Bad Pharma: How Drug Companies Mislead Doctors and Harm Patients, a decimating critique of the pharmaceutical industry and the system-level problems that support ineffective and unsafe prescribing, is the new Harry Potter. Open it on the bus or tube and people will approach you to ask what chapter you’re up to. Scandalous, they say. Scandalous, you agree. Those overhearing your conversation will peek at the title and scribble it discreetly on the back of their ticket. As I write this, Goldacre is narrowly behind JK Rowling on the climb up Amazon’s top 20 chart.
Bad Pharma ist der neue Harry Potter. Wildfremde Menschen sprechen in der U-Bahn über das Buch. Skandalös, sagen sie. Skandalös, bestätigst du. Stille Zuhörer notieren den Titel auf der Rückseite ihres Tickets.

[Aktualisierung 14.02.2013: Peter Kleist, medizinischer Direktor des Pharmaunternehmens GlaxoSmithKline (GSK), nun in der Schweizerischen Ärztezeitung erfreulicherweise das Buch Bad Pharma in der Schweiz mit dem Artikel Nur hundertprozentige Transparenz schafft Vertrauen (2013;94: 7 [267]) vorgestellt und besprochen. (Die britische Pharmaindustrie reagierte wie in der Buchbesprechung angetönt etwas anders.) Hinweis: GSK musste in den USA 2012 3 Mrd. Dollar Busse bezahlen.]

TED-Talk

Ben Goldacre hat einen 14-minütigen Vortrag What doctors don’t know about the drugs they prescribe in der TED-Talk-Reihe zu den verheimlichten Studiendaten gemacht. Der Vortrag ist englisch [Aktualisierung 25.11.2012: mit deutschen Untertiteln], unterhaltsam und bietet einen guten Einstieg. Sehr empfehlenswert.

AllTrials.net

Um das Problem des Publication Bias ernsthaft anzugehen, haben Ben Goldacre, Iain Chalmers (James Lind Alliance, Cochrane Collaboration), Fiona Godlee (BMJ) und weitere die AllTrials.net Initiative Mitte-Januar gestartet. Alle sind aufgerufen die Petition zu unterschreiben. (Das Pharmaunternehmen GSK hat unterschrieben.)

[Aktualisierung 06.03.2013: Ein 60 minütiger (lustiger) Vortrag Book Discussion on Bad Pharma (engl.) von Ben Goldacre aus Seattle vom 18.02.2013. Sehenswert.]

[Aktualisierung 09.09.2013: Die lang ersehnte deutsche Übersetzung des Buches ist Mitte August erschienen: Die Pharma-Lüge. Prof. Peter T. Sawicki, Gründer des IQWiG, schreibt im Vorwort: «Das Buch behandelt die richtigen Themen pointiert und wissenschaftlich korrekt; und dies mit guten Beispielen und so allgemeinverständlich, dass sich jeder, der sich mit dem Thema auseinandersetzen will, einen profunden und breiten Einblick erhält und damit selbst zum Experten werden kann.»]

Pharmaindustrie: Fehlverhalten und Justizfälle [akt. 1]

War die $3 Mrd. Busse gegen GlaxoSmithKline ein Einzelfall? Was waren die Bussen der letzten Jahre? Welche Ermittlungen sind im Gange?

Ich bin nicht gegen Pharma, aber ich bin gegen unsaubere Machenschaften und illegale Praktiken. Die Pharmaindustrie vertreibt lebensrettende Medikamente und ist eine wichtige Industrie. Leider aber scheint der Gewinn mit allen Mitteln maximiert zu werden – mit legalen und illegalen.

US Bussen für Big Pharma bis Juli 2012US Bussen für Big Pharma bis Juli 2012

Bei der Pharmaindustrie hat man manchmal den Eindruck es gehe nur ums Verkaufen – soviel und so teuer wie möglich. Ungeeignete, mittelmässige oder gar nutzlose Medikamente werden nach allen Regeln der Kunst, teilweise illegalen, an den Mann und die Frau gebracht. Es werden Ärzte, Forscher, Studien und Politiker manipuliert. Studien beschönigt, Wissenschaftlichkeit vorgetäuscht, «negative Resultate» unterdrückt, Wirkungen übertrieben. Produktionsprozesse nicht im Griff. Überrissene Preise werden verrechnet. Bestechungsgelder (Kickbacks) an Ärzte für Verordnungen bezahlt(, welche auch angenommen wurden). Kritiker bedroht und eingeschüchtert. Nein, es handelt sich hier nicht um die Mafia.

Ich habe einmal eine Zusammenstellung der Bussen der US Justiz erstellt, zusammen mit anderen dokumentiertem Fehlverhalten. Die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Unternehmen Grund Busse Mio $ Jahr Referenz
Novartis Marketingfehlverhalten, Kickbacks (Trileptal) 422.5 2010 Tagi blog.nytimes USDOJ
Novartis Frauendiskriminierung 250 2010 NZZ
Roche Marketingfehlverhalten und Preismanipulation (Rituxan) 20 2011 Pharmalot
Pfizer Marketingfehlverhalten, Schmiergeld (Bextra, Lipitor, Viagra) 2300 2010 NZZ
Eli Lilly Marketingfehlverhalten (Zyprexa) 1400 2010 NZZ USDOJ
Branche Verzögerung, Blockierung von Generika (Bericht EU) 2008 NZZ
GlaxoSmithKline Marketingfehlverhalten (Paxil, Wellbutrin, Avandia, Advair, Lamictal, Zofran), Kick-Backs (Imitrex, Lotronex, Flovent, Valtrex), Überzogene Rechnungen 3000 2012 Blogartikel Tagi Spiegel USDOJ, USDOJ Pharmalot Pharmalot
GlaxoSmithKline Marketingfehlverhalten (Wellbutrin SR) FDA Klage Offen Pharmalot
Merck Serono Kickbacks (Rebif®) 44.3 2011 Bloomberg, USDOJ
Merck KGaA Produktionsprobleme FDA Brief 2012 Pharmalot
Merck Serono Marketingfehlverhalten (Serostim) 704 2005 USDOJ
Bayer Healthcare Marketingfehlverhalten (Xarelto) Klage 2012 Spiegel
Pfizer Marketingfehlverhalten (Neurotonin) 141 2010 Reuters Pharmalot
Pfizer Brustkrebs (Prempro) 45 2012 Bloomberg
Pfizer Brustkrebs (Prempro) 10.4 2012 Bloomberg
Pfizer Brustkrebs (Prempro) 896 2012 Bloomberg Businessweek Bloomberg
Pfizer Brustkrebs (Prempro) 72 2011 Pharmalot
Pfizer Neu! Mutmasslich illegaler Freilandversuch an Kindern in Afrika (Trovan), Druck auf Staatsanwaltschaft 75 2010 Süddeutsche US Cable Guardian
Merck (MSD) Marketingfehlverhalten (Vioxx®) C$ 37 2012 Yahoo
Merck (MSD) Marketingfehlverhalten (Vioxx®) 950 2011 Spiegel USDOJ
Pfizer Nichtpublikation negativer Resultate (Reboxetine) Publ. 2010 IQWiG BMJ
Pfizer (Wyeth) Ghostwriting (HRT) Publ. 2010 Ärzteblatt
GlaxoSmithKline Produktqualität (Avandia, Paxil) und Produktionsmethoden 750 2010 independent.co.uk
Elan Marketingfehlverhalten (Zonegran) 203 2011 USDOJ USDOJ
Dey Preisbetrug 280 2010 USDOJ
Forest Marketingfehlverhalten (Levothroid, Celexa, Lexapro) 313 2010 USDOJ
Abott Marketingfehlverhalten (Depakote) 1600 2012 USDOJ Pharmalot
Novo Nordisk Marketingfehlverhalten (Novoseven) 25 2011 USDOJ
Johnson & Johnson Marketingfehlverhalten (Topamax) 81 2010 USDOJ
Johnson & Johnson Marketingfehlverhalten (Risperdal) 181 2012 Pharmalot
Johnson & Johnson Manager Nichtgenehmigte Studien mit Todesfolge Gefängnis 2×9M + 4M 2011 Pharmalot
Sanofi-Aventis Preisbetrug 190 2007 USDOJ
Novo Nordisk Kauf von Patientendaten (Novolin, Novolog) 1.7 2011 USDOJ
AstraZeneca Off-Label Marketing, Kickbacks (Seroquel®) 520 2010 NYimes NYTimes USDOJ
AstraZeneca Marketingfehlverhalten (Seroquel®) 26 2012 Pharmalot
AstraZeneca Marketingfehlverhalten, Irreführung bei Nebenwirkungen, Nichtveröffentlichung negativer Resultate (Seroquel®) 68.5 2011 Pharmalot
Bristol-Myers Squibb Marketingfehlverhalten 515 2007 NYTimes Pharmalot
Bristol-Myers Squibb Bilanzmanipulation (Channel stuffing) 300 2005 Bloomberg
Bristol-Myers Squibb Bilanzmanipulation (Channel stuffing) (Erbitux, Vanlev) 300 2004 Bloomberg
Bristol-Myers Squibb Manager Bilanzmanipulation 0.17 2012 Pharmalot
Bristol-Myers Squibb Manager Bilanzmanipulation 0.4 2010 Pharmalot
Fresenius Kabi Bedrohung (HES) 2012 Spiegel
GlaxoSmithKline Bedrohung (Avandia) 1999 US Senate
Pfizer, Ranbaxy Generikaverzögerung, Kartellabsprache («Pay for Delay») (Lipitor) Klage 2012 BloombergBusinessNews
Deutsche Homöopathie-Union (DHU), Biologische Heilmittel Heel, Staufen Pharma, WALA Heilmittel, Weleda, Hevert Journalisten Diskreditierung 2012 Süddeutsche
Teva Pharma Übertreibung der Wirkung und Sicherheit (Copaxone®) FDA Warning 2012 FDA Letter Pharmalot
Teva Pharma Anwendungsrisiken (Propofol) 250 2012 Bloomberg Pharmalot
Teva Pharma Anwendungsrisiken (Propofol) 500 2010 Pharmalot
Ungenannt Erpressungsversuche der Inserenten bei Ärztezeitung Artikel 2011 SÄZ
GlaxoSmithKline Unterdrückungsversuch kritischer Meinung (Avandia) Editorial 2010 Euro. Heart Journal
Pfizer Korruption 60 2012 Pharmalot SEC Pharmalot
Teva Korruption Untersuchung (Subpoena) 2012 Pharmalot
Bristol-Myers Squibb Korruption Untersuchung (Subpoena) 2012 Pharmalot
Johnson & Johnson Korruption 70 2011 Pharmalot
Bayer Verletzung von Branchenrichtlinien (ABPI Code bei Xarelto) 2012 InPharm
Bayer Sammelklage (Yasmin) 402.6 2012 Bloomberg
Bayer Sammelklage (Yaz) 610.5 Offen Bloomberg
Johnson & Johnson Marketingfehlverhalten (Risperdal) 2200 Offen Bloomberg Pharmalot
Johnson & Johnson Marketingfehlverhalten (Risperdal) 158 2012 Pharmalot
Johnson & Johnson Marketingfehlverhalten (Risperdal) 327 2012 Bloomberg
Johnson & Johnson Marketingfehlverhalten (Risperdal) 258 2010 Bloomberg Pharmalot
Johnson & Johnson Marketingfehlverhalten (Risperdal) 1100 2012 SF.tv Handelszeitung Pharmalot
Bayer Marketingfehlverhalten (Aspirin) 15 2012 Businessweek
Pfizer Marketingfehlverhalten (Zithromax) FDA Warnung 2012 Pharmalot
Sanofi-Aventis Überzogene Rechnungen in Algerien (Overbilling) 25 2012 La Tribune Pharmalot
Sanofi-Aventis Überzogene Rechnungen in Kanada (Quadrace, Pentacel) 2.5 2012 Pharmalot
Roche Verheimlichung von Nebenwirkungen EMA Untersuchung Offen DRS1 Neu!Pharmalot EMA
Fresenius Medical Care Selektive Information (GranuFlo) FDA Untersuchung Offen NY Times Pharmalot
Johnson & Johnson Fehlerhafte Hüftimplantate 0.6 2012 Businessweek
AstraZeneca Irreführung bei Nebenwirkungen (Seroquel®) 46 2012 PharmaGossip
Eli Lilly Zahlung ohne Schuldeingeständnis, Vorwurf Marketingfehlverhalten (Zyprexa) 45 PharmaGossip
Bristol-Myers Squibb Manager lügt vor Gericht Memoiren schreiben 2012 WSJ Pharmalot
Abott Produktregelverstösse 100 1999 Pharmalot
TAP Pharmaceutical (joint venture Abbott and Takeda Pharmaceutical) Manipulation Medicaid und Medicare 875 2001 Pharmalot
Cetero CRO: Datenmanipulation und Studienfälschung, Teva betroffen Konkurs Pharmalot Pharmalot
Cypress Pharmaceutical Marketingfehlverhalten (Hylira, Zaclir, Zacare) 2.8 2012 Pharmalot
GlaxoSmithKline Marketingfehlverhalten (Avandia) 90 2012 Staatsanwalt Maryland
Novartis Anklage wegen Bestechung (Kickbacks) von Apothekern für Nierentransplantations-Medikament (Myfortic) Neu! Anklage 2013 NZZ Tagesanzeiger justice.gov
Novartis Anklage wegen Bestechung von Ärzten im Falle von Bluthochdruck (Lotrel, Valturna) und Diabetes (Starlix) Neu! Anklage 2013 NZZ Tagesanzeiger Blick dailypress
Novartis Untersuchung (Gilenya®, Glivec®) Neu! Untersuchung 2013 SonntagOnline
Pfizer Marketingfehlverhalten (Rapamune) Neu! 491 2013 Forum Gesundheitspolitik DOJ

Auflistung von Fehlverhalten und Bussen der Arzneimittelindustrie (Big Pharma und Homöopathie) der letzten Jahr. USDOJ = US Departement of Justice. Stand: 31.08.2012

Von 1987 bis 2011 zahlte die Pharmaindustrie für $30 Mrd. Bussen (DOJ, DOJ, Pharmalot, Pharmalot), davon in den Jahren 2009 und 2010 je $3 Mrd. Im Jahre 2012 zahlt allein GlaxoSmithKline eine Busse von $3 Mrd.

Die Bussen sind meistens als Vergleiche zwischen der US Justiz und den entsprechenden Pharmaunternehmen zustande gekommen. Die Bussen wurden also ausgehandelt. Dies ist in der US Justiz möglich. Leider sind in den wenigsten Vergleichen, interne Dokumente veröffentlicht worden, die weitergehende Einblicke in das Geschäftsgebaren gezeigt hätten.

Die vollständige Liste der Übereinkommen der US Justiz mit Unternehmen: Corporate Integrity Agreements

Weitere Fälle sind in Bearbeitung der US-Justiz, z.B. womögliche weitere $2.2 Mrd. Busse für Johnson & Johnsohn (Bloomberg). Stay tuned – wie die Amerikaner zu sagen pflegen.

Die grössten Pharmakonzerne der Welt

# Unternehmen Sitz Umsatz (in Mrd. USD)
1 Pfizer USA, New York 57.7
2 Novartis Schweiz, Basel 54.0
3 Merck & Co., Inc. (MSD) USA, New Jersey 41.3
4 Sanofi-Aventis Frankreich, Paris 37.0
5 Hoffmann-La Roche Schweiz, Basel 34.9
6 GlaxoSmithKline Großbritannien, London 34.4
7 AstraZeneca Großbritannien, London 33.6
8 Johnson & Johnson USA, New Jersey 24.4
9 Abbott USA, Illinois 22.4
10 Eli Lilly and Company USA, Indianapolis 21.9
Quelle: Wikipedia, Stand: 2012, CC BY-SA

Off-Label Marketing

Eines der häufigsten Marketingfehlverhalten ist das Off-Label Marketing. Medikamente müssen wissenschaftliche geprüft werden und werden danach von den Gesundheitsbehörden zugelassen. Die Zulassung gilt dann für die untersuchte Krankheit. Ärzte sind frei in der Anwendung der Medikamente. Sie dürfen das Medikament also auch für ungeprüfte Krankheiten einsetzen (was auch gut ist). Die Pharmaunternehmen dürfen solche nicht geprüfte Anwendungen in den US jedoch nicht vermarkten, das wird als Off-Label Marketing bezeichnet. Beispielsweise wenn die Wirksamkeit für ein Medikament nur in einer bestimmten Krankheitskonstellation nachgewiesen wurde, das Medikament aber später als allgemein wirksames Medikament anpreisen und verkauft wird.

Untergraben der Wissenschaft

Die Hersteller von pharmazeutischen Produkten haben kommerzielle Interessen. Die Wissenschaft ist dabei ein notwendiges Übel, die Wahrheitssuche nicht das eigentliche Ziel. Es sind Fälle dokumentiert, wo dem «wissenschaftlichen» Nachweis «nachgeholfen» wurde. Es wurden «negative Ergebnisse» nicht publiziert. Von fünf Studien wurden nur 2 publiziert, 3/4 der untersuchten Patienten wurden unterschlagen. Das Medikament erschien so als wirksam, was aber mit allen Daten nicht nachgewiesen werden kann. (IQWiG BMJ)

Die Wissenschaft wurde noch auf vielfältige andere Arten verzerrt und verfälscht. Dokumentierte Fälle werde ich in einem separaten Artikel behandeln.

Lobbying

Die Pharmaindustrie nimmt mit druckvollem Lobbying Einfluss auf die Gesetzgebung. In den USA gibt es in Washington zweimal so viel Lobbyisten wie Parlamentarier (USA Today). Die Pharma-Lobbyorganisation PhRMA verfügt über gut gefüllte Kassen.

Auch in der Schweiz sieht die Sache nicht besser aus: Interpharma hat direkten Zugang zum Schweizer Parlament.

Lobbying wird bei den Pharmaunternehmen wahrscheinlich unter Marketing abgebucht. Novartis hat allein im letzten Jahr 15 Mrd. USD für Marketing ausgeben (Marketing Novartis).

Hilfreiche und wirksame Gesetze werden so verhindert oder verwässert.

Verzögern von Generika («Pay for delay»)

Ein weiterer Trick der Pharmaindustrie zum Abkassieren bei den öffentlichen Gesundheitssystemen ist es den Start von Generika nach Patentabläufen zu verzögern. Wie geht es? Patente sind zeitlich begrenzte Monopole. Nach dem Patentablauf kann der Markt spielen. Generika werden daher zu viel billigeren Preisen verkauft. Die Patentinhaber haben nun Absprachen mit den Generikaherstellern gemacht, damit diese noch zuwarten mit dem Verkauf ihrer Medikamente und können dabei die Monopolgewinne untereinander aufteilen (NZZ). Eine Win-Win-Situtation für die Pharmaindustrie auf Kosten der Prämien- und Steuerzähler. Das sind Absprachen gegen den freien Markt, also ein Kartell. Das ist ein Sakrileg in einer kapitalistischen Marktordnung.

Korruption

Neben den subtileren Methoden gibt es noch die ganz plumpe Korruption, z.B. mit Kickback-Zahlungen an Ärzte. Die Ärzte bekommen im Nachhinein eine «Provision» für die Verschreibung. Je mehr Medikamente ein Arzt also verschreibt, desto mehr verdient er. Alte Patienten und chronisch kranke Patienten sind dafür besonders geeignet.

Kommentar

Die Pharmabranche präsentiert sich als grosse Wohltäterin der Menschheit. Bei genauerem Hinsehen ist vieles nicht so sauber wie es aussieht und die grossen Gewinne sind teilweise illegalem Verhalten zu verdanken. Die Bussen, obwohl sie hoch erscheinen, sind leider in keinem Verhältnis zu den Gewinnen der Pharmaunternehmen. Die Bussen werden wahrscheinlich einfach in die «Betriebskosten» miteinkalkuliert.

Die Manager der Pharmaindustrie gehören zu den bestbezahlten der Welt überhaupt. Hohe Löhne scheinen in umgekehrtem Verhältnis zu ethischem Verhalten zu stehen.

Die obigen Beispiele zeigen das grosse manipulative Verhalten der Pharmaindustrie. Die fast unerschöpflichen finanziellen Mittel der Pharmaindustrie können eine korrumpierende Wirkung entfalten. Finanzielle Beiträge sind immer und überall willkommen.

Patientenorganisationen müssen sehr vorsichtig im Umgang mit der Pharmaindustrie sein. Die Unabhängigkeit muss gewahrt werden. Gefällikeiten durch die Industrie sind gefährlich. Die Glaubwürdigkeit kann sonst schlecht aufrecht erhalten werden. Das gleiche gilt auch für Ärzte und Wissenschaftler.

Das Sponsoring muss überdacht werden. Was nützt es einem Läufer, wenn er schneller laufen kann, dafür aber in eine verkehrte Richtung? Ein Rennen wird er sicher nicht mehr gewinnen.

Bei Inseraten oder Sponsorings sollten die Mitglieder und Betroffenen auf das unrechtmässige Verhalten des Sponsors hingewiesen werden, z.B. auf die Fehlverhalten innerhalb der letzten fünf Jahre. Auch die Inseratetarife für solche Sponsoren sollten angepasst werden, z.B. 10× den ordentlichen Tarif.

[Aktualisierung 23.11.2012: Die US Bürgerorganisation Public Citizen hat eine umfassende Analyse der Justizfälle erstellt: Pharmaceutical Criminal and Civil Penalties: An Update, Public Citizen, 27. Sep. 2012. Sie haben detaillierte Auswertungen gemacht. Dieser Bericht ist eine sehr gute Quelle.]

[Aktualisierung 06.03.2013: Ich habe einen Artikel über die teils massiven Qualitätsprobleme bei Medikamenten und Implantaten der Pharmaindustrie, insbesondere Johnson & Johnson, geschrieben.]

[Aktualisierung 27.04.2013: Anklage gegen Novartis in zwei Fällen wegen Bestechung von 1) Apothekern NZZ Tagesanzeiger, 2) Ärzten Tagesanzeiger]

[Aktualisierung 09.08.2013: 491 Mio $ Busse gegen Pfizer wegen Marketingfehlverhalten (Rapamune) hinzugefügt. Ref: Forum Gesundheitspolitik, DOJ]

Pharmaindustrie: Fehlverhalten und Justizfälle [akt. 6]

War die $3 Mrd. Busse gegen GlaxoSmithKline ein Einzelfall? Was waren die Bussen der letzten Jahre? Welche Ermittlungen sind im Gange?

Ich bin nicht gegen Pharma, aber ich bin gegen unsaubere Machenschaften und illegale Praktiken. Die Pharmaindustrie vertreibt lebensrettende Medikamente und ist eine wichtige Industrie. Leider aber scheint der Gewinn mit allen Mitteln maximiert zu werden – mit legalen und illegalen.

US Bussen für Big Pharma bis Juli 2012US Bussen für Big Pharma bis Juli 2012 | CC BY-NC-ND Public Citizen
Bei der Pharmaindustrie hat man manchmal den Eindruck es gehe nur ums Verkaufen – soviel und so teuer wie möglich. Ungeeignete, mittelmässige oder gar nutzlose Medikamente werden nach allen Regeln der Kunst, teilweise illegalen, an den Mann und die Frau gebracht. Es werden Ärzte, Forscher, Studien und Politiker manipuliert. Studien beschönigt, Wissenschaftlichkeit vorgetäuscht, „negative Resultate“ unterdrückt, Wirkungen übertrieben. Produktionsprozesse nicht im Griff. Überrissene Preise werden verrechnet. Bestechungsgelder (Kickbacks) an Ärzte für Verordnungen bezahlt(, welche auch angenommen wurden). Kritiker bedroht und eingeschüchtert. Nein, es handelt sich hier nicht um die Mafia.

Ich habe einmal eine Zusammenstellung der Bussen der US Justiz erstellt, zusammen mit anderen dokumentiertem Fehlverhalten. Die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Unternehmen Grund Busse Mio $ Jahr Referenz
Novartis Marketingfehlverhalten, Kickbacks (Trileptal) 422.5 2010 Tagi blog.nytimes USDOJ
Novartis Frauendiskriminierung 250 2010 NZZ
Roche Marketingfehlverhalten und Preismanipulation (Rituxan) 20 2011 Pharmalot
Pfizer Marketingfehlverhalten, Schmiergeld (Bextra, Lipitor, Viagra) 2300 2010 NZZ
Eli Lilly Marketingfehlverhalten (Zyprexa) 1400 2010 NZZ USDOJ
Branche Verzögerung, Blockierung von Generika (Bericht EU) 2008 NZZ
GlaxoSmithKline Marketingfehlverhalten (Paxil, Wellbutrin, Avandia, Advair, Lamictal, Zofran), Kick-Backs (Imitrex, Lotronex, Flovent, Valtrex), Überzogene Rechnungen 3000 2012 Blogartikel Tagi Spiegel USDOJ, USDOJ Pharmalot Pharmalot
GlaxoSmithKline Marketingfehlverhalten (Wellbutrin SR) FDA Klage Offen Pharmalot
Merck Serono Kickbacks (Rebif®) 44.3 2011 Bloomberg, USDOJ
Merck KGaA Produktionsprobleme FDA Brief 2012 Pharmalot
Merck Serono Marketingfehlverhalten (Serostim) 704 2005 USDOJ
Bayer Healthcare Marketingfehlverhalten (Xarelto) Klage 2012 Spiegel
Pfizer Marketingfehlverhalten (Neurotonin) 141 2010 Reuters Pharmalot
Pfizer Brustkrebs (Prempro) 45 2012 Bloomberg
Pfizer Brustkrebs (Prempro) 10.4 2012 Bloomberg
Pfizer Brustkrebs (Prempro) 896 2012 Bloomberg Businessweek Bloomberg
Pfizer Brustkrebs (Prempro) 72 2011 Pharmalot
Pfizer Mutmasslich illegaler Freilandversuch an Kindern in Afrika (Trovan), Druck auf Staatsanwaltschaft 75 2010 Süddeutsche US Cable Guardian
Merck (MSD) Marketingfehlverhalten (Vioxx®) C$ 37 2012 Yahoo
Merck (MSD) Marketingfehlverhalten (Vioxx®) 950 2011 Spiegel USDOJ
Pfizer Nichtpublikation negativer Resultate (Reboxetine) Publ. 2010 IQWiG BMJ
Pfizer (Wyeth) Ghostwriting (HRT) Publ. 2010 Ärzteblatt
GlaxoSmithKline Produktqualität (Avandia, Paxil) und Produktionsmethoden 750 2010 independent.co.uk
Elan Marketingfehlverhalten (Zonegran) 203 2011 USDOJ USDOJ
Dey Preisbetrug 280 2010 USDOJ
Forest Marketingfehlverhalten (Levothroid, Celexa, Lexapro) 313 2010 USDOJ
Abott Marketingfehlverhalten (Depakote) 1600 2012 USDOJ Pharmalot
Novo Nordisk Marketingfehlverhalten (Novoseven) 25 2011 USDOJ
Johnson & Johnson Marketingfehlverhalten (Topamax) 81 2010 USDOJ
Johnson & Johnson Marketingfehlverhalten (Risperdal) 181 2012 Pharmalot
Johnson & Johnson Manager Nichtgenehmigte Studien mit Todesfolge Gefängnis 2×9M + 4M 2011 Pharmalot
Sanofi-Aventis Preisbetrug 190 2007 USDOJ
Novo Nordisk Kauf von Patientendaten (Novolin, Novolog) 1.7 2011 USDOJ
AstraZeneca Off-Label Marketing, Kickbacks (Seroquel®) 520 2010 NYimes NYTimes USDOJ
AstraZeneca Marketingfehlverhalten (Seroquel®) 26 2012 Pharmalot
AstraZeneca Marketingfehlverhalten, Irreführung bei Nebenwirkungen, Nichtveröffentlichung negativer Resultate (Seroquel®) 68.5 2011 Pharmalot
Bristol-Myers Squibb Marketingfehlverhalten 515 2007 NYTimes Pharmalot
Bristol-Myers Squibb Bilanzmanipulation (Channel stuffing) 300 2005 Bloomberg
Bristol-Myers Squibb Bilanzmanipulation (Channel stuffing) (Erbitux, Vanlev) 300 2004 Bloomberg
Bristol-Myers Squibb Manager Bilanzmanipulation 0.17 2012 Pharmalot
Bristol-Myers Squibb Manager Bilanzmanipulation 0.4 2010 Pharmalot
Fresenius Kabi Bedrohung (HES) 2012 Spiegel
GlaxoSmithKline Bedrohung (Avandia) 1999 US Senate
Pfizer, Ranbaxy Generikaverzögerung, Kartellabsprache („Pay for Delay“) (Lipitor) Klage 2012 BloombergBusinessNews
Deutsche Homöopathie-Union (DHU), Biologische Heilmittel Heel, Staufen Pharma, WALA Heilmittel, Weleda, Hevert Journalisten Diskreditierung 2012 Süddeutsche
Teva Pharma Übertreibung der Wirkung und Sicherheit (Copaxone®) FDA Warning 2012 FDA Letter Pharmalot
Teva Pharma Anwendungsrisiken (Propofol) 250 2012 Bloomberg Pharmalot
Teva Pharma Anwendungsrisiken (Propofol) 500 2010 Pharmalot
Ungenannt Erpressungsversuche der Inserenten bei Ärztezeitung Artikel 2011 SÄZ
GlaxoSmithKline Unterdrückungsversuch kritischer Meinung (Avandia) Editorial 2010 Euro. Heart Journal
Pfizer Korruption 60 2012 Pharmalot SEC Pharmalot
Teva Korruption Untersuch (Subpoena) 2012 Pharmalot
Bristol-Myers Squibb Korruption Untersuch (Subpoena) 2012 Pharmalot
Johnson & Johnson Korruption 70 2011 Pharmalot
Bayer Verletzung von Branchenrichtlinien (ABPI Code bei Xarelto) 2012 InPharm
Bayer Sammelklage (Yasmin) 402.6 2012 Bloomberg
Bayer Sammelklage (Yaz) 610.5 Offen Bloomberg
Johnson & Johnson Marketingfehlverhalten (Risperdal) 158 2012 Pharmalot
Johnson & Johnson Marketingfehlverhalten (Risperdal) 327 2012 Bloomberg
Johnson & Johnson Marketingfehlverhalten (Risperdal) 258 2010 Bloomberg Pharmalot
Johnson & Johnson Marketingfehlverhalten (Risperdal) 1100 2012 SF.tv Handelszeitung Pharmalot
Bayer Marketingfehlverhalten (Aspirin) 15 2012 Businessweek
Pfizer Marketingfehlverhalten (Zithromax) FDA Warnung 2012 Pharmalot
Sanofi-Aventis Überzogene Rechnungen in Algerien (Overbilling) 25 2012 La Tribune Pharmalot
Sanofi-Aventis Überzogene Rechnungen in Kanada (Quadrace, Pentacel) 2.5 2012 Pharmalot
Roche Verheimlichung von Nebenwirkungen EMA Untersuch Offen DRS1 Pharmalot EMA
Fresenius Medical Care Selektive Information (GranuFlo) FDA Untersuch Offen NY Times Pharmalot
Johnson & Johnson Fehlerhafte Hüftimplantate 0.6 2012 Businessweek
AstraZeneca Irreführung bei Nebenwirkungen (Seroquel®) 46 2012 PharmaGossip
Eli Lilly Zahlung ohne Schuldeingeständnis, Vorwurf Marketingfehlverhalten (Zyprexa) 45 PharmaGossip
Bristol-Myers Squibb Manager lügt vor Gericht Memoiren schreiben 2012 WSJ Pharmalot
Abott Produktregelverstösse 100 1999 Pharmalot
TAP Pharmaceutical (joint venture Abbott and Takeda Pharmaceutical) Manipulation Medicaid und Medicare 875 2001 Pharmalot
Cetero CRO: Datenmanipulation und Studienfälschung, Teva betroffen Konkurs Pharmalot Pharmalot
Cypress Pharmaceutical Marketingfehlverhalten (Hylira, Zaclir, Zacare) 2.8 2012 Pharmalot
GlaxoSmithKline Marketingfehlverhalten (Avandia) 90 2012 Staatsanwalt Maryland
Novartis Anklage wegen Bestechung von Ärzten im Falle von Bluthochdruck (Lotrel, Valturna) und Diabetes (Starlix) Anklage 2013 NZZ Tagesanzeiger Blick dailypress
Novartis Untersuch (Gilenya®, Glivec®) Untersuch 2013 SonntagOnline
Pfizer Marketingfehlverhalten (Rapamune) 491 2013 Forum Gesundheitspolitik DOJ
Johnson & Johnson Schmiergelder (=Korruption) und Marketingfehlverhalten (Risperdal) 2200 2013 Tagi Bloomberg NYTimes
Lundbeck Generikaverzögerung (Kartellabsprachen, Pay for Delay) (Citalopram) 129 2013 NZZ FAZ
Johnson & Johnson Generikaverzögerung (Kartellabsprachen, Pay for Delay) in NL (Fentanyl) 15 2013 NZZ
Novartis Generikaverzögerung (Kartellabsprachen, Pay for Delay) in NL (Fentanyl) 7 2013 NZZ
Novartis Korruption (Schmiergeldzahlungen) (Exjade, Myfortic) 390 2015 Tagi SRF Tagi NZZ NZZ NZZ NZZ Tagesanzeiger justice.gov
Novartis Irreführende Werbung in Japan (Diovan) Klage 2014 SRF Tagi NZZ
Novartis, Roche Preisabsprachen in Italien (Lucentis, Avastin) Ermitt. 2014 Tagi
Novartis Verschwiegene Nebenwirkungen in Japan (Krebsmittel Tasigna) Rücktritte, Anklage 2014 NZZ NZZ
Takeda Krebsrisiko verschwiegen (Actos, gegen Diabetes-2) 6000 2014 NZZ
Eli Lilly Krebsrisiko verschwiegen (Actos, gegen Diabetes-2) 3000 2014 NZZ
Servier, Teva, Lupin, Matrix Laboratories (Mylan), Niche/Unichem, Krka Verstoss gegen das Kartellverbot (Pay for delay) (Bluthochdruck-Medikament Perindopril) 427,7 Mio. € 2014 NZZ
GlaxoSmithKline Bestechungsvorwürfe in China Untersuch / Anklage 2014 NZZ NZZ
Novartis, Roche Korruptionsvorwürfe in Rumänien Razzia 2015 BZ
Novartis Korruptionsvorwürfe in der Türkei Untersuch 2016 NZZ
Novartis Bestechungsvorwürfe Untersuch 2016 Tagi
Novartis Schmiergeldazahlungsvorwürfe in Griechenland Untersuch 2016 NZZ
Purdue Pharma Herunterspielen von OxyContin (Opioid) 634.5 2007 NY Tagi
Novartis Vorwurf der Manipulation der Testdaten vor der Zulassung der Gen-Therapie Zolgensma (2 Mio. $ pro Einmaldosis) 2019 NZZ NZZ
Purdue Pharma Vergleichszahlung wegen dem Opioid OxyContin 270 2019 NZZ Tagi NZZ
Teva Vergelichszahlung wegen Opioid 85 2019 NZZ Tagi
Johnson & Johnson Wiedergutmachung von Schäden durch synthetische Opioide im Gliedstaat Oklahoma, irreführender Werbung 572 2019 NZZ Tagi
Merz Pharma Schweiz AG Illegale Vorteilsgewährung und Umsatzsteigerung (Axura) CEO 4000 Fr.; 10‘000 Fr. / Mitarbeiter 2017 Son­ntags­zei­tung
Insys Bestechung von Ärzten im Stil einer Gangsterbande zum Überverschreiben des Subsys-Sprays (Fentanyl, Opoidkrise) Gefängnis für Chefs 2020 NZZ
Sandoz (Novartis) Illegale Preisabsprachen und andere kartellrechtliche Verstösse 195 2020 NZZ
Novartis Bestechung von Ärzten von 2002 bis 2014 in den USA 678 2020 NZZ Tagi Neu!

Auflistung von Fehlverhalten und Bussen der Arzneimittelindustrie (Big Pharma und Homöopathie) der letzten Jahr. USDOJ = US Departement of Justice. Stand: 31.08.2012

Von 1987 bis 2011 zahlte die Pharmaindustrie für $30 Mrd. Bussen (DOJ, DOJ, Pharmalot, Pharmalot), davon in den Jahren 2009 und 2010 je $3 Mrd. Im Jahre 2012 zahlt allein GlaxoSmithKline eine Busse von $3 Mrd.

Die Bussen sind meistens als Vergleiche zwischen der US Justiz und den entsprechenden Pharmaunternehmen zustande gekommen. Die Bussen wurden also ausgehandelt. Dies ist in der US Justiz möglich. Leider sind in den wenigsten Vergleichen, interne Dokumente veröffentlicht worden, die weitergehende Einblicke in das Geschäftsgebaren gezeigt hätten.

Die vollständige Liste der Übereinkommen der US Justiz mit Unternehmen: Corporate Integrity Agreements

Weitere Fälle sind in Bearbeitung der US-Justiz, z.B. womögliche weitere $2.2 Mrd. Busse für Johnson & Johnsohn (Bloomberg). Stay tuned – wie die Amerikaner zu sagen pflegen. [Aktualisierung 05.11.2013: Johnson & Johnson zahlt nun die vermuteten $2.2 Mrd. Busse, siehe Nachtrag.]

Die grössten Pharmakonzerne der Welt

# Unternehmen Sitz Umsatz (in Mrd. USD)
1 Pfizer USA, New York 57.7
2 Novartis Schweiz, Basel 54.0
3 Merck & Co., Inc. (MSD) USA, New Jersey 41.3
4 Sanofi-Aventis Frankreich, Paris 37.0
5 Hoffmann-La Roche Schweiz, Basel 34.9
6 GlaxoSmithKline Großbritannien, London 34.4
7 AstraZeneca Großbritannien, London 33.6
8 Johnson & Johnson USA, New Jersey 24.4
9 Abbott USA, Illinois 22.4
10 Eli Lilly and Company USA, Indianapolis 21.9
Quelle: Wikipedia, Stand: 2012, CC BY-SA

Off-Label Marketing

Eines der häufigsten Marketingfehlverhalten ist das Off-Label Marketing. Medikamente müssen wissenschaftliche geprüft werden und werden danach von den Gesundheitsbehörden zugelassen. Die Zulassung gilt dann für die untersuchte Krankheit. Ärzte sind frei in der Anwendung der Medikamente. Sie dürfen das Medikament also auch für ungeprüfte Krankheiten einsetzen (was auch gut ist). Die Pharmaunternehmen dürfen solche nicht geprüfte Anwendungen in den US jedoch nicht vermarkten, das wird als Off-Label Marketing bezeichnet. Beispielsweise wenn die Wirksamkeit für ein Medikament nur in einer bestimmten Krankheitskonstellation nachgewiesen wurde, das Medikament aber später als allgemein wirksames Medikament anpreisen und verkauft wird.

Untergraben der Wissenschaft

Die Hersteller von pharmazeutischen Produkten haben kommerzielle Interessen. Die Wissenschaft ist dabei ein notwendiges Übel, die Wahrheitssuche nicht das eigentliche Ziel. Es sind Fälle dokumentiert, wo dem „wissenschaftlichen“ Nachweis „nachgeholfen“ wurde. Es wurden „negative Ergebnisse“ nicht publiziert. Von fünf Studien wurden nur 2 publiziert, 3/4 der untersuchten Patienten wurden unterschlagen. Das Medikament erschien so als wirksam, was aber mit allen Daten nicht nachgewiesen werden kann. (IQWiG BMJ)

Die Wissenschaft wurde noch auf vielfältige andere Arten verzerrt und verfälscht. Dokumentierte Fälle werde ich in einem separaten Artikel behandeln.

Lobbying

Die Pharmaindustrie nimmt mit druckvollem Lobbying Einfluss auf die Gesetzgebung. In den USA gibt es in Washington zweimal so viel Lobbyisten wie Parlamentarier (USA Today). Die Pharma-Lobbyorganisation PhRMA verfügt über gut gefüllte Kassen.

Auch in der Schweiz sieht die Sache nicht besser aus: Interpharma hat direkten Zugang zum Schweizer Parlament.

Lobbying wird bei den Pharmaunternehmen wahrscheinlich unter Marketing abgebucht. Novartis hat allein im letzten Jahr 15 Mrd. USD für Marketing ausgeben (Marketing Novartis).

Hilfreiche und wirksame Gesetze werden so verhindert oder verwässert.

Verzögern von Generika („Pay for delay“)

Ein weiterer Trick der Pharmaindustrie zum Abkassieren bei den öffentlichen Gesundheitssystemen ist es den Start von Generika nach Patentabläufen zu verzögern. Wie geht es? Patente sind zeitlich begrenzte Monopole. Nach dem Patentablauf kann der Markt spielen. Generika werden daher zu viel billigeren Preisen verkauft. Die Patentinhaber haben nun Absprachen mit den Generikaherstellern gemacht, damit diese noch zuwarten mit dem Verkauf ihrer Medikamente und können dabei die Monopolgewinne untereinander aufteilen (NZZ). Eine Win-Win-Situtation für die Pharmaindustrie auf Kosten der Prämien- und Steuerzähler. Das sind Absprachen gegen den freien Markt, also ein Kartell. Das ist ein Sakrileg in einer kapitalistischen Marktordnung.

Korruption

Neben den subtileren Methoden gibt es noch die ganz plumpe Korruption, z.B. mit Kickback-Zahlungen an Ärzte. Die Ärzte bekommen im Nachhinein eine „Provision“ für die Verschreibung. Je mehr Medikamente ein Arzt also verschreibt, desto mehr verdient er. Alte Patienten und chronisch kranke Patienten sind dafür besonders geeignet.

Kommentar

Die Pharmabranche präsentiert sich als grosse Wohltäterin der Menschheit. Bei genauerem Hinsehen ist vieles nicht so sauber wie es aussieht und die grossen Gewinne sind teilweise illegalem Verhalten zu verdanken. Die Bussen, obwohl sie hoch erscheinen, sind leider in keinem Verhältnis zu den Gewinnen der Pharmaunternehmen. Die Bussen werden wahrscheinlich einfach in die „Betriebskosten“ miteinkalkuliert.

Die Manager der Pharmaindustrie gehören zu den bestbezahlten der Welt überhaupt. Hohe Löhne scheinen in umgekehrtem Verhältnis zu ethischem Verhalten zu stehen.

Die obigen Beispiele zeigen das grosse manipulative Verhalten der Pharmaindustrie. Die fast unerschöpflichen finanziellen Mittel der Pharmaindustrie können eine korrumpierende Wirkung entfalten. Finanzielle Beiträge sind immer und überall willkommen.

Patientenorganisationen müssen sehr vorsichtig im Umgang mit der Pharmaindustrie sein. Die Unabhängigkeit muss gewahrt werden. Gefällikeiten durch die Industrie sind gefährlich. Die Glaubwürdigkeit kann sonst schlecht aufrecht erhalten werden. Das gleiche gilt auch für Ärzte und Wissenschaftler.

Das Sponsoring muss überdacht werden. Was nützt es einem Läufer, wenn er schneller laufen kann, dafür aber in eine verkehrte Richtung? Ein Rennen wird er sicher nicht mehr gewinnen.

Bei Inseraten oder Sponsorings sollten die Mitglieder und Betroffenen auf das unrechtmässige Verhalten des Sponsors hingewiesen werden, z.B. auf die Fehlverhalten innerhalb der letzten fünf Jahre. Auch die Inseratetarife für solche Sponsoren sollten angepasst werden, z.B. 10× den ordentlichen Tarif.

Nachträge

[Aktualisierung 23.11.2012: Die US Bürgerorganisation Public Citizen hat eine umfassende Analyse der Justizfälle erstellt: Pharmaceutical Criminal and Civil Penalties: An Update, Public Citizen, 27. Sep. 2012. Sie haben detaillierte Auswertungen gemacht. Dieser Bericht ist eine sehr gute Quelle.]

[Aktualisierung 06.03.2013: Ich habe einen Artikel über die teils massiven Qualitätsprobleme bei Medikamenten und Implantaten der Pharmaindustrie, insbesondere Johnson & Johnson, geschrieben.]

[Aktualisierung 27.04.2013: Anklage gegen Novartis in zwei Fällen wegen Bestechung von 1) Apothekern NZZ Tagesanzeiger, 2) Ärzten Tagesanzeiger]

[Aktualisierung 09.08.2013: 491 Mio $ Busse gegen Pfizer wegen Marketingfehlverhalten (Rapamune) hinzugefügt. Ref: Forum Gesundheitspolitik, DOJ]

[Aktualisierung 05.11.2013: Johnson & Johnson (Janssen) zahlt wie vermutet (Bloomberg Pharmalot) wegen Schmiergeldern (=Korruption) und Marketingfehlverhalten (Risperdal) die Busse von $2.2 Mrd. (Tagi Bloomberg NYTimes). Aber was sind schon $2.2 Mrd, wenn allein mit dem Medikament Risperdal $24 Mrd Gewinn gemacht wurden? Die illegalen Aktivitäten waren unter dem Strich wohl höchst rentabel. Wird durch diese Busse jemand zum Umdenken bewegt?]

[Aktualisierung 10.12.2013: Die EU verhängte Bussen für Generikaverzögerung (Kartellabsprachen, „Pay for delay“) über Novartis und Johnson & Johnson (Janssen) von $ 7 Mio und $ 15 Mio. beim Schmerzmittel Fentanyl. NZZ. Bussen in der EU scheinen in viel kleineren Grössenordnungen zu liegen. Seit 2008 läuft eine EU-Untersuchung. NZZ]

[Aktualisierung 10.12.2013: Im Sommer verhängte die EU bereits eine Busse von $ 129 Mio über Lundbeck wegen Generikaverzögerung (Kartellabsprachen, „Pay for delay“) beim Antidepressivum Citalopram. NZZ FAZ. Bussen in der EU scheinen in viel kleineren Grössenordnungen zu liegen. Seit 2008 läuft eine EU-Untersuchung. NZZ]

[Aktualisierung 09.01.2014: US Justiz (New York) reicht neue Klage gegen Novartis wegen Korruption bei Exjade ein SRF Tagi NZZ]

[Aktualisierung 09.01.2014: Japan reicht neue Klage gegen Novartis wegen irreführender Werbung bei Diovan ein SRF Tagi NZZ]

[Aktualisierung 14.03.2014: Lucentis: Italien leitet Ermittlungen gegen Roche- und Novartis-Manager ein, Tagesanzeiger.ch: (mrs/sda), 14. März 2014]

[Aktualisierung 06.04.2014: Verschwiegene Nebenwirkungen in Japan beim Krebsmittel Tasigna. Austausch der Chefs in Japan. NZZ]

[Aktualisierung 08.04.2014: Takeda und Eli Lilly sollen Krebsrisiko des Diabetes-2 Medikaments Actos verschwiegen haben. Total 9 Mrd Dollar Busse. NZZ, 08.04.2014]

[Aktualisierung 22.05.2014: Ermittlungen geben GlaxoSmithKline wegen Korruption in China abgeschlossen. NZZ]

[Aktualisierung 22.05.2014: Hausdurchsuchung der Niederlassung von Roche in China. NZZ]

[Aktualisierung 24.05.2014: Der häufig als Quelle benutzte Blog Pharmalot von Ed Silverman wurde 31.12.2013 leider geschlossen. Alle Pharmalot-Links funktionieren daher leider nicht mehr.]

[Aktualisierung 03.07.2014: Novartis wurde nun in Japan wegen Unregelmässigkeiten bei Studienresultaten angeklagt (Diovan) NZZ.]

[Aktualisierung 09.07.2014: Servier, Teva, Lupin, Matrix Laboratories (Mylan), Niche/Unichem und Krka werden wegen Verstosses gegen das Kartellverbot (Pay for delay) beim Bluthochdruck-Medikament Perindopril mit 427,7 Mio. € von der EU-Kommission gebüsst. NZZ]

[Aktualisierung 12.07.2014: GlaxoSmithKline: Untersuchung/Anklage wegen Bestechungsvorwürfe in China NZZ NZZ]

[Aktualisierung 21.09.2014: Dieser Blogartikel wurde in überarbeiteter Version im Magazin Albatros (PDF Seite 16, Papier Seite 12) der AG STG (Aktionsgemeinschaft Schweizer Tierversuchsgegner) abgedruckt.]

[Aktualisierung 06.08.2015: Razzien bei Roche und Novartis in Rumänien. Übernachtungen in Las Vegas getarnt als Dienstreise: Schweizer Pharmakonzernen wird in Rumänien Korruption vorgeworfen. Berner Zeitung, 05.08.2015]

[Aktualisierung 08.08.2015: Zum Wohl des Patienten oder des Konzerns?, NZZ, 08.08.2015. Prozess um Korruptionsvorwürfe um die Medikamente Exjade und Myfortic.]

[Aktualisierung 30.03.2016: Novartis, Korruptionsvorwürfe in der Türkei, Untersuchung, NZZ; Novartis, Bestechungsvorwürfe, Untersuchung, Tagi]

[Aktualisierung 06.01.2017: Novartis, Schmiergeldzahlungsvorwürfe in Griechenland, NZZ]

Aktualisierung 27.08.2019: Johnson & Johnson, Wiedergutmachung von Schäden durch synthetische Opioide im Gliedstaat Oklahoma, irreführender Werbung, 572 Mio $, NZZ]

[Aktualisierung 27.08.2019: Merz Pharma Schweiz AG, Illegale Vorteilsgewährung und Umsatzsteigerung (Axura), CEO 4000 Fr.; 10‘000 Fr. / Mitarbeiter Busse, 2017 Son­ntags­zei­tung]

[Aktualisierung 01.08.2020: Novartis, Bestechung von Ärzten von 2002 bis 2014 in den USA, Vergleich von 678 Mio. $ NZZ Tagi]

Beta-Interferone mindestens so wirksam wie Homöopathika

Eine kanadische Studie zur Wirksamkeit von Beta-Interferonen auf den Krankheitsverlauf ist erschienen. Ergebnis: Den mit Beta-Interferon behandelten Patienten ging es nicht besser als den unbehandelten Patienten.

Dt. Ärzteblatt:

Für Kappos steht aber auch fest, dass die langfristige Auswirkung der Beta-Interferone auf die Krankheitsprogression, wenn auch plausibel, so doch letztlich unbewiesen ist.


In den originalen Worten des Editorials von Prof. Dr. Derfuss und Prof. Dr. Kappos:

However, the rigorously collected data of Shirani and colleagues reinforce the conclusion that the associations between use of interferons and long-term disability, although plausible, remain unproven.

Schlussfolgerung der Studie:

Among patients with relapsing-remitting MS, administration of interferon beta was not associated with a reduction in progression of disability, despite using a clinically relevant, important, and irreversible disability milestone as the main outcome.
Unter den Patienten mit schubweiser MS war die Behandlung mit Beta-Interferon nicht mit einer Reduktion der Progression verbunden, trotz der Anwendung eines klinisch relevanten, wichtigen und nicht umkehrbaren (irreversiblen) Meilensteins als Hauptergebnis.

Our findings bring into question the routine use of interferon beta drugs to achieve this goal in MS.
Unsere Ergebnisse stellen die routinemässige Anwendung von Beta-Interferon-Medikamenten zur Erreichung dieses Ziels bei MS in Frage.

Myelounge hat einen guten Artikel verfasst:

#Beta-Interferone mindestens so wirksam wie Homöopathika

Posted on 19. Juli 2012 by Alexander Otto

+++ VANCUVER Laut Studie konnten kanadische MS-Patienten aus British Columbia nicht wirklich von einer Interferon-Therapie profitieren – zumindest nicht was den Vorschritt ihrer Behinderung angeht – ein zugegeben minderes Kriterium für die Bemessung des Therapieerfolgs.

Viel maßgeblicher als die Ergebnisse solch qualitativ zweifelhafter Studien (Wir erinnern uns an die britische Basistherapie-Studie oder die Untersuchungen an der Stanford University School of Medicine) scheint, dass mit Beta-Interferonpräparaten jährlich geschätzte 6,6 Milliarden US-Dollar Umsatz umgesetzt werden.

Im Lichte dieser Tatsachen erkennt die Schweizer MS-Koryphäe Doktor Professor Ludwig Kappos, dass die langfristigen Auswirkungen der Beta-Interferone auf die Krankheitsprogression letztlich unbewiesen sind und es daher derzeit keinen Grund gibt, auf die Verordnung zu verzichten; via Ärzteblatt

Am Vorbild der Alternativmediziner orientiert, fordern Hersteller und Leitlinienmediziner nun offenbar endgültig die Beweislastumkehr. In Zukunft sollten Kostenträger und Patienten beweisen müssen, dass eine Therapie unwirksam ist. Denn bloß weil die Wirksamkeit eines Medikaments nicht nachgewiesen wird, heißt das ja noch lange nicht, dass es unwirksam ist. Bis zum zweifelsfreien Nachweis des Nichtvorhandenseins des Nichtvorhandenen müssen alle Beta-Interferonpräparate daher verordnungsfähig bleiben – schließlich geht es auch um Arbeitsplätze.

Der Artikel von myelounge steht unter einer Creative Commons Lizenz (CC BY-NC-ND).

Ich würde diese Studie nicht als «qualitativ zweifelhaft» bezeichnen. Ich finde vielmehr, dass solche Datenerhebungen und Studien Standard werden sollten. Eine Routine. So können wir schneller lernen und unnütze Behandlungen, von denen es einige gibt, stoppen, weiteren Schaden verhindern und unnütze Kosten vermeiden.

Ansonsten habe ich zum Text von myelounge keinen Kommentar hinzuzufügen.

Die MS-Medikamente Rebif® von Merck Serono, Avonex® von Biogen Idec und Betaseron® von Bayer-Schering basieren auf dem Wirkstoff Beta-Interferon.

Studie: Association Between Use of Interferon Beta and Progression of Disability in Patients With Relapsing-Remitting Multiple Sclerosis, doi:10.1001/jama.2012.7625, JAMA, 18.07.2012
Die Studie wurde staatlich und durch gemeinnützige Organisationen, hauptsächlich MS-Gesellschaften, finanziert. Kein Pharmaunternehmen hat die Studie gesponsert.

Editorial von Prof. Dr. Derfuss und Prof. Dr. Kappos: Evaluating the Potential Benefit of Interferon Treatment in Multiple Sclerosis, doi:10.1001/jama.2012.8327, JAMA, 18.07.2012

Diese Artikel von JAMA sind erfreulicherweise Open Access.

Umverpacken, Formalitäten erledigen und abkassieren (Avastin & Lucentis)

Avastin (Roche) vs Lucentis (Novartis)

Zeitungsmeldung:

SP-Gesundheitsdirektor bringt Pharma in Rage, Tages-Anzeiger, 9. Juli 2011

Die Geschichte dahinter:

Roche stellt das erfolgreiche Krebsmedikament Avastin her (6 Mrd. Umsatz pro Jahr). Im 2005 entdeckt ein Augenarzt zufällig, dass dieses Medikament gegen die Augenkrankheit Makuladegeneration (AMD) hilft. Der Erfolg und die Wirksamkeit des Medikamentes sind nicht zu übersehen. Die Augenärzte beginnen schnell, das Medikament einzusetzen. Ärzte sind in der Anwendung von Medikamenten nicht eingeschränkt. Dies wird übrigens auf Englisch als Off-Label Einsatz bezeichnet.

Im Jahre 2007 bringt Novartis, der 30% der Aktien von Roche gehören, das Medikament Lucentis auf den Markt. Dabei ist Lucentis im Prinzip eine Neuverpackung des Medikamentes Avastin. Zusätzlich wurden die notwendigen wissenschaftlich Studien erstellt. Das Übel dabei ist nun, dass dieses Medikament über 10x teurer verkauft wird. 10x teurer! Und das für ein Medikament für das praktisch kein Forschungsaufwand geleistet wurde. Auf keinen Fall jenen häufig genannten langjährigen risikoreichen Forschungsprozess von dem nur jedes 10. Medikament überlebt. Nein, umverpacken, Studien erstellen und verkaufen.

Roche ist natürlich nicht interessiert das Medikament Avastin für die Augenkrankheit Makuladegeneration (AMD) wissenschaftlich zu überprüfen und anzubieten und dabei Novartis, dem 30%-Eigentümer von Roche, Konkurrenz zu machen.

In der Schweiz werden nur wissenschaftlich geprüfte Medikamente zugelassen und von Krankenkassen bezahlt. Diese Regel macht Sinn, denn sonst könnte jeder sein „Wässerchen“ anbieten, ob es nun hilft oder nicht. Hier wird diese Regel nun aber von Novartis und Roche schamlos zu Lasten der Allgemeinheit ausgenutzt.

Aber Roch und Novartis handeln eigentlich nachvollziehbar. Es sind gewinnorientierte, börsenkotierte Unternehmen, die ihren Aktionären und Managern verpflichtet sind und keine Wohltätigkeitsorganisationen. Das Problem liegt vielmehr dort, dass die Gesellschaft und der Staat es nicht schaffen – weil sie zu schwach, zu unmotiviert oder was auch immer sind – einen vernünftigen Preis zu erzielen.

Wer die Geschichte nicht glaubt, der möge in Avastin und Lucentis. Ein Lehrstück der Gesundheitspolitik, Makuladegeneration: Der Arzneikrieg – „wohlwollend geduldet“, FAZ.NET, 25. Feb. 2010 und Lucentis contra Avastin: AMD Medikament – SWR Fernsehen, 1. März 2007 weiterlesen.

Ein kleiner Beitrag den jeder Schweizer selber leisten kann: Unterstützung und Unterschrift der Transparenzinitiative. So wird wenigstens Klarheit über die (Un-) Abhängigkeit der Parlamentarier geschafft.

[Aktualisierung 14.03.2014: Lucentis: Italien leitet Ermittlungen gegen Roche- und Novartis-Manager ein, Tagesanzeiger.ch: (mrs/sda), 14. März 2014]

[Aktualisierung 12.04.2014: Französische Wettbewerbsbehörden untersuchen Lucentis/Avastin, NZZ]

[Aktualisierung 12.04.2015: Das Problem ist immer noch nicht gelöst. Im Wissenschaftsmagazin von Schweizer Radio SRF wurde darüber berichtet: Novartis in der Kritik, 11. April 2015]