Kann sich die Vergangenheit ändern?

Wir wissen ja, dass Geschichte als Wahrnehmung sich natürlich ändern kann; gäbe es wirklich »die Geschichte«, die allen gemeinsame, allumfassende, feste Vorstellung wie zu Rankes Zeiten, so würde sie nichtsdestoweniger mit der Arbeit eines jeden Historikers, mit jeder neuen Deutung oder Umdeutung der Vergangenheit Änderungen durchmachen. Geschichte kann sich nicht nur, sondern sie muss sich ändern durch die Arbeit von Historikern. Aber im letzten Beitrag habe ich erklärt, dass auch die Vergangenheit, deren Wahrnehmung sich ändert, wiederum das Ergebnis vonweiter

Die Schichtung der Geschichte

Im letzten Beitrag habe ich erklärt, warum die Vergangenheit, die in der Theorie das ist, was war, in der Praxis nur eine Vorstellung davon ist, was war. Darum ist die uns als Menschen, also dem menschlichen Geist irgendwie erreichbare Vergangenheit nichts Objektives, sondern etwas durchaus Subjektives: das Ergebnis menschlicher Wahrnehmung. Damit rückt der Begriff von »Vergangenheit« ganz in die Nähe desjenigen von »Geschichte«, die ja ebenfalls Wahrnehmung und Darstellung von Vergangenem ist, seine Beschreibung und Deutung. Wie verhalten sich alsoweiter

Vergangenheit in Theorie und Praxis

Begonnen habe ich diese Diskussion über »Was ist Geschichte?« mit der Unterscheidung zwischen Vergangenheit und Geschichte, d.h. zwischen dem, was war und verging, und dessen gegenwärtiger Wahrnehmung. Bislang haben wir über die Geschichte, also die Wahrnehmung des Vergangenen gesprochen. Nun soll das Vergangene selbst besprochen werden: Inwiefern können wir als Historiker wissen, was war? Auf der theoretischen Ebene erscheint die Vergangenheit wie natürlich entstanden (im Gegensatz zur künstlich bzw. bewusst konstruierten Geschichte): Vergangenheit ergibt sich einfach durch den natürlichen, objektivenweiter

Wie unterscheidet sich Geschichte von Geschichtsschreibung?

Nach der ersten Differenzierung zwischen Geschichte und Vergangenheit möchte ich nun eine andere Verwechslung entwirren. Wenn wir mit einem Text über die Vergangenheit reden, ist dieser nun Geschichte oder Geschichtsschreibung? Meine Antwort wäre: weder das eine noch das andere. Ein Text ist erst mal ein Text, also wörtlich ein Gewebe (nicht zufälligerweise klingt es so ähnlich wie »Textil«, das dieselbe lateinische Wurzel hat). In einem historischen Text ist das Geschehene (res gestae), also verschiedene Geschehnisse, zu einer (schlüssigen, deutenden, sinnstiftenden)weiter

Wie unterscheidet sich »Geschichte« von »Vergangenheit«?

Die Diskussion über das Wesen der Geschichte möchte ich mit einer Differenzierung beginnen, die vielen Missverständnissen vorzubeugen vermag. Im heutigen wie auch dem früheren Sprachgebrauch wird das Wort »Geschichte« sehr oft als identisch mit »Vergangenheit« benutzt; doch auch wenn zwischen beidem eine nachvollziehbare Nähe besteht, sind sie keineswegs identisch, wie Hegel anmerkte: »Die Geschichte verbindet in unserer Sprache sowohl die objektive als auch die subjektive Seite. Sie meint die res gestae (das Geschehene) und die historia rerum gestarum (die Erzählungweiter

Was ist Geschichte? Zur Einführung

Seit der Entstehung einer akademischen Geschichtswissenschaft (sofern die Geisteswissenschaft überhaupt als Wissenschaft verstanden werden) im 19. Jahrhundert hat der Geschichtsbegriff viele Änderungen durchgemacht. Im Allgemeinen lässt sich eine klare Tendenz nachzeichnen, die von dem (m. E. vermeintlich) objektiven Wahrheitsanspruch eines Leopold von Ranke über eine völlig teleologische und ideologisierte Eingrenzung im Sozialismus bis hin zu dem heute vorherrschenden, postmodernen Fokus auf die eigene Subjektivität, welcher auch für mich gilt. Während der frühere, romantische Anspruch auf eine objektive Wahrheitsfindung eine ziemlichweiter

Frieren für die Wissenschaft: Lauresham im Winter

Wie kam der frühmittelalterliche Mensch durch den Winter? Der Frage gingen am zweiten Wochenende im Januar kostümierte Darsteller der Living History Projektgruppe „Reges Francorum“ nach. Sie trafen sich in Deutschlands jüngstem Freilichtmuseum, dem im September 2014 eröffneten „Experimentalarchäologische Freilichtlabor karolingischer Herrenhof Lauresham“, das dem „Welterbe Areal Kloster Lorsch“ in Südhessen angegliedert ist.

25 Jahre später: Die deutsche “Wiedervereinigung” neu betrachtet

Die Reaktionen auf meinen letzten Text haben gezeigt, wie sehr mancher Leser die Vorstellung von einem deutschen Volk (nicht “Rasse”, nicht “Staatsvolk”) ablehnen will. Obwohl diese Vorstellung die jüngere deutsche Geschichte seit 1949 (Grundgesetz) bis 1990 (Einheit) maßgeblich gestaltet hat, ist ihre Ablehnung teilweise so vehement ausgefallen, dass man metaphorisch fast von einer allergischen Reaktion sprechen kann. Das veranlasst mich zu einer Frage, die ich hiermit an meine Leser richten möchte. Wie erklärt ihr euch, wie würdet ihr insbesondere historischweiter

Zip zip tete zink tet

So beschreibt der Fotoband „Was fliegt denn da?“ den Gesang der Rohrammer Emberiza schoeniclus. Ich bewundere Menschen, die an solchen Beschreibungen Vögel erkennen können. Ich kann das nicht, obwohl ich mich schon näher mit dem Gesang der Rohrammer befasst habe. 2010 hatte ich das Glück bei der Verhaltensbiologie-Gruppe an der Freien Universität in Berlin mitzuarbeiten und mehr über den Gesang dieses kleinen Feuchtgebiet-Vogels zu erfahren. Ich bekam die Möglichkeit diesen Vogel -(und Fledermaus) Liebhaberhaufen kennenzulernen, was letztendlich in einer Publikationweiter