Wahnsinnswoche 2017:04

In dieser Woche 134 Patientenkontakte und 9 Terminausfälle.


Alternative Fakten, von unseren Amygdala gebahnt. Vielleicht bietet sich diese Bezeichnung demnächst auch im Umgang mit paranoider Realitätsverkennung an? Manchmal brauchen wir aber auch nur einfach eine Auszeit von der Realität.


Eine Betriebskrankenkasse fordert Zugriff der Krankenkassen auf Gesundheits- und Behandlungsdaten ihrer Versicherten und hätte gern eine kassenbezogene Gesundheitsakte. In Augsburg findet am 1.2.2017 die mündliche Verhandlung zu einer Klage gegen die elektronische Gesundheitskarte statt. Minister Gröhe glaubt, dass medizinische Versorgung oder Forschung heute ohne die Erhebung und Auswertung großer Datenmengen undenkbar seien (er glaubt aber auch, dass Terminservicestellen die Patientenrechte stärken).


The amount of energy necessary to refute bullshit is an order of magnitude bigger than to produce it.


Captain Obvious: Je früher Jugendliche Cannabis konsumieren, desto schlechter für ihr Gehirn.


Nikotin lindert kognitive Störungen bei Schizophrenie.


Im Januar unglaublich viele Anfragen zur Arbeitsunfähigkeit (einmal quer durch die existierende Kassenlandschaft), oft mit individuellen Fragebögen und entsprechenden Anforderungen an meine Kreativität im Umgang mit Formulargeneratoren. Gut, dass ich die meisten Daten schon in meinem PVS habe und sie nur noch umkopieren muss. Frisst aber momentan viel Zeit, zusammen mit den zum Jahresanfang gehäuften Anfragen der Versorgungsverwaltung, der Arbeitsagentur, des Jobcenters, der DRV, der Hilfeplankonferenzen, und neben den Wünschen nach sonstigen Bescheinigungen, Attesten oder gar Gutachten.


Die neue Version der Patientenleitlinie „Unipolare Depression“ wurde veröffentlicht.


Wissenschaftler sehen eine Verbindung zwischen Arbeitsunsicherheit und langfristig vermindertem Wohlbefinden im Stress, der durch die unsichere Arbeitssituation ausgelöst wird. Kann ich anhand einiger Beispiele aus der Region (ich nenne jetzt keine Namen) bestätigen.


Wahnsinn in den Medien: in dieser Woche 11x Sport, 8x Kultur, je 2x Trump, Dschungelcamp, Landwirtschaft, je 1x Straßenbau, Photoshop, Hochbetagte, Bizarres, Familie. In der Stichprobe (N=30) diese Woche kein einziger Treffer im richtigen Kontext.

Wahnsinnswoche 2017:02

In dieser Woche 123 Patientenkontakte und 12 Terminausfälle.


Bei mittelschwerer bis schwerer Depression sollten nichtmedikamentöse und medikamentöse Behandlungsansätze unter Berücksichtigung individueller Patientenwünsche diskutiert werden. Der Effektivitätsvergleich liefert leider kein eindeutiges Ergebnis.


Big Data: Kaufleute berechnen den Wert der letzten Lebensphase und bestimmen, für wen sich welche Behandlung nicht mehr lohnt, und wie man das Ableben möglichst billig gestaltet. Das sind die absehbaren Auswirkungen einer gewinnorientierten “Gesundheits”-Industrie – der Begriff “Euthanasie” wird aber (noch) nicht ausdrücklich erwähnt…

Übrigens: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat am 09.01.2017 gesagt:

„Das, was wir mal in der Verfassungsrechtsprechung hatten, nämlich dass das Prinzip der Datensparsamkeit gilt, mag für einzelne Bereiche richtig sein. Aber die Wertschöpfung der Zukunft – vom Bundesgesundheitsminister ist gerade heute ein Artikel darüber in der Zeitung zu lesen – wird nicht mehr damit auskommen, dass man möglichst wenige Daten hat, sondern es wird darauf ankommen, aus vielen Daten möglichst interessante Schlussfolgerungen und Anwendungen zu schöpfen.”


Kein Geld der Welt und auch kein unbefristeter Vertrag darf es wert sein, seine Moral und seinen Verstand morgens an der Tür abzugeben.


So sehen “Fakten” im politischen Alltagsgeschäft heutzutage wohl aus.


Die Menschen mussten zuerst die freundlichsten aller Affen werden, bevor sie auch die klügsten werden konnten.

Altruismus hat aus evolutionstheoretischer Perspektive die Funktion, die Fitness eines anderen Lebewesens unter Inkaufnahme des Verlustes eigener Fitness zu vergrößern, weil jedes Individuum ein Interesse daran hat, dass auch unverwandte Mitglieder der Eigengruppe Hilfe in der Not erfahren, da ansonsten eine kumulative Schwächung der beschützenden Eigengruppe droht – und damit auch eine Bedrohung für die eigene Existenz. Die Hilfsbereitschaft gegenüber einer fremden Gruppe wird umso geringer, je bedrohlicher diese empfunden wird. Die davon begleitete ideologische Diskriminierung von Außenseitern kann in Katastrophen menschlichen Leids enden.

Empathiemotivierter Altruismus entsteht in Hirnregionen, die reich an Rezeptoren für Oxytozin sind, darunter u.a. Amygdala und ventrales Striatum. Sogenannte maximale Altruisten haben ein größeres Amygdalavolumen, während Menschen mit psychopathischer Persönlichkeitsakzentuierung und geringer spontaner Empathie ein kleineres Amygdalavolumen und eine verminderte Sensitivität gegenüber sozialen Furchtsignalen haben. Über oxytozinerge Regelkreise induziert altruistisches Verhalten eine Dämpfung von Stress und Furcht in sozialen Umgebungen, was zu einer Entlastung des kardiovaskulären Systems und des Immunsystems führt und somit indirekte Anreize für Kooperativität generiert: Menschen mit ausgeprägter altruistischer Neigung erkranken weniger häufig an an affektiven Störungen, erfreuen sich besserer Gesundheit und leben im Schnitt länger. Altruismus kann aber auch pathologische Formen annehmen, wenn hyperaltruistisches Verhalten Selbst- oder Fremdschädigung nach sich zieht (Helfersyndrom).

Hurlemann R, Marsh N: Neue Einblicke in die Psychobiologie altruistischer Entscheidungen. Der Nervenarzt 11/2016


Die aktuelle Bedarfsplanung in der vertragsärztlichen Versorgung ist nicht bedarfsorientiert. Das psychiatrische Hilfe- und Versorgungssystem in Deutschland ist aus historischer Perspektive und im internationalen Vergleich quantitativ zwar gut ausgebaut. Lange Wartezeiten auf einen Termin beim Psychiater weisen aber darauf hin, dass der Behandlungsbedarf durch die aktuell zugelassene Zahl der Spezialisten nicht gedeckt werden kann.

Insbesondere die Zahl der ambulanten Nervenärzte – unter denen die im eigentlichen Sinne für psychische Störungen zuständigen Psychiater nur etwa die Hälfte ausmachen – erscheint mit durchschnittlich 5 pro 100.000 Einwohner ausgesprochen niedrig angesichts des großen wahrgenommenen Versorgungsdrucks. In manchen Gegenden gibt es gar keine Psychiater mehr, was keinesfalls mit „vermindertem Bedarf“ gerechtfertigt werden kann.

Die vorliegenden Daten stützen die Annahme einer Überversorgung, im Sinne der Behandlung von Gesunden, nicht: Für Studienteilnehmer mit psychiatrischen Diagnosen erhöhen sich die Behandlungsleistungen mit zunehmender regionaler Arztdichte, aber nicht für Teilnehmer ohne Diagnose. Das wiederspricht der Hypothese einer ungerechtfertigten, “angebotsinduzierten” Nachfrage.

Gesellschaftliche Veränderungen, wie ein Wegfall sozialer Unterstützung oder die Zunahme von Problemen bei der Erfüllung von Rollenerwartungen, vermehrter Anpassungsdruck und damit verbundener chronischer Stress, können zudem dazu beitragen, dass eine „angeschlagene psychische Gesundheit“ häufiger als bislang in manifeste behandlungsbedürftige psychische Störungen übergeht.

Jacobi F et al: Ambulante fachärztliche Versorgung psychischer Störungen. Der Nervenarzt 11/2016

Wahnsinnswoche 2016:52

In dieser Woche 68 Patientenkontakte und 1 Terminausfall.


Das Ärztliche Zentrum für Qualität in der Medizin (ÄZQ) bietet zahlreiche Patienteninformationen an, unter anderem für Depressive und ihre Angehörigen.


Informationen zum neuen PsychKG NRW, das zum 1.1.2017 in Kraft tritt. Wichtig: Zwangsmedikationen stehen künftig unter Richtervorbehalt.


Meist liest man, dass Cannabiskonsum das Risiko, eine Schizophrenie zu entwickeln, erhöhen soll. Umgekehrt gibt es wohl auch einen Zusammenhang: Menschen mit erhöhtem Psychoserisiko neigen eher dazu, Cannabis zu probieren.


N-Acetylcystein kann in Kombination mit kognitiver Verhaltenstherapie die Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung signifikant verbessern.


Anders, als einige Politiker wähnen, ist Folter bei der Wahrheitssuche nicht hilfreich: bei 80% trainierter (!) Soldaten (!!) führte sie nur zu falschen Erinnerungen.


Kann künstliche Intelligenz die Natur unseres Bewusstseins erklären?


710 von 1.000 Befragten begrüßten die Idee, persönliche Krankheitsdaten zur Verfügung zu stellen. Rund 600 hatten gleichzeitig Bedenken, dass Firmen damit Geld verdienen, oder dass die Daten missbraucht werden könnten.


Zum Schluss wünsche ich Ihnen natürlich alles Gute für 2017.

Wahnsinnswoche 2016:49

In dieser Woche 140 Patientenkontakte und 15 Terminausfälle.


Überall werden Daten gesammelt (demnächst auch hier), wir können das nicht mehr wirklich nachvollziehen.

Fitness-Armbänder und Armbanduhren mit Gesundheitsfunktionen erfüllen die Datenschutzstandards nicht. Es bleibt unklar, wer Zugriff auf die Daten (die die Nutzer selbst nicht mehr löschen können) hat und wie lange sie gespeichert werden. Zusätzlich werden diese Daten für das Marketing verwendet und an verbundene Unternehmen weitergeben. Außerdem bestehen Gefahren durch Hackerangriffe. Überlegen Sie es sich also gut, ob Sie Ihre psychische Gesundheit wirklich von Ihrem Smartphone überwachen lassen wollen.

Kapitalgeber für Digital Health-Produkte der Zukunft sehen das nicht so eng. Sie wünschen sich eine Schnittstelle zwischen Konsumenten-Apps und digitaler Patientenakte und wollen damit das Arzt-Patienten-Verhältnis verbessern. Vor Goldgräberstimmung wird gewarnt…


Bei der Quellensuche jetzt auf diversen Seiten: “Schalten Sie gefälligst Ihren Werbeblocker ab, sonst können Sie unsere Inhalte nicht lesen”. Netter Versuch. Es gibt in der Regel auch noch andere Quellen. Ich schalte meinen Werbeblocker nämlich unter anderem deswegen nicht ab.


Wer Gutmensch sagt, verdient sich seinen Shitstorm: “In den letzten 15 Jahren ist das Wort ‘Gutmensch’ allmählich in den Besitz politischer Gruppierungen übergegangen, deren Spektrum von dümmeren Teilen der FDP über Thilo Sarrazin und Akif Pirinçci bis zu Rechtsextremen reicht.” Gedanken über weitere Hassworte hier.


Oxytocin verbessert das Rhythmusgefühl.


Medikamente, die auf den intrazellulären Dopamin Rezeptor (D2LR) einwirken, könnten künftig die Behandlung von Schizophrenie und Parkinson verbessern. Unabhängig davon könnten aber auch NMDA-Rezeptor-Antikörper zur Entstehung einer Psychose beitragen. Oder auch oxidativer Stress. Und Nikotin lindert die kognitiven Defizite bei Schizophrenie. Es bleibt verwirrend.


Ketamin aktiviert die Produktion neuer Proteine in Nervenzellen und könnte dadurch seine antidepressive Wirkung entfalten.


“Was kulturell jeweils als wahr gilt, ist kein ideeller Reflex einer irgendwie gearteten objektiven Realität, sondern Ergebnis gesellschaftlicher Konstruktionsprozesse.” Hier geht’s zur Theorie des Wahns.


Je länger größere Kinder mit ihren Smartphones herumspielen, desto später kommen sie mit Drogen in Berührung.


Wenn Sie selbst mal etwas recherchieren möchten: Open Knowledge Maps.


Passieren Ihnen auch ständig nervige Missgeschicke? Entspannen Sie sich… bestaunen Sie die Schönheit des Wetters

Kinder der Aufklärung oder schon der Steinzeit – Wie alt sind Verschwörungstheorien, Verschwörungsdenken und Verschwörungsglauben?

Nach der hervorragenden Fachtagung an der katholischen Akademie in Weingarten (an der ich leider aus beruflichen Gründen nur zeitweise teilnehmen konnte) veröffentlichte Johannes Lau vom österreichischen „Standard“ einen Artikel über die wissenschaftliche „Entzauberung“ von „Verschwörungstheorien“. … Weiterlesen