Schweinegrippenjournalismus

Die Pro7-Nachrichten wie auch die Zeitungen und das Online-Angebot Der Westen der WAZ-Mediengruppe hatten vor zwei Wochen eine sensationelle Story aufgespürt. Sie beginnt so:

Die Diagnose “Schweinegrippe” kam per Telefon. Denn sein Arzt verweigerte Rüdiger Alt den Hausbesuch. Weil er sich ausgegrenzt fühlt, demonstriert er nun mit fünf anderen Grippekranken in Köln. Sie fordern normalen Umgang mit der Krankheit.

Bei dem diskriminierten “Schweinegrippe”-Patienten “Rüdiger Alt”, der in dem Artikel und auch in dem Beitrag in den Pro7-Nachrichten ausführlich zu Wort kommt, handelte es sich in Wahrheit um den kerngesunden Komiker Jan Böhmermann, seit neuestem in Diensten der “Harald-Schmidt-Show”. Die Geschichte erinnert an das jüngste Bluewater-Medienskandälchen.

Während die offizielle Auflösung erst gestern abend in der Harald-Schmidt-Show erfolgte, blieb der Hinweis eines Kommentators unter dem Artikel auf “DerWesten” zwei Wochen lang von der Redaktion ungelesen. Dieser schrieb bereits am Nachmittag des Erscheinens des Online-Artikels:

Vorsicht Panikmache!
Ich hab diesen “Rüdiger Alt” gerade bei ProSieben News gesehen mit ähnlicher Berichterstattung. Bei dieser Person handelt es sich allerdings um Jan Böhmermann, ein recht berühmter Komödiant vom WDR. Der führt gerne mal ein paar Reporter aufs Glatteis, er hat z.B. mal verkleidet eine Pressekonferenz des “ersten türkischen Kölner-Karnevalsverein” gegeben und am nächsten Tag stand die Schlagzeile in vielen Zeitungen und lief im Fernsehen.

Auch die neuen Kommentare von Harald-Schmidt-Fans haben bislang keine Wirkung gezeigt. Der Artikel ist immer noch unverändert online.

Update, 11:40: Mittlerweile wurde der Artikel mit einem entsprechenden Hinweis versehen. In einem ergänzenden Kommentar heißt es:

@ all,

Herr Böhmernann hat uns tatsächlich ergolgreich reingelegt. Auslöser der Geschichte war die Ankündigung der Demo in Köln. Das schien uns so obskur, dass wir mal prüfen wollten, welcher Irre dahinter steckt. Eindruck nach unserem Interview: “Rüdiger Alts” Geschichte ist schrill – er hat sie aber glaubhaft rübergebracht. Das gilt ebenso für den 2. Kranken, den wir in der Sache kontaktierten. Eine Gegenrecherche beim Arbeitgeber war natürlich nicht möglich. Und die Demo (das Demochen) hat dann ja auch stattgefunden. Fazit: Man konnte die Geschichte bringen oder beerdigen. Wir haben versucht, sie möglichst sachlich zu halten – auch als Beleg für die seltsamen Auswüchse der Schweinegrippenpanik.
Man hätte sie beerdigen sollen, wie wir jetzt wissen. Wir entschuldigen uns bei den Usern.
Alles in allem war es aber ‘ne herrlich subversive Guerilla-Aktion.

Die Redaktion

Traumberuf Medizinjournalist (XVI)

Die FAZ am Sonntag beleuchtet noch einmal den Fall der Kopfprämien von Kliniken an niedergelassene Ärzte: Geben und Nehmen in der Praxis. Nicht ohne sich selbst zu loben: Die Frankfurter Allgemeine Zeitung hatte den Fall recherchiert und als Erste über den Missstand berichtet.

Eigentlich ein Tauerspiel für die Medien. Praktiken im Gesundheitswesen an der Grenze zur Korruption, seit Jahren, flächendeckend, bei Experten ein offenes Geheimnis, von den Betroffenen und Verbänden nicht beschönigt oder verleugnet, sind für Journalisten ein erstaunliches Aha-Erlebnis. Zu den Details erfährt der Leser auch eine Woche nach der “Aufdeckung” nichts. Dabei gäbe es über die Bemühungen der Kliniken um die “Einweiser” und die Ausgestaltung der “Nachsorgeverträge” sicher eine Menge interessantes zu berichten.

Das ist so etwa auf dem Niveau von Sandra Maischberger, die auf der Pressekonferenz zu ihrer Dokumentation bekannte, sie habe unzählige Sendungen zum Thema Gesundheitspolitik moderiert, aber selbst ihr sei der Gemeinsame Bundesausschuss nicht geläufig gewesen.

Titelhuberei

Bares gegen Doktor-Titel

Doktortitel-Verkauf: Professoren unter Korruptionsverdacht

Verkaufte Doktortitel – 100 Hochschullehrer unter Korruptionsverdacht

usw., usw., usw.

Liebe Journalisten, jetzt probieren wir es mal gemeinsam. Alle mitsprechen:

Der Dr. ist ein akademischer Grad und kein Titel.

Titel werden in Deutschland nur durch den Bundespräsidenten verliehen (§2 Abs. 1 des Gesetzes über Titel, Orden und Ehrenzeichen), soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist.

Medizinjournalismus mit Anspruch und unterstützenden…

Im deutschen Medizinjournalismus nahm ein Skandal Anlauf und wollte nicht so recht aus dem Startblock kommen. Zu gross ist die Angst, ein Dopingsystem aufzudecken. In der Hoffung, wenn alle ruhig bleiben, nicht um Aufmerksamkeit sprinten, es keine Fragen gibt.

Ein ehemaliger Verantwortlicher in einer Redaktion eines Fachmedium hat in einen Blog-Kommentar geäussert, dass Artikel von einem in dessen Marktsegment führenden Unternehmen quasi gekauft worden sind. Der Urheber zog den Kommentar zurück, das Unternehmen bestreitet den Vorwurf in E-Mails. Die Behauptung sei nachweislich falsch, diffamierend und geschäftsschädigend. Bloss keine Aufmerksamkeit. Jedoch ist der Kommentar in der Welt. Er wurde gelesen, weitergegeben und registriert.

Es würde nur bestätigen, was schon längst in der Öffentlichkeit bekannt und zum Klassiker in der pharmakritischen Berichterstattung geworden ist: Teile der Medizinpresse, ob Fach- oder Publikumsmedien sind käuflich und Werkzeuge der Pharma-PR. Im Übrigen nicht anders als in anderen Bereichen des Journalismus, ob Reise-, Musik-, oder Auto-.

Wenn Urteile zementiert werden, ist der schnelle Ausweg verbaut. Der kommentarfreudige Journalist versuchte es mit einer Erklärung an die lieben Kollegen. Nun sollte seine Kritik nur die ein “bisschen zu viel Hofberichterstattung” treffen. Also die kritiklose Veröffentlichung von Informationen im Interesse eines Unternehmens. Die im Fokus stehende Fachzeitung sei so seriös ist wie viele andere Medien und nicht weniger unseriös. Offen bleibt, ob die mangelnde journalistische Sorgfaltspflicht aus Unfähigkeit der Journalisten und Redaktion resultiert, oder Ergebnis der Pflege der Medienlandschaft durch die derart Begünstigten ist – oder beides. Im Grunde müssig, dies weiter zu diskutieren, wenn niemand das Rennen eröffnen will.

Entscheidend sind die Folgen. Unstrittig ist, dass Medizinjournalismus eine besondere Verantwortung gegenüber den Bürgern hat. Falsche Information kann im Extremfall tödlich enden. Ebenso muss die Tatsache akzeptiert werden, dass es in der Medizin selten absolute Wahrheit gibt. Obwohl dies für die vehementen Verfechtern der echten Wissenschaft gegen die Quacksalber der Komplementärmedizin ein unerträglicher Zustand ist. Das eröffnet viel Platz für Interpretationen und ist eine Herausforderung für den Anspruch an Qualität. Diesen können die Medien nicht einlösen. Selbst wenn sie es wollten – die ökonomischen Zwänge der Verlage aussen vor gelassen.

Ein Medizinjournalist sollte für eine objektive Berichterstattung die neuen Studiendaten kritisch beleuchten, die Therapiealternativen benennen, sie in ihrem Evidenzgrad und ihrer Indikation bewerten, potentielle finanzielle Auswirkungen auf das Gesundheitsystem im Auge behalten, Interessenskonflikte der Autoren und Unternehmen berücksichtigen, … und alles auf knackige und für die jeweilige Zielgruppe verständliche 6000 Zeichen bringen. Es gibt wenige Experten, die das schaffen, und diese arbeiten nicht für das karge Honorar eines Fachjournalisten.

Inhaltliche Komplexität und der schnelle Wandel medizinischer Erkenntnisse haben in der Medizin zu einer immer weitergehenden Spezialisierung geführt. Es gibt je nach Weiterbildungsordnung in Deutschland rund 60 Gebiete, Facharzt- und Schwerpunktkompetenzen sowie 38 Fachgebiete in denen fakultative Weiterbildungen für ein Spezialthema absolviert werden können. Seit 2004 schreibt das SGB V die Pflicht zur fachlichen Fortbildung für alle an der vertragsärztlichen/-psychotherapeutischen Versorgung teilnehmenden Ärzte und Psychologen verbindlich vor. Dagegen langt für einen Job als Medizinjournalist ein Diplom in Biologie, um mal eine der häufigsten Grundqualifikationen der Zunft zu nennen.

Selbst an den Mitteln zur Information fehlt es. Die wenigsten Medizinjournalisten, gerade bei den Freien, haben ständigen Zugang zu den Originalartikeln der Fachzeitschriften. Was nebenbei nicht weiter auffällt, da es auch an den Wissen um die Bewertung und kritische Interpretation der Studien mangelt. Drei Stunden Kurs “EbM-Basics für JournalistInnen” von Prof. Ingrid Mühlhauser auf der 10. Jahrestagung des Deutschen Netzwerk Evidenzbasierte Medizin sind ein Tropfen auf den heissen Stein.

Medizinjournalismus. Ein ungleicher Wettkampf der nicht zu schaffen ist, ohne “unterstützende Massnahmen” der Pharmaunternehmen und anderer Helfer aus der Gesundheitswirtschaft.

Mit Globuli gegen blutigen Stuhl

Scienceblogger Christian Reinboth vermag sich noch über die Empfehlungen der “Ärzte Zeitung” zu wundern, die “eigentlich einen guten Ruf” habe. Dabei bringt er das Kunststück fertig, im gleichen Text auch noch den Begriff “Verantwortungsbewusstsein” unterzubringen.

Das Missverständnis könnte darin bestehen, dass er die “Ärzte Zeitung” für ein journalistisches Medium hält.

Wirkt Bloggen?

Heute geht eine dpa-Meldung durch die Presse (nachzulesen beispielsweise bei n-tv), in der über eine positiv verlaufene Studie mit einem Medikament berichtet wird. Alles ist eigentlich wie immer, auch das Ende des Artikels:

Das habe erstmals ein Team um Professor Per Aspenberg gezeigt, teilte die schwedische Universität Linköping mit. […] Die Forscher präsentieren ihre Arbeit im “Journal of Bone and Mineral Research”. Sie weisen darauf hin, dass dieser ersten Studie weitere folgen müssten.

Nur eins ist neu. Nach meinen Kenntnisstand zum allerersten Mal überhaupt in der Geschichte des deutschen Medizinjournalismus findet sich in einem Artikel über eine Medikamentenstudie das, was in seriösen US-Zeitungen seit Jahren selbstverständlich ist: Ein Satz, in dem explizit auf die finanzielle Interessenlage hingewiesen wird.

Die Studie wurde finanziert vom Pharmakonzern Eli Lilly, für den Aspenberg auch als Berater arbeitet.

Na also. War das jetzt wirklich so schlimm?

Traumberuf Medizinjournalist (XV)

What should any researcher expect from a journalist beyond the keen intelligence needed to see the newsworthiness of the researcher’s work, and the ability to spell his or her name correctly? For some scientists, the answer is probably ‘Not much’. Many tend to think of science journalism as a kind of public-relations service, existing purely to explain new scientific findings to the masses.

Die Fachzeitschrift “Nature” macht sich anlässlich der 6. Weltkonferenz der Wissenschaftsjournalisten (30.6-2.7. in London) Gedanken um die Zukunft des Wissenschaftsjournalismus. In drei Essays werden die Defizite und Herausforderungen für Journalisten und Naturwissenschaftler benannt.

Boyce Rensberger, bis 2008 Leiter des Knight Science Journalism Fellowship Programm am MIT, bringt es auf den Punkt:

If science journalists are to regain relevance to society, not only must they master the new media, they must learn enough science to analyse and interpret the findings — including the motives of the funders. And, as if that were not enough, they must also anticipate the social impacts of potential new technologies while there is still time to make a difference.

Bei dem Anspruch wird der real existierende Medizinjournalismus in Deutschland zum hoffnungslosen Fall.

Klosterfrau-Überzeugungstäter Bankhofer

Der ehemalige TV-Gesundheitsguru Hademar Bankhofer hat über Jahre verdeckt die Produkte der Klosterfrau-Gruppe angepriesen. Zu diesem Ergebnis kommt der Journalist Marcus Anhäuser hat in einem Artikel in der Süddeutschen Zeitung. Dafür hat Anhäuser sich insbesondere in der Fernsehzeitschrift rtv von Anfang 2007 bis Sommer 2008 angesehen. Da wimmelt es von eingetragenen Markenzeichen der Kosterfrau Healthcare Group.

Bei Bankhofers Rauswurf beim WDR im Sommer 2008 beteuerte der Naturheilkunde-Papst noch, dass er lediglich einen Beratervertrag habe, in dem stehe, dass er “keine Werbung und PR mache”. Mit diesen neuen Fakten konfrontiert verwies er nun darauf, das er Überzeugungstäter sei:

.”Dann ist es doch verständlich, dass ich mich auch im Rahmen meiner journalistischen Tätigkeit beim Schreiben von Zeitungs-Kolumnen aus Überzeugung – ohne Geld dafür zu bekommen – dafür einsetze.”

In einem weiteren Artikel wird die wissenschaftliche Qualität seiner Tipps noch einmal hinterfragt. Es verstärkt sich der Eindruck, dass der Medizinjournalist auf das Überprüfen von Quellen verzichtet, wenn die Message sich schön verkaufen lässt. Zwei Journalistik-Professoren halten dies für hochgradig unseriös. Hier könnte man Bankhofer sogar zur Seite springen, denn seine Arbeitsweise unterscheidet sich nicht besonders von der vieler anderer Kollegen. Medizinjournalismus in Deutschland verlässt sich zu oft auf die Ausagen der Pharmaunternehmen und der von ihnen bezahlten Forscher.

Wobei der Begriff “Journalist” eigenlich nicht auf Bankhofer passt. Wie Marcus Anhäuser in seinem Blog zu Recht bemerkt: “Sein Format ist ist die Kolumne”. Kolumne bezeichnet in der Presse sowie im Online-Journalismus einen kurzen Meinungsbeitrag als journalistische Kleinform. Meinung, nicht Evidenz und Objektivität ist das Geschäft von Bankhofer.