Astroturfing mit der Deutschen Seniorenliga und der…

Es folgt nun die versprochene bebilderte Auflösung unseres Weihnachtsrätsels. Strahlender Gewinner eines halben Dutzends Pharmakugelschreiber (neu, sortiert) ist virtualmono. Herzlichen Glückwunsch!

Die Dr. R. Pfleger GmbH mit Hauptsitz in der schönen Weltkulturerbestadt Bamberg ist ein mittelständischer Arzneimittelhersteller mit gut 55 Mio. Euro Umsatz (2007), dessen ethischer Anspruch “absolute Priorität” genießt. Das lässt sich zumindest der Außendarstellung des Unternehmens entnehmen.

Zweifel an dieser Prioritätenrangfolge sind angebracht. Einiges spricht dafür, dass das Pharmaunternehmen zu den Kunden der ausgeklügelten Bonner PR-Maschinerie gehört, die offiziell unter dem seriös anmutenden Namen “Deutsche Seniorenliga (DSL) e.V.” auftritt.

Bei vielen Aktivitäten der Deutschen Seniorenliga handelt es sich in Wahrheit ganz offenbar um mehr oder weniger gut getarnte PR-Kampagnen der Bonner PR-Agentur MedCom international. Das wunderliche Konstrukt Seniorenliga-Medcom war bereits in der Vergangenheit Thema hier im Blog. Nach unserem ersten Artikel hatten die Bonner allerdings augenscheinlich in der Branche ein wenig an Popularität eingebüßt.

Auch bei der aktuellen Kampagne für das Bamberger Pharmaunternehmen scheinen wieder zwei Aspekte bei der Entscheidung eine Rolle gespielt zu haben, auf die Nennung des Auftraggebers zu verzichten:

1. Aussagen in der Broschüre und auf der begleitenden Web-Site könnten bei Nennung des wahren Absenders als Verstoß gegen das Heilmittelwerbegesetz gewertet werden, etwa die Diskussion der Vor- und Nachteile verschiedener verschreibungspflichtiger Präparate.

2. Wie bei anderen Astroturfing-Kampagnen steigt die Glaubwürdigkeit der Aussagen dadurch, dass sie scheinbar von neutralen Patientenvertretern stammen.

Die Kampagne “Blasenschwäche ist kein Schicksal” der Deutschen Seniorenliga/Medcom international folgt dem Muster der bisherigen verdeckten Seniorenliga/MedCom-Kampagnen, wenn auch hier die Finanzierung durch ein bestimmtes Pharmaunternehmen beim ersten Durchlesen nicht ganz so offensichtlich ist wie etwa bei den Alzheimer-Broschüren.

“Blasenschwäche ist kein Schicksal” ist auf den ersten Blick eine klassische Disease-Awareness-Kampagne, wie sie auch in Deutschland von Pharmaunternehmen ganz legal durchgeführt werden können. Sie geht jedoch darüber hinaus und führt den von entsprechenden Beschwerden betroffenen Leser gezielt zu einem bestimmten verschreibungspflichtigen Präparat der Dr. Pfleger GmbH, nämlich zum Medikament Spasmex®. Genau hierin besteht auch der auffälligste Unterschied zwischen der “Seniorenliga”-Kampagne und einem sehr ähnlich strukturierten Informationsangebot unter der Adresse “dieBlase.de”, bei dem die Dr. Pfleger GmbH ganz offiziell verantwortlich zeichnet.

Die Seniorenliga-Broschüre führt den Leser in drei Schritten zu Spasmex®:

1. Medikamente gehören zur Standardtherapie:

2. Der einzige Wirkstoff, der aufgrund seines Nebenwirkungsprofils bei älteren Menschen geeignet erscheint, ist Trospiumchlorid.

3. Trospiumchlorid ist unter dem Namen Spasmex® erhältlich.

Diese klare Argumentationslinie können sich Zweifler gerne noch einmal von scheinbar unabhängiger Seite bestätigen lassen. Die Seniorenliga empfiehlt hierzu ausgerechnet das Internetangebot “dieBlase.de”.

Kein Wunder. Denn auf ihrer Homepage brüstet sich die Medcom international mit ihrem Auftraggeber (man beachte die ausgefeilte Formulierung):

Pharmakonzern hilft gegen zu kurze Wimpern


Das Pharmaunternehmen Allergan, bekanntestes Produkt “Botox”, hat es geschafft: Die US-Arzneimittelbehörde FDA hat ein Prostaglandin-Medikament zur Förderung des Wuchses von Augenwimpern zugelassen. Das Medikament soll unter dem Handelsnamen Latisse® vermarktet werden. Der Wirkstoff Bimatoprost, ein Hormon (Prostaglandin), wird als “Lumigan®” bisher zur Behandlung von erhöhten Augeninnendruck und vor allem beim Offenwinkelglaukom eingesetzt. Das Wachstum der Augenwimpern bei bis zu 45% im ersten Jahr war bisher eine relevante Nebenwirkung der Glaukombehandlung mit dem Präparat. Nun wird aus einer Nebenwirkung ein Geschäft.

Indiziert soll das neue Medikament bei Hipotrichose der Augenwimpern sein. Eine eher seltene Erkrankung, die den Aufwand einer Neuzulassung nicht rechtfertigt. Das kann man sicher sagen, auch ohne epidemiologische Daten zu kennen. Zielgruppe ist die kosmetische Behandlung. Produkte zur Wimpernverlängerung sind ein Milliardenmarkt. Man muss abwarten, ob die Risiken der Dunkelfärbung der Haut des Augenlids und eine Verstärkung der Irisfarbe, auch mögliche Nebenwirkungen, die Patientinnen von der Behandlung mit Bimatoprost abhalten oder die Aussicht auf längere Wimpern alle Bedenken beiseite wischen werden.

Und nebenbei hat sich die Patentlaufzeit des Wirkstoffs durch die Zulassung für eine neue Indikation in den USA verlängert.

Foto ve makeupartist

Dunkle Seite der Macht

Seit einem einem Jahr gibt es hier im Blog die “Links am Samstag”. Ich hatte zwischen den Jahren bemerkt, dass sich Meldungen und Artikel ansammeln, die zu schade sind, um unerwähnt zu bleiben.

Ähnlich ist es mit den alltäglichen grenzwertigen und illegalen Verhaltensweisen in der Gesundheitswirtschaft. Zum Skandal reicht es nicht, trotzdem sollte es nicht im Informationsrauschen untergehen. Dies wird unter dieser Überschrift unregelmässig Thema sein.

Für den Titel der Rubrik inspirierte mich ein Kollege aus den USA. Ein hemdsärmeliger Verkäufertyp mit einem Stiernacken. Nach seinem Dienst bei den Marines im Marketing bei Pharmakonzernen tätig und heute als Consultant aktiv. Einer, der abends nach der Tagung gerne von seinem Heim, Autos, Ferienhaus in den Rockies erzählt, Fotos zeigt und seine neuesten Gadgets am Tisch präsentiert. Berater unterscheiden sich von Pharmaindustriemitarbeitern darin, dass die Scheuklappen fehlen, was jedoch meist erst abends nach dem Genuss einiger alkoholischen Getränke zum Tragen kommt. Beim Sinnieren über die Arbeit sagte einmal: “Ich arbeite für die dunkle Seite der Macht”.

Um dem Vorwurf zu entgegnen, dies zeige wieder die pharmafeindliche Intention dieses Blogs: Betrug und Korruption gibt es ebenso in anderen Branchen. Möglicherweise legt die Öffentlichkeit bei der Pharmaindustrie eine besonders hohe Messlatte an, da es um das Leiden von Menschen geht – oder es ist doch die dunkle Seite der Macht. Das muss jeder für sich beurteilen.

* Pfizer ist vor Weihnachten um 38,7 Millionen Dollar ärmer geworden. Keine Geschenke an die Mitarbeiter, die sich 2009 einen neuen Job suchen müssen, sondern eine Strafzahlung an die “Ischemia Research and Education Foundation”, die seit 20 Jahren Daten zur postoperativen Medikation und Nebenwirkungen sammelt. Ein Gericht in San Jose befand, dass Pfizer daraus Daten zu seinem Schmerzmittel Bextra® gestohlen hat.

* In Pittsburgh steht ein ehemaliger Behördenmitarbeiter vor einer möglichen Haftstrafe. Ein Richter überführte ihn, Zahlungen von Pfizer und Janssen Pharmaceuticals (eine J&J-Tochterfirma) angenommen zu haben. Als Leiter einer Abteilung für seelische Gesundheit hatte er den Vorsitz in einem Komitee, das die Medikamente für staatliche Krankenhäuser und Haftanstalten genehmigt hat.

* In Texas wird Janssen beschuldigt mit Betrug und Kickback-Zahlungen das Antipsychotikum Risperdal® in den Markt gedrückt zu haben. Das brachte Risperdal® in eine vorteilhafte Position auf der Liste des “Texas Medical Algorithm Project” (TMAP), die für die Auswahl der Medikamente, die an Medicaid-Patienten verschrieben werden, massgeblich ist. Der Leiter des oben genannten Behörde in Pittsburgh hat das TAMP als PennMAP in Pennsylvania eingeführt.

* Diener zweier Herren gibt es nicht nur in Deutschland bei Mitarbeitern in Ministerien, die eigentlich im Sold von Unternehmen oder Verbänden stehen. Ein Berater des Governors von Massachusetts hat verheimlicht, kurz nach seinem Dienstantritt Präsident einer Biotechindustrie-Vereinigung geworden zu sein. In den weiteren fünf Monaten half er nah an der Macht, Steuererleichterungen und andere Wohltaten für die Biotech-Branche auf den Weg zu bringen.

"Skandal" um Strattera®-Berichterstattung bei Frontal:…

Der öffentliche Disput um die vier Todesfälle im Zusammenhang mit der Einnahme des ADHS-Medikaments Strattera®, über die die Frontal21-Reportage “Das Pharmakartell” berichtet hatte, entwickelt sich zu einer absurden Posse. Weder das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) noch die Süddeutsche Zeitung machen darin eine gute Figur. Besonders Ulrich Hagemann, Leiter der Abteilung für Arzneimittelsicherheit beim BfArM, muss sich fragen lassen, ob er seiner Aufgabe gewachsen ist.

1. Akt
Das ZDF sendet die aufsehenerregende Reportage “Das Pharmakartell”. Eines der Themen ist das ADHS-Medikament Strattera®. Wörtlich heißt es in der Sendung:

Denn die Liste der Nebenwirkungen von Strattera ist lang und bekannt beim Bundesinstitut für Arzneimittel. […] Laut Behördenliste starben 4 Kinder. Das jüngste Kind war 3 Jahre alt.

2. Akt
Die Süddeutsche Zeitung zieht diese Angaben unter der reißerischen Überschrift “Skandal bei Frontal” in Zweifel und stützt sich dabei auf Informationen des BfArM. SZ-Autor Werner Bartens macht aus den genannten Fällen kurzerhand den “Tod von vier Kindern in Deutschland“, was in der Sendung gar nicht behauptet wurde, und stellt sich an die Seite des BfArM.

Schließlich könnte ein Medikament gegen Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom (ADS) mit dem Tod von vier Kindern in Deutschland zusammenhängen. Das behauptet zumindest das ZDF-Magazin “Frontal21” in seiner Ausgabe vom 9. Dezember.[…]
Nachfragen beim Bfarm ergeben ein anderes Bild. “Wir hatten zunächst Berichte über zwei tödliche Verläufe in Deutschland”, sagt Ulrich Hagemann, Leiter der Abteilung für Arzneimittelsicherheit. “Schließlich blieb ein Fall eines 16-Jährigen übrig, der sich umgebracht hat.” Die TV-Redaktion wisse das, warum trotzdem von vier Todesfällen die Rede ist, sei unklar.

3. Akt
Das ZDF veröffentlicht zu dem SZ-Bericht eine Stellungnahme und macht sehr konkrete Angaben zu den vier Todesfällen:

Frontal21 bleibt bei seiner Darstellung und bezieht sich dabei auf eine entsprechende Liste, die das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) dem Magazin nach mehrmaligen Nachfragen selbst überlassen hat. Nach dieser internen Liste der Behörde wurden bislang vier Verdachtsfälle von tödlichen Nebenwirkungen im Zusammenhang mit Strattera gemeldet. Die Verdachtsfälle aus der BfArM-Datenbank des Instituts im Einzelnen: Am 14. Dezember 2005 der Suizid eines 16-Jährigen. Am 26. Juni 2006 der Gehirnschlag eines zwölfjähriger Jungen. Am 11.7. 2006 der Tod ein dreijährigen Kindes und am 27. Juli 2007 der Herzinfarkt eines fünfjährigen Jungen. Die Verdachtsfälle wurden vom Bundesinstitut selbst mit folgenden Fallnummern versehen: DE-BFARM-05018404, DE-BFARM-06036075, DE-BFARM-
06045681, DE-BFARM-07061104.

4. Akt
Das arznei-telegramm veröffentlicht ein “blitz-a-t”, das Licht ins Dunkel bringt. Darin heißt es:

Die Verlautbarungen des BfArM sind nach unserer Kenntnis der Daten nicht nur scheinheilig, sondern irreführend: Tatsächlich dokumentiert die Behörde vier Todesfälle in Verbindung mit Atomoxetin, die vier Kinder unterschiedlichen Alters betreffen und unter vier verschiedenen BfArM-Nummern erfasst sind. Entsprechende Datenausdrucke der Behörde liegen uns vor. Zwei dieser Berichte lässt das BfArM jedoch unter den Tisch fallen, weil sie nicht aus Deutschland stammen. Zunächst waren sie aber irrtümlich als Fallberichte aus Deutschland angesehen und gelistet worden (5). Dass sie aus Deutschland stammen, wurde in der Sendung allerdings auch gar nicht behauptet. Warum die Meldungen zunächst irrtümlich fehlkodiert wurden und warum einer der beiden “übrig gebliebenen” Verdachtsberichte, der ein Mädchen aus den USA betrifft (3), weiterhin aufgeführt wird, bleibt trotz Nachfrage bei der Behörde unklar. Nicht nachvollziehbar ist zudem, dass das BfArM ihm bekannt gewordene Verdachtsfälle mit Todesfolge, die nicht aus Deutschland stammen, einfach ausblendet.

Fazit:
Die Angaben des ZDF zu den Strattera-Todesfällen waren inhaltlich korrekt. Dass der falsche Eindruck entstehen konnte, es handle sich dabei nur um Fälle aus Deutschland, war den Autoren sicher nicht unrecht.

Der SZ-Artikel von Werner Bartens schießt weit über das Ziel hinaus, modifiziert die in der Sendung getätigte Aussage in unzulässiger Weise und stützt sich allein auf Angaben des BfArM, die sich letztlich als irreführend erwiesen haben.

Das BfArM und insbesondere Ulrich Hagemann führt die Öffentlichkeit mit seinen Aussagen gegenüber der SZ gezielt in die Irre. Wie kann es sein, dass sowohl der Frontal21-Redaktion als auch dem arznei-telegramm eine Liste des BfArM mit vier kodierten Strattera-Todesfällen vorliegt, die dem dortigen Leiter der Abteilung für Arzneimittelsicherheit nicht bekannt ist? Und wieviel Vertrauen kann man in eine Behörde haben, die eigene Schlampereien im Umgang mit Daten kritischen Journalisten in die Schuhe schieben will?

Das Pharmakartell – ein Nachtrag

Am Dienstag hat das ZDF das “Pharmakartell” präsentiert. Vorab: Die Dokumentation war eindrucksvoll. Inhaltlich konnte die Reportage Schwächen nicht verbergen. Das fängt bei dem Titel “Kartell” an. Ein Begriff, der Verbindungen mit gleicher Zielsetzung beschreibt. Was der Komplexität der Pharmaindustrie nicht gerecht wird.

Die Redaktion hatte merklich Schwierigkeiten angemessene Gesprächspartner vor die Kamera zu bekommen. Hier im Blog hatte eine Autorin es auch probiert – ohne Erfolg. So konnte man die bekannten Experten bewundern, die immer im TV auftreten, wenn es kritisch um die Pharmaindustrie geht, was die Expertise nicht schmälert. Der ehemalige Lilly-Manager ist auch nicht erstmals vor die Kamera getreten. Bei Youtube ist er seit Januar 2007 vertreten und kündigt sein Buch an.

Die betroffenen Unternehmen und Einrichtungen antworteten auf die Dokumentation mit Richtigstellungen.

Strattera
Zweifel sind bei der Geschichte mit dem ADHS-Medikament Strattera des Unternehmens Lilly aufgekommen. Bei näherer Betrachtung reduzieren sich die vier Todesfälle auf einen Bericht über einen vollzogenen Suizid. Dieser Fallbericht stellt das BfArM folgendermassen vor:

Ein 16jähriger Patient wurde wegen ADHD von September – Oktober 2005 mit Strattera behandelt. Bei diesem Patienten bestanden weitere psychische Erkrankungen, weswegen er stationär behandelt wurde. Nach Absetzen der Therapie und etwa eine Woche nach Entlassung aus der Krankenhausbehandlung verstarb der Patient durch Suizid (Fall-Nummer 05018404).

Ein weiterer dem BfArM berichteter Fall bezieht sich auf ein 3-jähriges Mädchen aus den USA, das nach unbestätigten Angaben nach Einnahme von Strattera verstarb. Der Fall wurde von einem Arzt berichtet, der seinerseits von Kollegen von diesem Fall gehört hatte. Es liegen keine weiteren Informationen zu diesem Fall vor (Fall-Nummer 07061104).

Lilly verweist in einer Pressemitteilung darauf, dass bereits im Rote-Hand-Brief zu Strattera aus dem Jahre 2005 auf das Thema Suizidalität hingewiesen und einen entsprechenden Warnhinweis in die Fach- und die Gebrauchsinformation aufgenommen worden seien.

Eine im Filmbeitrag verwendete Aussage des Patientenbeauftragten im Gemeinsamen Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen bezeichnete das Unternehmen als “grob unwissenschaftlich und zudem unverantwortlich”, da dort eine Nutzen-Risiko-Bewertung ohne Kenntnis von Einzelfällen vorgenommen worden sei.

Auch die in der Sendung gezeigte Selbsthilfegruppe ADHS-Deutschland distanziert sich von der Darstellung. Die 6.500 Euro zweckgebunde Spenden des Pharmakonzerns Lilly, mit der die Abhängigkeit des Verbandes belegt werden sollte, würden nur einen Bruchteil des Etats von ADHS-Deutschland ausmachen. Die Beziehungen zwischen Pharmaindustrie und Selbsthilfe sind kritikwürdig, nur hat die Redaktion sich wie es aussieht hier einen Verband gesucht, der in Sachen Transparenz eher vorbildlich ist. Ein weiteres Indiz, dass das Vorgehen des ZDF nicht ganz sauber war, findet man in einem ADHS-Forum. Dort schildert der Gesprächspartner in der Beratungsstelle den Undercover-Besuch.

Bei mir war vor ca. 4 Wochen ein älterer Herr “Lange” zu einem Beratungsgespräch wegen seiner 17jährigen Tochter. Er kam sehr schnell auf eine mögliche Medikation zu sprechen und fragte mich detailiert zu mir bekannten Nebenwirkungen von Strattera aus. Auch wollte er plötzlich wissen, ob Lilly schon an mich herangetreten sei wegen einer möglichen finanziellen Unterstützung. Ich verwies auf die mir bekannten Suizidfälle (“Finden Sie denn 2 Fälle bei einer so großen Testgruppe so schlimm?” meinte er) und auf in unserer Gruppe aufgetretene Probleme hin und meinte dann noch, dass wir uns grundsätzlich selbst finanzierten und ganz bestimmt kein Geld von irgendeinem Pharmaunternehmen annehmen würden.

Wenn das den Tatsachen entspricht, wäre dies kein sauberes journalistisches Vorgehen.

Fluoxetin
Zu den geschilderten Unregelmässigkeiten bei der Zulassung von Fluoxetin (“Prozac”) und die Todesfälle bei der Behandlung mit dem Antidepressiva hat das BfArM sein Schreiben an die Frontal21-Redaktion ins Internet pdf-Dateigestellt. Dem kann man entnehmen, dass die Autoren des ZDF-Beitrags eher tendenziös mit den Informationen umgegangen sind.

Redaktionelle Werbung
Am überzeugensten war aus meiner Sicht der Teil, in dem die Redakteure vorgaben, ein Pharmaunternehmen zu haben und eine Werbekampagne für das neue Antidpressivum des fiktiven Unternehmens – Volazin – zu planen.

Natürlich hat dies speziell beim Verlag “Wort & Bild”, der die Apothekenumschau verantwortet, zu Widerspruch geführt. Beispielsweise würde in dem Artikel, der in dem “Frontal 21”-Beitrag in die Kamera gehalten wird, explizit darauf hingewiesen, dass die neuartigen Antidepressionsmedikamente “keine Wundermittel”(Zitat) sind. Mögliche Nebenwirkungen (“Vermehrte Unruhe, Angst und gesteigerte Aggressivität”) würden genannt und abschliessend auch auf die Gefahr eines möglichen Suizidversuchs hingewiesen.

Was bleibt? Eine wichtige Dokumentation, die jedoch durch allzu forsches und auf Skandal bedachtes Vorgehen sich selber zum Teil diskreditiert hat.


Update

Die Redaktion von Frontal21 nimmt Stellung zu den Vorwürfen, das ZDF “inszeniere” die Aufregung um ein ADS-Medikament.

Prof. Peter Schönhöfer stellt aus seiner Sicht die Lilly-Pressemitteilung richtig.

"FDA und EMEA sollten verstärkt zusammenarbeiten"…

Wenn es um den Posten des neuen Chefs der FDA (US-Behörde für Arzneimittelaufsicht) geht, wird immer wieder auch Peter Rost als möglicher Kandidat genannt. Seine Bewerbung wird unter anderem von einem Senator und einem Abgeordneten des Repräsentantenhauses unterstützt.

Eine Berufung des ehemaligen Pharmaindustriemanagers würde eine Zäsur bei der Leitung der Mammutbehörde bedeuten, deren Commissioner, so die Bezeichung des Amts, bisher aus der Gesundheitsverwaltung und Wissenschaft kamen. Rost war Vize-Präsident für Marketing bei Pharmacia. Als Whistleblower zeigte er das illegale Marketing des Wachstumhormons Genotropin und Unregelmässigkeiten in der Bilanzierung bei Pharmacia an. Bei der Übernahme von Pharmacia hat Pfizer den unbequemen Manager kalt gestellt. Rost hat, trotz Pfizers Grossaufgebots an Anwälten, die meisten Klagen gegen seinen früheren Arbeitgeber gewonnen. Die Erlebnisse und Erfahrungen schrieb er in einem Sachbuch und einen Thriller nieder. Der Pharmakritiker ist heute als Autor, Redner, Gutachter, Experte tätig. Als Blogger hat er in den letzten 2 Jahren weiter unethische und illegale Praktiken der Pharmaindustrie angeprangert und aufgedeckt.

Grund für mich, Peter Rost einige Fragen zu seiner Bewerbung und der Rolle der FDA aus seiner Sicht zu stellen. In dem Interview verweist er darauf, dass die FDA eine starke Führung braucht, mit Erfahrung in der Leitung grosser Organisationen. Bei der anstehenden Gesundheitsreform sieht er die Hauptaufgabe der FDA darin, das Vertrauen der Bürger in die Sicherheit von Arzneimitteln wiederzugewinnen. Die Zusammenarbeit mit der europäischen Zulassungsbehörde EMEA könnte nach Meinung von Peter Rost dazu beitragen. Den derzeitigen Provinzialismus hält er für naiv. Er könne sich als Frühwarnsystem vorstellen, dass wenigstens die Aufsichtsbehörden die Ärzte und Fachkreise darüber informieren, dass die jeweils andere Behörde Entscheidungen gefällt hat. In Hinblick auf die US-Gesundheitsreform hält Peter Rost es für nicht unwahrscheinlich, dass der Staat in den USA mit dem Programm Medicare zukünftig einen höheren Anteil der Arzneimittelausgaben übernimmt. Er sieht gleichwohl das Problem des möglichst effizienten Einsatzes der begrenzten Mittel. Daher müssten pharmakoökonomische Bewertungen Teil des Systems werden.

  • Die bisherigen Commissioner der FDA kamen aus der Politik, Verwaltung oder Wissenschaft. Welche zusätzlichen neuen Impulse sollte ein Commissioner mit Erfahrungen in der Pharmaindustrie bei der Bewältigung der zukünftigen Aufgaben der FDA geben?
    Peter Rost: This is a key change and also a key challenge. I think there’s a reason it is mostly business people running scientific corporations such as big pharma, the skill sets are different than those needed as a scientist in a lab or clinical setting. For the same reason I think the FDA would benefit from someone with former P&L responsibility who has focused on managing large organizations effectively and not just science. The FDA has a ton of great scientists, what they need now is great leadership. That’s what I would expect to contribute. The fact that I also have an M.D. is simply a bonus.
  • Welche relevante Rolle könnte die FDA bei Reform des US-Gesundheitswesens spielen?
    Peter Rost: The FDA is there to ensure safe and effective drugs and food supply. Trust has broken down and the FDA is no longer regarded as well as it used to be. Clearly the FDA appears to have been slow with warning the public for various dangerous drugs and perhaps food products. It needs to be easier to take a drug off the market than getting it approved for marketing. I would take a top down look at resources and work with the agency to restore its credibility and to ensure a better balance between efforts to approve new drugs and protecting the public against dangerous ones.
  • Die FDA und die EMEA bewerteten in der Vergangenheit Sicherheit und Nebenwirkungen von Medikamenten zum Teil unterschiedlich. Könnte es Bedarf für eine verstärkte Zusammenarbeit geben?
    Peter Rost: I agree. The current provincialism is naive. We frequently see doctors on one continent receiving a warning letter a year before doctors on another continent. I see no reason why a doctor in Germany or the UK should be warned a year earlier about a dangerous side effect, than a doc in the US, yet that is exactly what happens today and the companies involved are unfortunately not helping. I could envision either agency at least notifying its healthcare professionals that a decision has been made by the other agency and informing them that they are still studying this, so an early warning system. That way we cut through the bureaucracy.
  • Zur Begrenzung der steigenden Arzneimittelausgaben setzen in Europa die veranwortlichen Politiker ihre Hoffnung auf auf pharmakoökonomische Bewertungen und HTA (health technology assessments). Könnte das auch für die USA eine Lösung sein?
    Peter Rost: Most definitely. It surely wouldn’t be popular, drug companies today fear UK’s NICE system, and would do what they can to work against this, but at the end of the day, we’re dealing with limited resources that need to be spent in a manner that produces the greatest public good. It is not unlikely that Medicare in the US will be given a larger role in paying for drugs in the future, and to do this effectively pharmaeoeconomic evaluations would have to be part of the system.


There are the questions for the english-speaking audience:
Q1: The previous commissioners had been come from policy, administration or science. Which additional fresh stimulus should be giving a commissioner with experiences in the pharmaceutical industry the FDA to cope with the future tasks?
Q2: Which considerable part could the FDA play in the reform of the US health care system?
Q3: In the past the FDA and the EMEA have assessed safety and side effects of drugs partly differently. Might there the need for greater collaboration?
Q4: For restriction of rising expenditures for drugs responsible politicians in Europe place their hopes in phamacoeconomic evaluations and HTA. Could it be a solution also in the USA?

Homöopathika Hersteller sponsort Uni-Studiengang

Ab April 2009 wird die Europa Universität Viadrina in Frankfurt/Oder einen neuen Masterstudiengang “Komplementäre Medizin – Kulturwissenschaften – Heilkunde” anbieten. Komplementäre Medizin – also Alternativheilkunde – ist per se nichts böses. In Deutschland haben drei medizinische Fakultäten entsprechende Lehrstühle, meist Stiftungslehrstühle, eingerichtet, die sich auch der Fragen zum Nutzen, Sicherheit und Wirtschaftlichkeit von alternativen Therapiemethoden widmen. Das mag Wissenschaftverfechtern nicht gefallen, aber über 60 Prozent der Bevölkerung nehmen Angebote der Komplementärmedizin in Anspruch. Dennoch ist nur wenig über deren Wirksamkeit, aber auch deren mögliche Nebenwirkungen bekannt.

Auf dieser Welle versucht auch die Europa Universität Viadrina zu surfen, deren Präsidentin von Oktober 1999 bis Oktober 2008 die SPD-Kandidatin für das Amt des Bundespräsidenten Gesine Schwan war. Ein Postgraduiertenstudiengang “Komplementäre Medizin – Kulturwissenschaften – Heilkunde” am “Institut für transkulturelle Gesundheitswissenschaften” soll Ärzte und Apotheker für 10.000 Euro beibringen, die Wünsche der Patienten zu befriedigen.

Der Studiengang verbindet die fundierte Weiterbildung auf dem Gebiet der über die Schulmedizin hinaus gehenden Verfahren (= komplementäre Medizin) mit Methoden und Fragestellungen der Kulturwissenschaften. Dabei sind mehr als die Hälfte der Module des Masterstudiengangs explizit kulturwissenschaftlich ausgerichtet, und kulturwissenschaftliche Aspekte werden auch in den eher medizinisch ausgerichteten Modulen thematisiert.

Auf der einen Seite versteht sich der Studiengang als kulturwissenschaftliches Angebot. Wirbt aber mit der von Ärztekammern anerkannten Weiterbildung im Bereich der komplementären Medizin und Heilkunde. Also die Lizenz, die Studiengebühren wieder zu erwirtschaften.

Zu den Pflicht-Modulen gehört “Biologische Medizin” – eine gängige Umschreibung für die teils esoterischen Heilverfahren, von Homoöpathie über Eigenblutbehandlung, bis Airnergy. Der Studiengangs wird in Kooperation mit der “Internationalen Gesellschaft für Biologische Medizin e.V.” in Baden-Baden veranstaltet. Hört sich gut an und soll aber verstecken, dass Mitsponsor des Studienangebots das Unternehmen “Heel” aus Baden-Baden ist, einer der weltweit grössten Homöopathika Hersteller. So durfte etwa der Leiter Öffentlichkeitsarbeit Biologische Heilmittel Heel den Journalistenpreis der Gesellschaft überreichen. Der Präsident ist für Heel auf Weiterbildungstour. Das Unternehmen und die “Internationale Gesellschaft” spielten auch bei dem Leipziger Uni-Skandal um wisenschaftliches Fehlverhalten in Zusammenhang mit wissenschaftlichen Beweis der Wirksamkeit von Homöopathie eine Rolle.

Heel wird eine Professur über 5 Jahre für den Masterstudiengang finanzieren.

Die Cochrane Collaboration als Gehilfe der Pharmaindustrie

Die Cochrane Collaboration ist eine Organisation, die es sich auf die Fahnen geschrieben hat, Ärzte mittels systematischer Übersichtsarbeiten zu medizinischen Fragestellungen den Weg durch den Dschungel der medizinischen Fachliteratur zu ersparen. Gerne sieht sie sich dabei in einer unabhängigen und kritischen Rolle, wachsam und gefeit gegen die Manipulationen der Pharmaindustrie:

Sie sind die Rebellen der Medizin. Ihre Waffe ist die Evidenz, sie glauben also nur, was sich beweisen lässt. Es sind junge Enthusiasten und arrivierte Professoren der Cochrane Collaboration, die nur ein Ziel haben. “Wir wollen, dass es weniger wahrscheinlich wird, dass Ärzte ihre Patienten töten”, sagt Iain Chalmers, der die Organisation vor 16 Jahren gegründet hat.

Bei den Veröffentlichungen der Cochrane Collaboration handelt es sich üblicherweise um systematische Reviews, in denen der Versuch unternommen wird, den aktuellen Wissensstand zu einer bestimmten Fragestellung zusammenzutragen und zu interpretieren, häufig kombiniert mit einer Meta-Analyse, einer Zusammenfassung der Einzelstudien mit statistischen Methoden.

Eine positive Bewertung eines Medikaments durch ein Cochrane-Review führt zu Jubelstürmen in den Marketingabteilungen der Pharmaindustrie. Selbst die BILD-Zeitung kommt dann nicht umhin, Cochrane-Bewertungen zu zitieren:

„Champix“ – die Super-Pille gegen Rauchen

[…]
Nach ersten Studien kamen Forscher der Cochrane Library für Medizin zu dem Ergebnis, dass Raucher ihre Erfolgsaussichten bei einem Entzug mit Vareniclin verdreifachen. Als Nebenwirkung sind bisher nur Übelkeit und Kopfschmerzen bekannt.

Nun gibt es jedoch eine Reihe von Gründen, die Ergebnisse solcher Metaanalysen skeptisch zu betrachten. Das bekannteste Problem ist der Publication Bias: Unveröffentlichte (negative) Resultate klinischer Studien zu einem Medikament können keinen Eingang in eine von unabhängiger Seite durchgeführte Metaanalyse finden. Das Ergebnis von Metaanalysen ist deshalb häufig zugunsten des Medikaments und im Sinne der Hersteller verzerrt.

Hier im Blog habe ich im Zusammenhang mit dem von der BILD-Zeitung angeführten Cochrane-Review auf ein weiteres Problem hingewiesen: Sind die Ergebnisse der meist herstellerfinanzierten Studien systematisch verzerrt – im Fall Champix® (in den USA Chantix®) u.a. durch die unvollständige Verblindung der klinischen Studien – dann findet sich das Ergebnis dieser Verzerrung auch im Ergebnis der Metaanalyse. Garbage in, garbage out.

Der Mehrwert für das Marketing durch die Zusammenfassung von methodisch fragwürdigen Studien zu einem “Paket” mit einem unabhängigen Bewertungssiegel liegt auf der Hand. Fast erinnert das Verfahren an ein in jüngster Zeit ins Gerede gekommenes aber höchst erfolgreiches Geschäftsmodell: Aus eine Reihe von windigen Hypothekenkrediten ließ sich durch Zusammenfassung zu einem “Zertifikat”, welches durch eine namhafte Ratingagentur wohlwollend bewertet wurde, ein erfolgreiches Finanzprodukt zusammenzimmern.

Dieses Potential hat die Pharmaindustrie natürlich erkannt und tut ihr bestes, auf das Erscheinen möglichst positiv ausfallender Cochrane-Reviews hinzuwirken. Ein Beispiel hierfür findet sich in der Dezember-Ausgabe des arznei-telegramms: Auch hier geht es um ein Pfizer-Medikament, und zwar das Präparat Neurontin®:

Auffällig ist, wie Pfizer mit verschiedenen Arbeitsgruppen der Cochrane Collaboration umgeht. Eine Autorengruppe, die sich mit Gabapentin bei bipolarer Störung befasst, fragt mehrfach vergeblich beim Hersteller nach nicht publizierten Studiendaten und gibt schließlich das Projekt auf. Mit einer anderen Arbeitsgruppe zu Gabapentin bei neuropathischem Schmerz entwickelt sich dagegen eine gedeihliche Zusammenarbeit. Dies wird unter anderem in einer internen Mail 2001 offensichtlich: “Das ist eine potenziell große Gelegenheit für Pfizer, da wir den Bereich formulieren und gestalten können… Die Metaanalyse, von der wir beabsichtigen, sie durch die Oxford Schmerz Arbeitsgruppe (H.J. McQUAY) erstellen zu lassen…”

Die Bemühungen von Pfizer haben sich offenbar gelohnt:

Das gefällige Cochrane-Review, dessen Autoren keinen Interessenkonflikt deklarieren, ist seit 2005 ohne Daten aus der großen Negativstudie 945-224 veröffentlicht. Dabei sind Angaben zu dieser Studie auch firmenunabhängig seit 2002 im Beurteilungsbericht der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA einsehbar, die die Zulassung von Gabapentin in dieser Indikation aufgrund der negativen Datenlage abgelehnt und nur Schmerz bei postherpetischer Neuralgie anerkannt hat. Die von der Cochrane-Arbeitsgruppe ausgewerteten vier kleinen plazebokontrollierten Studien zu Gabapentin bei diabetischer Neuropathie umfassen insgesamt nur 281 Patienten gegenüber 325 Studienteilnehmern der erfolgreich zurückgehaltenen Negativstudie. Das Ergebnis dieser Metaanalyse, die für Gabapentin eine Number needed to Treat (NNT) von 4 für die Verringerung des Schmerzes bei diabetischer Neuropathie angibt, ist daher wertlos und sollte zurückgezogen werden.

Evidence-biased medicine.

Obstipation: Movicol vs. Flohsamenschalen

Obstipation oder auch Verstopfung genannt, darunter leiden nicht wenige ältere Leut. Und es ist auch ein häufiges Problem bei behinderten Kindern, die nicht per Fuß durch die Gegend flitzen, sondern dafür einen Rollstuhl oder Buggy bedürfen. Fehlende Bewegung, heißt es als Ursache. Nicht nur, so unsere Erfahrung, sondern auch eine Sache der Ernährung und der […]