Hütchenspiele und die Sprechende-Medizin-Tombola

Kolumne von Dr. Matthias Soyka

Neulich vorm Hauptbahnhof. Ein etwas abgerissener Mann fordert mich zu einem kleinen Spiel auf. Wo liegt die kleine Kugel? Unter dem rechten Hütchen, worunter er sie soeben gelegt hat? Oder links, wo er das Hütchen gerade hingeschoben hat? Vielleicht auch in der Mitte? Oder doch wieder rechts?

Er schiebt die Hütchen in rasender und faszinierender Schnelligkeit hin und her. Und wenn man kein Mitleid mit ihm hat – oder es nur einfach mal probieren möchte, mit seiner Verschiebetechnik mitzuhalten – dann lässt man es vernünftigerweise lieber bleiben und setzt seine Euros nicht aufs Spiel, in dem man versucht, hier mitzuspielen und in der Geschwindigkeit seiner Taschenspielertricks eine Gelegenheit für den eigenen Vorteil zu sehen

Warum sollte man es bei Jens Spahn anders halten?

Das TSVG verspricht außerbudgetäre Bezahlung für alle neuen Fälle, die ein Arzt behandelt. An das Budget haben sich alle so gewöhnt, dass keiner mehr fragt, warum nicht auch die anderen Fälle vom Budget befreit werden, wenn man im Gesundheitsministerium der Meinung ist, die Ärzte würden zu wenig arbeiten. Doch kaum ist diese Kugel unter den Hut gelegt, wird dieser schon hin und her geschoben und hoppla – die angeblich vom Budget befreiten Fällen werden „bereinigt“. Und noch eine Handbewegung: Das Budget, auf das sich der Arzt zumindest ein bißchen verlassen kann, wird auch im nächsten Jahr kleiner sein als es vorher war. Wer 2020 viele Neupatienten hat, muss auch 2021 viele haben, sonst bekommt er seine Arbeit für die Altpatienten nicht bezahlt.

Der Zuschauer schüttelt den Kopf über soviel Verrücktheit. Das hätte er nicht tun sollen, denn schon wieder werden die Hütchen hin und her geschoben. Plötzlich schiebt ein Mitspieler noch ein altes Hütchen aus dem Jahr 2006 auf den Tisch. Die sprechende Medizin soll gefördert werden.

Deshalb nimmt man den Ärzten, die mit ihren Patienten am meisten sprechen, erstmal etwas von ihrem Einkommen weg, in dem man apparative Leistungen schlechter bezahlt als Leistungen der sprechenden Medizin. Auch Akupunkturleistungen werden „abgewertet“. Komisch denkt der Zuschauer des Hütchenspiels – seit wann ist eine dünne Akupunkturnadel ein Apparat. Und redet man mit den Patienten nicht bei der Akupunktur? Seis drum. Ultraschall wird auch weniger bezahlt, wahrscheinlich soll man jetzt beim Ultraschall mit dem Patienten nicht mehr reden, sondern kurz „Passt schon“ murmeln, wenn alles in Ordnung war und bedenklich mit dem Kopf wackeln, wenn der Befund Anlass zur Sorge gibt.

Hier wird nichts gefördert, sondern das vorhandene Geld ein wenig rumgerührt bis einem schwindlig wird – also auch hier wieder Hütchenspiel par exellence.

Noch ein Schwung mit dem mittleren Hütchen: Anästhesisten erhalten bei der Umverteilung zur Förderung der sprechenden Medizin die höchsten Zuwachsraten. Hoffentlich fühlen sich die Operateure nicht gestört, wenn die Anästhesiologen jetzt soviel mit ihren Patienten reden, während sie in der Narkose liegen.

Für das ganze müssen noch die Honorarverteilungsmaßstäbe jeder einzelnen KV angepasst werden. Das verstehen sowieso nur ganz wenige und ermöglicht noch ein paar zusätzliche Hutschiebungen extra.

Am Ende steht der grundversorgende Arzt da, mit seinen ehemaligen Neupatienten. Vielleicht hat er ein paar Euro mehr in diesem Jahr wegen der Neupatienten und ein paar weniger im nächsten wegen der Altpatienten. Vielleicht hat er Glück in der Sprechenden-Medizin-Tombola oder auch Pech – wer weiß es schon genau. Sicher ist nur, dass die ärztlichen Umsätze auch in diesem Jahr nicht wesentlich, nicht inflationsangepasst und vor allem nicht ausreichend steigen werden. Viele der potentiellen Opfer werden sich am Ende freuen, dass sie bei dem Hütchenspiel nicht allzuviel Geld verloren haben oder sogar zum Anködern einen kleinen Gewinn machen durften.

Und während alle fasziniert von seinem Tempo sind, pfeift der Hütchenspieler durch die Zähne: „But what’s puzzling you – Is the nature of my game!“

Er schiebt so virtuos, dass kaum jemand bemerkt, dass der wahre Verlust beim Hütchenspiel viel größer ist als der von Geld: Wer daran teilnimmt zahlt mit erhöhtem Arbeitsdruck, Verlust von Lebenszeit, Arbeitsautonomie, von Freiheit und Zufriedenheit.

Man sollte da nicht mitspielen, sondern sich an ein Merkblatt der Berliner Polizei halten. Diese rät „Hütchenspieler meiden, denn Gewinnchancen gibt es nicht“ (zitiert nach Wikipedia). Die Polizei warnt außerdem: „In Berlin trifft man die Täter meist in Berlin-Mitte und in der westlichen City an.“ Genau genommen müsste es heißen: in der Friedrichstraße 108

Der Orthopäde und Buchautor Dr. Matthias Soyka aus Hamburg liebt das Schreiben ebenso wie seinen Beruf als Arzt. Doch die Absurditäten unseres Gesundheitssystems führen regelmäßig dazu, dass er beides verbindet. Im änd veröffentlicht der Facharzt regelmäßig einige seiner Denkanstöße.

26.01.2020 aend.de 13:22:39, Autor: js – mit freundlicher Gnehmigung des aend

Wahnsinnswoche 2020:04

In dieser Woche 164 Patientenkontakte und 13 Terminausfälle. Bis Mitte April bin ich ausgebucht. Kurzfristige Folgetermine habe ich also nicht im Angebot.


SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach fordert, den Verkauf von Arztsitzen an Finanzinvestoren zu verbieten.

Der Lauterbach, der bis 2013 im Aufsichtsrat eines profitorientierten privaten Klinikkonzerns saß? Der, der meint, Ärzte spielten Golf, statt zu arbeiten? Der Lauterbach, der als Co-Autor geschrieben hat:

“Eine Rationierung wird notwendige Folge der Mittelbegrenzung sein. Unter dieser Annahme impliziert eine als gerecht empfundene Mittelverteilung, dass bestimmte Personen von einer optimalen Behandlung ausgeschlossen werden.”

Der “Experte”? Echt jetzt?

Screenshot


„Die hübscheste Irrenanstalt Deutschlands“ dlf 17.1.2020


Neulich habe ich erklärt wie es kommt, dass ich zum Gesetzesbrecher werde.

Das mit dem Gesetzesbrecher stimmt aber gar nicht.

Ich habe nur eine andere Rechtsauffassung.


Soulfood: Hugo Kant – Out Of Time

Playlist: Soulfood@youtube

Wahnsinnswoche 2020:02

In dieser Woche 147 Patientenkontakte und 13 Terminausfälle. Bis Ende März bin ich ausgebucht. Kurzfristige Folgetermine habe ich also nicht im Angebot.


Das neue Jahr war noch keine Woche alt und schon brach die Terminservicestelle unter dem unerwarteten Ansturm zusammen. Wer konnte denn auch mit sowas rechnen? Money Quote:

Die KVN bittet alle Patientinnen und Patienten, die Telefonnummer 116117 zurzeit nur bei wirklichen gesundheitlichen Problemen (…) zu kontaktieren.

Ja bei was denn sonst???


Typische “Notfall”-Sprechstundensituation: “Mein Hausarzt sagt, er kann mich nicht länger krankschreiben und ich soll zum Psycho gehen.”

Stimmt das? Dürfen die das bei F-Diagnosen nicht? Wenn das stimmt, sollten die Hausarztverbände mal rebellieren und die Rolle des Hausarztes als Gatekeeper besser verankern.

Ach ja: nett wäre auch eine entsprechende Überweisung und vielleicht ein kurzer Begleitbrief…


Fractured Minds, ein First-Person Puzzle Adventure Spiel, das die Belastung durch psychische Probleme thematisiert, ist digital für PC, Nintendo Switch, das PlayStation 4 Entertainment System und Xbox One erschienen. Das emotionale und eindringliche Projekt wird von Wired Productions vertrieben und ist ab sofort für € 1.99 erhältlich. 80% der Einnahmen gehen an Mitchell und Safe In Our World, eine neu gegründete Wohltätigkeitsorganisation der Videospielbranche, die sich ganz der Mental Health Awareness verschrieben hat.


Können Tipp- und Scrollverhalten am Smartphone psychische Erkrankungen oder Demenz vorhersagen? Die Psychiatrie setzt zunehmend auf Big Data und forscht an Diagnosen via Smartphone. Während die einen eine Revolution der Psychiatrie beschwören, warnen andere vor einer Totalüberwachung der Patienten.

Homepages: “Mindstrong”, “Empatica”, “Affectiva”. Damit Sie schonmal Bescheid wissen.


Soulfood: Camellia – EXiT this Earth’s Atomosphere

Soulfood@youtube (die neuesten Einträge stehen oben)

Meine Praxis bleibt bis auf weiteres TI-frei

Warum?

Gute und sinnvolle Produkte setzen sich am Markt allein durch. Wenn mir was zu vertretbarem Preis und Aufwand die Arbeit erleichtert – her damit.

Die Einführung einer von Bürokraten ersonnenen, mit dem Workflow in der Praxis schwer zu vereinbarenden und mit Pseudoargumenten (“Doppeluntersuchungen!”; pdf via NAV) vermarkteten Bananensoft- und Hardware muss wohl durch strenge gesetzliche Auflagen mit Strafzahlungen herbeigezwungen werden. Ohne mich.

TI heißt “Telematik-Infrastruktur”. Auf der Homepage der gematik steht:

“Die Digitalisierung des deutschen Gesundheitswesens ist eines der größten IT-Projekte Europas. Das Ziel ist die Optimierung der Gesundheitsversorgung von 70 Millionen Menschen. Teil dieses ehrgeizigen und anspruchsvollen Projekts zu sein, ist ein wesentlicher Teil des Selbstverständnisses und der Motivation der rund 300 hoch qualifizierten Mitarbeiter der gematik.”

Und:

“Die Telematikinfrastruktur vernetzt alle Akteure und Institutionen des Gesundheitswesens miteinander und ermöglicht dadurch einen organisationsübergreifenden Datenaustausch innerhalb des Gesundheitswesens.”

Klingt verlockend.

Vorläufig schließe ích meine Praxis trotzdem nicht an dieses System an – auch wenn wenn ich damit gegen das Gesetz verstoße. Dafür werde ich nach §291 SGB 5 Abs. 2b mit Honorarabzug bestraft: ich kann nämlich ohne Anschluss keinen Versichertenstammdatenabgleich machen.

Warum werde ich zum Gesetzesbrecher?

“Meine Praxis bleibt bis auf weiteres TI-frei” vollständig lesen

Wahnsinnswoche 2019:47

In dieser Woche 177 Patientenkontakte und 22 Terminausfälle. Bis Anfang Februar bin ich ausgebucht. Kurzfristige Folgetermine habe ich also nicht im Angebot. Vom 25.-29.11. bleibt die Praxis wegen Kongessbesuch geschlossen.


Demnächst biete ich donnerstags eine Videosprechstunde an: ich zeige im Wartezimmer Videos, damit Sie online shoppen und mobil arbeiten können und ich währenddessen Kassenanfragen bearbeiten kann. ;-)


Dumm gelaufen, Telekom: die Krankenakten zehntausender Patienten waren für jeden übers Internet abrufbar. Wer hat jetzt den Ärger? Nein, nicht die Telekom…


Neues aus der Digitalisierungsszene: “ACI erfasst mit der Einwilligung des Patienten die Gespräche zwischen ihm und dem Arzt. Diese Daten werden mit Kontextinformationen aus der Elektronischen Gesundheitsakte ergänzt und in der Krankenakte des Patienten vom System automatisch eingefügt.”


Die AfD will wissen, welche „volkswirtschaftlichen Verluste durch die nicht genutzten Erwerbspotenziale“ von Menschen mit psychischen Erkrankungen und Beziehern von Erwerbsminderungsrenten bestehen (pdf). Übel. Ganz übel. Die Antwort in Drucksache 19/13033 (pdf). Zu allem Überfluss noch die Anfrage zum Gefahrenpotenzial von psychisch Kranken (pdf). Was haben die vor?


Immer wieder treten Lieferengpässe bei Medikamenten auf (aktuell beispielsweise Venlafaxin, Lithium, Valproat). Der Tagesspiegel dazu.


Wer hat das gesagt?

“Ziel sei es schließlich, medizinischen Fachkräften einen besseren Zugang zu Patientendaten zu ermöglichen, die Patientenversorgung zu verbessern und letztendlich zu versuchen, Erkenntnisse aus den Daten zu gewinnen, um Behandlungsabläufe zu optimieren.”

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (2015). Und 2007.

Die Unternehmensberatung Bearing Point im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums (2014).

Unions-Gesundheitsexperte Tino Sorge (2018).

Harro Albrecht von der ZEIT (der wollte mir 2016 mein “Herrschaftsinstrument” wegnehmen und bezichtigte mich der Heimlichtuerei).

Gesundheitsminister Spahn (CDU) 2019.

Und viele andere.

Hier die Auflösung. Überrascht?


“Die Abschaffung der freien Arztwahl ist fast unausweichlich” sagt Gesundheitsökonom Professor Dr. Robert Nuscheler. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) hat sich dafür ausgesprochen, die freie Arztwahl zu begrenzen (2016 klang das noch anders). 2009 im damaligen Koalitionsvertrag auch.


Film: Der gläserne Patient – Daten in Gefahr?


Soulfood: Black Sabbath – Live in Birmingham – May 19, 2012

Wahnsinnswoche 2019:45

In dieser Woche 153 Patientenkontakte und 19 Terminausfälle. Bis Anfang Februar bin ich ausgebucht. Kurzfristige Folgetermine habe ich also nicht im Angebot.


Der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) soll von letzteren unabhängiger werden und nur noch MD heißen. Darüber herrscht bei kranken Kassen und Krankenhausgesellschaft blankes Entsetzen.


 

Wie man NICHT über Suizide berichten sollte: https://t.co/AFxXBvspbq

— drproll (@drproll1) November 8, 2019

 


Gesundheitsminister Spahn (CDU) hat sein digitales Datenverkaufsgesetz durch den Bundestag winken lassen, obwohl Experten dringend davor gewarnt haben: 7 Gründe, warum Spahns Gesundheitspläne für Patienten gefährlich sind.

Nach Auffassung eines Kommentators will die Bundesregierung ohne Not einen zentralen Datenspeicher bauen. Eine Datensammelstelle beim Spitzenverband der Krankenkassen. Dort liegt er dann – der riesige Datenschatz. Ohne jegliche Verfremdung oder Anonymisierung der Daten.

Dabei will Spahn doch nur Depressions-Apps zur Kassenleistung machen. Er verteidigte seine Pläne mit dem Argument, es gehe darum, Gesundheitsforschung zu ermöglichen, und er sicherte “Datenschutz auf höchstem Standard” zu.

Ich halte es schon für gewagt, komplette Datensätze verkaufen zu wollen; das mit der Ano- oder Pseudonymisierung steht auf wackligen Beinen und läst sich durch die beliebten Big-Data-Analysen hervorragend aufdröseln.


Soulfood: Queens of the Stone Age – Millionaire (Live Rock Werchter 2018)

Wahnsinnswoche 2019:44

In dieser Woche 102 Patientenkontakte und 11 Terminausfälle an drei Tagen. Bis Ende Januar bin ich ausgebucht. Kurzfristige Folgetermine habe ich also nicht im Angebot.


Use the noises you most enjoy to mask the noises you don’t want to hear: chatty colleagues, your tinnitus, or even your inner voice when you can’t shut it down! myNoise®


Ziemlicher Aufruhr zurzeit deswegen: Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will eine gigantische Datenbank mit sämtlichen Behandlungsdaten von allen gesetzlich Versicherten aufbauen. Grüne und Patientenschützer kritisieren fehlende Widerspruchsmöglichkeiten. Spahn plant die Aushebelung des Patientendatenschutz für GKV-Patienten. Betroffen sind u.a. Alter, Geschlecht, Wohnort, Behandlungen


Soulfood: Frank Zappa Dumb All Over 1981

Wahnsinnswoche 2019:27

In dieser Woche 184 Patientenkontakte und 16 Terminausfälle. Bis September bin ich ausgebucht. Kurzfristige Folgetermine habe ich also nicht im Angebot.


Nach einer Mitteilung der KV Nordrhein haben sich KBV und kranke Kassen auf die TSVG-Vergütungen geeinigt. Ab September werden 17,5 Prozent der Arztgruppenfälle des Vorjahresquartals extrabudgetär vergütet. Die Behandlung neuer Patienten wird ab 1. September ebenfalls extrabudgetär vergütet. Darüber hinaus gibt es extrabudgetäre Zuschläge auf die Versicherten-, Grund- oder Konsiliarpauschale, wenn der Behandlungstermin innerhalb bestimmter gestaffelter Zeiträume stattfindet, die zum 1. September geschaffen werden. Auch für die Behandlung von sogenannten TSS-Akutfällen bekommen Ärzte einen extrabudgetären Zuschlag auf die Versicherten-, Grund- oder Konsiliarpauschale in Höhe von 50 Prozent.

Näher definiert wurde die Gegenfinanzierung der zukünftig extrabudgetären Leistungen aus der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung. Diese Bereinigung erfolgt für TSS-Terminfälle, für die Behandlung von Neupatienten und die Regelungen zur offenen Sprechstunde in den Quartalen 4/2019 bis 3/2020. Für den Hausarzt-Vermittlungsfall findet die Bereinigung in den Quartalen 3/2019 bis 2/2020 und für den TSS-Akutfall in den Quartalen 1/2020 bis 4/2020 statt. Die extrabudgetären Zuschläge zum TSS-Termin- und TSS-Akutfall sind von der Bereinigung ausgenommen.

Verstehen Sie das? Ich nicht.

Nach Einschätzung meines Berufsverbandes (BVDN) ist es praktikabler, die wöchentliche Verteilung nicht fest auf ein definiertes Zeitfenster festzulegen. Eine freie Verteilung der offenen Sprechstunden käme dem Tenor des Gesetzes näher, da sich hier die Terminstruktur den Bedürfnissen der Patienten anpassen kann, nicht der Betroffene sich den Strukturen anpassen muss.

Aus Versorgungsgesichtspunkten hat man die große Sorge, dass durch die Regelungen des TSVG finanzielle Anreize geschaffen werden, chronische Patienten weniger intensiv und sorgfältig zu behandeln. Grundsätzlich werden Psychiater bei zunehmendem Versorgungsdruck mehr gezwungen sein, eine konsiliarische Arbeitsweise umzusetzen. Das heisst: ein Patient wird nur einmal gesehen, der Hausarzt bekommt einen Bericht mit einem Behandlungsvorschlag. Vom MDK geforderte fachärztliche Krankschreibungen müssen wir künftig immer mehr ablehnen.

Cave: Wenn es durch die gesetzlichen Regelungen zu einer weiteren Erhöhung der Leistungsmengen in den Praxen kommt, kann dies gleichzeitig auch Auswirkungen auf die Zeitplausibilität haben.


Vorläufig lasse ich die Telematik-Infrastruktur nicht in meine Praxis. Ich hab nämlich keinen Bock auf eine blackbox, die meinen kompletten Internettraffic belauscht, getunnelte Verbindungen zu irgendwelchen Bertelsmann-Servern herstellt und gleichzeitig erhebliche Bedenken bezüglich der Datensicherheit bestehen.

Die Strafzahlungen (1% Honorarabzug im 2. Halbjahr 2019, 2,5% ab 2020) finde ich zwar erpresserisch, nehme ich aber gern in Kauf, zumal ich die laufenden Kosten für Anschluss und Betrieb gegenrechne. Zahl ich halt weniger Steuern ;-)

Unverschämt finde ich aber die Forderung der Kranken Kassen, diese Erpressungsgelder Strafzahlungen auch noch einstreichen zu wollen. Zahlt lieber erst mal vollständig die geleistete Arbeit (womit wir wieder beim ersten Punkt wären – der äußerst unübersichtlichen Bereinigung der Vergütung ab 1.7. wegen des TSVG).

Bedenklich finde ich auch die Ankündigung von Gesundheitsminister Jens “Datenschutz ist was für Gesunde” Spahn (CDU), ein eigenes Datenschutzgesetz für das Gesundheitswesen einzubringen. Da wird doch hoffentlich nicht der Datenschutz dem Geschäftsmodell angepasst?


Die Deutsche Patientendaten- und -akten-Selbstbestimmungscharta.


Soulfood: [Mathcore] BLANKFIELD – Last Remote

Wahnsinnswoche 2019:26

In dieser Woche 243 Patientenkontakte und 22 Terminausfälle. Bis September bin ich ausgebucht. Kurzfristige Folgetermine habe ich also nicht im Angebot.


In der Urlaubspost war ein Brief der Kassenärztlichen Vereinigung. Man könne wegen einer Umstellung der Honorarsystematik das Regelleistungsvolumen für das dritte Quartal leider nicht beziffern, und ich solle im Internet nachsehen. Die weiteren Ausführungen zu künftigen Honorarberechnungen waren so kryptisch, dass ich sie nicht vollständig erfassen konnte. Was ich im Internet gefunden habe, läuft auf ungefähr 20 Prozent weniger Honorar hinaus. Das muss ich mal im Auge behalten.


Außerdem soll ich freie Termine an die Terminservicestelle melden. Hab leider keine, kann also auch nichts melden.


Einige Gedanken zu den zurzeit beliebten “Schöne-Worte-Gesetzen“. Hinter dem “Faire-Kassenwahl-Gesetz” zum Beispiel verbirgt sich nach Auffassung des DGB “eine weitreichende Finanz- und Organisationsänderung bei den Krankenkassen, mit der das Konkurrenzprinzip im Gesundheitssystem weiter in Richtung Spitze getrieben wird und der Privatisierung der Weg geebnet werden soll”.


Soulfood: Tony Allen – Wolf Eats Wolf

Wahnsinnswoche 2019:21

In dieser Woche 161 Patientenkontakte und 28 Terminausfälle. Der Terminkalender ist bis zu meinem Urlaub (3.-21.6.2019) randvoll, und der August ist auch schon ausgebucht. Kurzfristige Folgetermine habe ich daher leider nicht im Angebot.


Donnerstag und Freitag war es wieder derart voll, dass ich Mühe hatte, die Nachfrage zu befriedigen. Gleichzeitig erreichte mich ein Bittbrief der Kassenärztlichen Vereinigung, der Terminservicestelle ab Juni mindestens einen freien Termin pro Woche zu melden. Man will mich mit Provisionen ködern… nun, wo nichts ist, kann auch nichts gemeldet werden :-(

Währenddessen bereiten die Kassenärztlichen Vereinigungen weitere Sanktionen für Verweigerer der Telematik-Infrastruktur vor. Aktuell ist erst etwa die Hälfte der Praxen angeschlossen, worüber Gesundheitsminister Spahn etwas unglücklich sei. Das Ministerium soll darüber nachdenken, TI-Verweigerer auf lange Sicht von der vertragsärztlichen Versorgung abzuklemmen.

Bitteschön. Dann soll das Ministerium die Behandlung selbst übernehmen. Wenn ich meine Arbeit nicht mehr abrechnen kann, stelle ich sie eben ein.

Zu allem Überfluss soll die Kassenärztliche Vereinigung alle Behandlungsfälle, die ein Arzt über die Terminservicestelle vermittelt bekommt, extrabudgetär abrechnen. Die Kranken Kassen aber bestehen in den Verhandlungen mit der KBV offenbar auf “Verhandlungspositionen, die ziehen einem die Schuhe aus (Zitat KV-Funktionär).” (aend 24.5.2019, paywall)

Noch schöner:

Die Krankenkassen “wollen ein umfangreiches Praxis-Überwachungssystem mit Zeitstempeln installieren (ebendieser Funktionär)”. Hab ich doch schon immer gesagt. Zeit- und Aktivitätsprofile. Nicht, dass mich das beunruhigen würde (meine Abrechungen wurden schon immer auf Plausibilität und Zeitvorgaben gescannt). Aber wenn ich Patient wäre, würden mich diese Profile in den Händen der Kranken Kassen schon irritieren…


Die Behandlungsleitlinie Schizophrenie ist auf den neuesten Stand gebracht worden.


Clients Lying to their Therapists: Most Commonly Reported Motives for Ongoing Dishonesty.


Soulfood: System Of A Down – Chop Suey!