Obama muss weiteren Gesundheitsposten neu besetzen

US-Präsident Obama muss einen weiteren Rückschlag bei der Besetzung wichtiger Posten in seiner Verwaltung hinnehmen. Sanya Gupta, der derzeit als Chef-Medizinkorrespondent bei CBS und CNN tätig ist, hat seinen Verzicht auf das Amt als “Surgeon General”, eine Art oberster Amtsarzt erklärt.

Er begründet den Schritt damit, dass er mehr Zeit seiner Familie widmen und weiter als Arzt und CNN-Korrespondent arbeiten will. Nach seiner Nominierung Anfang des Jahres waren kritische Stimmen laut geworden, die Gupta eine zu grosse Nähe zur Pharmaindustrie vorwarfen. Nicht zuletzt könnte eine Rolle gespielt haben, dass Gupta als Beamter erhebliche Einkommenseinbussen gegenüber seinen derzeitigen Jobs gehabt hätte, wie die Washington Post berichtete.

Ausser der Absage Guptas hatte Obama gestern noch ein Treffen zur Zukunft des US-Gesundheitswesens zu verdauen, zu der er 150 Vertreter von Stakeholdern, wie Kongressabgeordnete, Ärzte, Gewerkschafter, Vertreter von Unternehmen, Kliniken, Krankenversicherungen und Verbraucherorganisationen eingeladen hatte. Schon die Tatsache, dass alle sich versammelt hatte, wurde als Erfolg gewertet. Der US-Präsident wies wiederholt auf die steigenden Kosten für das US-Gesundheitssystem hin.

If people think we can simply take everybody who is not insured and load them up in a system where costs are not under control, it’s not going to happen.

Beim Weg zu Reform zeigte er sich zu Zugeständnissen bereit, die eine Abkehr von seinen Plänen bedeuten könnten, eine staatliche Krankenversicherung im Wettbewerb mit privaten Anbietern zu etablieren.

During the campaign I put forward a plan for health care reform. I thought it was an excellent plan. But I don’t presume that it was a perfect plan or that it was the best possible plan.

Schon der sich selbst gesetzte Zeitdruck, bis Ende des Jahres eine Reform auf den Weg gebracht zu haben, wird ihn zu Kompromissen mit der Pharmaindustrie, Versicherern und Kliniken zwingen.

Ein Teil der Kostenexplosion wird den horrenden Schadensersatzklagen in den USA zugeschrieben. Dazu hat der oberste Gerichtshof am Mittwoch entschieden, dass Pharmakonzerne in den USA weiter für Gesundheitsschäden haftbar gemacht werden können, die durch Verabreichung ihrer Medikamente hervorgerufen worden sind. In einer von vielen unerwarteten Entscheidung votierten die Richter mit sechs gegen drei Stimmen dafür, dass die Klägerin Diana Levine das Pharmaunternehmen Wyeth auf Schadenersatz für die Nebenwirkungen durch die falsche Anwendung des Medikaments Phenergan® (Wirkstoff Promethazin) verklagen darf.

Durch das Grundsatzurteil stellte das Gericht klar, dass auch die Zulassung durch die Arzneimittelbehörde FDA die Hersteller nicht vor Schadensersatzansprüchen schützt. Auf die Anerkennung dieses Preemption hatten die Pharmakonzerne gesetzt. Nun steht ein Gesetz, dass Medizinproduktehersteller vor Klagen bewahren sollte, auf dem Prüfstand.


Und wenn dies nicht genug wäre: Die NY Times berichtet über die Schwierigkeiten Kick-Back-Zahlungen von Pharmaunternehmen und Medizinprodukteherstellern zu unterbinden.

Fazit: Kostensenkung im US-Gesundheitswesen ist genauso aufreibend wie in Deutschland.

FDA-Kritiker wird FDA-Ausschussmitglied

Der Albtraum für die Pharmaindustrie in den USA geht weiter. Der Pharmakritiker und Konsumentenschützer Sidney Wolfe ist für vier Jahre in den Ausschuss für Medikamentensicherheit und Risikomanagement der US-Arzneimittelbehörde FDA berufen worden. Wolfe, Leiter des Bereichs Gesundheit in der von Ralph Nader gegründeten Verbraucherorganisation Public Citizen, hat über drei Jahrzehnte dazu beigetragen, dass 16 Medikamente vom Markt genommen werden mussten. Die Party zum 100. Geburtstag der FDA nannte er 2006 “propaganda campaign to hide the agency’s unprecedented assault on the American public”.

Derweil haben neun Wissenschaftler der FDA einen Brief an Obamas Transition Team geschrieben, in denen sie weitreichende Reformen in der Behörde fordern. Darin wird Managern vorgeworfen, dass sie FDA-Wissenschaftler zur Manipulation von Daten gezwungen hätten. There is an atmosphere at FDA in which the honest employee fears the dishonest employee.

Bald rezeptfreies Abnehmen mit alli® in Europa


Die europäische Arzneimittelbehörde EMEA hat gestern dafür gesorgt, dass Sanofi-Aventis die Diätpille Acomplia® wegen ernsten Nebenwirkungen vom Markt nehmen muss. Dies hat beim Konkurrenten GlaxoSmithKline (GSK) sicherlich Begeisterung hervorgerufen. Denn gleichzeitig hat die EMEA empfohlen, den Wirkstoff Orlistat aus der Rezeptpflich pdf-Dateizu nehmen. GSK hatte die OTC-Vermarktungsrechte für das Arzneimittel zur Behandlung von Adipositas von Roche erworben, das unter dem Handelsnamen Xenical® als rezeptpflichtiges Medikament in den Apotheken erhältlich ist.

In den USA wird “alli®”, der Markenname des GSK-Medikaments mit der halben Dosierung von Xenical® seit Juni 2007 rezeptfrei verkauft.

GSK feiert dies als Meilenstein im Kampf gegen Übergewicht. Da Orlistat ein bekannter Wirkstoff ist und alli® seit über einem Jahr in den USA vermarktet wird, lohnt es sich, die Hoffnungen von GSK genauer zu betrachten.

Orlistat hemmt fettzerlegende Enzyme lokal im Magen-Darm-Trakt und hat keine bekannten systemischen Wirkungen. Die Hauptfunktion ist die Verringerung der Fettresorption aus der Nahrung, wodurch die Energieaufnahme (in Kalorien) verringert wird. Damit erklärt sich das grösste Problem von alli®. Nicht aufgenommes Fett wird es ausgeschieden. Leider oft in Form von öligen Stühlen. Wird die aufgenommene Fettmenge nicht reduziert, kommt es zu massivem Durchfall auf Grund der vermehrten Fettausscheidung. Nebenwirkungen sind Magenkrämpfe, Blähungen fettige (bis 31%) und flüssige Stühle (bis 13%), Defäkationsdrang (22%), Blähungen mit Stuhlabgang (24%) und Stuhlinkontinenz (8%). Die Prozentangeben beziehen sich auf die Xenical®-Zulassungsstudien. Die verringerte Orlistat-Dosis in alli® soll das Ausmass der Nebenwirkungen begrenzen. Manche Ärzte loben sogar den erzieherischen Effekt des Präparats.

Beim Marketing von alli® ist GSK offensiv herangegangen und hat diese Nebenwirkung einfach zum Behandlungseffekt erklärt. Selbst der, inzwischen abgesetzte, verantwortliche GSK Vize-Präsident für die Diätpille hatte seine persönliche Erfahrung damit gemacht.

‘ll never forget having a fish sandwich and loading it up with tartar sauce and having French fries,” Burton recalled. “I actually discharged some oil.” Luckily for Burton, what he refers to as his “classic oops” episode happened on a Saturday when he was doing errands, not during an important meeting. So he went home to change clothes.

Unerfreulich für ein Medikament, das als Lifestyle-Produkt vermarktet wird. Selbstkasteiung ist nicht gerade populär.

GSK setzte in den USA beim Marketing auf das Internet. Zum einen gibt es eine Produktseite: myalli.com, inkl. einer Social-Communty (myalliplan.com). Desweiteren Question Everything, eine eher virale Internetseite, mit allgemeinen Informationen über Ernährung und Gewichtsreduktion. Und ein blog durfte nicht fehlen. Alles um sich von obskuren Diätmittel-Angeboten im Netz abzugrenzen. GSK versuchte es aber noch mit einem neuen Marketing-Instrument: Ein 140-seitiges Buch, das in Apotheken und Verbrauchermärkten für $ 5 verkauft wird – Are You Losing It? Autoren sind US-Diät-Gurus bzw. eine TV-Köchin. Damit sollten die Verbaucher für das Thema sensibilisiert werden. Und wer keine 140 Seiten lesen kann, für den gab es natürlich Marketing-Aktivitäten in Kooperation Selbsthilfeorganisationen und Fachverbänden: Der Vereinigungen Shaping America’s Youth und North American Association of the Study of Obesity.

Das Ergebnis dieser Anstrengungen hat bisher GSK eher enttäuscht. Das Marktforschungsunternehmen IMS hat im ersten halben Jahr Umsätze von 121 Millionen Dollar ermittelt. GSK nannte für das erste Quartal 2008 rund 17 Millionen Dollar. Sicher auch, weil die Wirkung den Marketing-Aussagen nicht stand hält. In einer Meta-Analyse haben Wissenschaftler 30 randomisierte und plazebokontrollierte klinische Studien bewertet, in denen die Diätpillen über einen Zeitraum von einem Jahr und länger eingenommen wurden. Im Mittel brachten die Studienteilnehmer 100 kg auf die Waage und kämpften mit einem BMI von 35-36. In den Studien mit Orlistat konnten die Patienten im Vergleich mit Plazebo sich nur über eine Reduktion von durchschnittlich 2,9 kg freuen.

Spannend wird sein, wie die Entscheidung der EMEA von den ärztlichen Fachverbänden und den Verbraucherorganisationen aufgenommen wird. In einem Editorial des BMJ äussert Gareth Williams, Medizinprofessor an der Universität Bristol, Ende 2007 Bedenken gegen eine Therapie, die nicht durch Ärzte überwacht wird und die nicht auf eine Änderung des Lebensstils abzielt.

Possibly, few users will even finish their first pack of Alli, let alone buy a second, and the drug may cause only a small and transient downward blip in the otherwise inexorable climb in weight and cardiometabolic risk.

Selling anti-obesity drugs over the counter will perpetuate the myth that obesity can be fixed simply by popping a pill. The only real beneficiary will be GSK.

Österreich vor den Nationalratswahlen

Österreich wählt am Sonntag einen neuen Nationalrat. Gesundheitspolitisch ist von der neuen Regierung, wie immer sie sich zusammensetzen wird, nicht viel zu erwarten.

Gesundheitsministerin Andrea Kdolsky hat erklärt, nicht wieder für ein Amt zur Verfügung zu stehen. Kein Verlust, war sie doch in Sachen Gesundheitsreform ein Totalausfall. Meine Prognose: Ihr Nachfolger wird es angesichts des Filzes im Gesundheitswesen nicht besser machen.

Die Parteien haben den Wählern allerlei finanzielle Bonbons versprochen. Bis hin zum Wegfall der Mehrwertsteuer für Arzneimittel. Einen Vorgeschmack gaben SPÖ und ÖVP am Mittwoch im Nationalrat mit dem Beschluss, die Mehrwertsteuer auf Arzneimittel zu halbieren. Auch in Deutschland eine alte Forderung der Pharmaindustrie. Dies kostet zwichen 300 und 350 Millionen Euro und besonders die maroden durch Vetternwirtschaft durchsetzten Krankenkassen profitieren davon. So wird der Reformdruck verringert, statt erhöht. Selbstredend erhalten sie weiterhin eine seit 1997 geltende Beihilfe aus dem Bundesbudget, die eigens dazu geschaffen wurde, um ihnen die Belastung durch die hohe Mehrwertsteuer zumindest teilweise auszugleichen. Beim österreichischen Patienten wird am wenigsten ankommen, da die Pharmaindustrie die Senkung sicher nur zum Teil an die Kunden weitergeben wird.

In Österreich widmet sich die Verbraucherorganisation Verein für Konsumenteninformation (VKI), vergleichbar mit der deutschen Stiftung Warentest, verstärkt der Gesundheitsversorgung. Ärzte, Arzneimittel, Apotheken – die Tester des VKI fanden nicht selten mangelhafte Transparenz und Qualität der Leistungen und Produkte. Dies hat in dem, vorsichtig ausgedrückt, freundschaftlichen Klima zwischen Pharmaindustrie, Regierung, Sozialversicherunge und Ärzteverbänden, nach einem Bericht von medianet.at zu harschen Reaktionen geführt.

Besonders bemerkenswert:

“Von der Pharmig gab es eine Klagsandrohung, wir würden mit den Tests Laienwerbung betreiben.”

Absurd, wenn man hier im Blog immer wieder mit Staunen verfolgt, wie in Österreich die Mitglieder des Verbands der pharmazeutischen Industrie (Pharmig) keine Gelegenheit auslassen im trickreich das Verbot der Laienwerbung zu umgehen. Kommunikation ist halt nur dann gut, wenn man das Ergebnis bestimmen kann.

Aktuelles Thema des VKI sind die Medikamentenpreise. Der VKI fand bei rezeptfreien Arzneimitteln zum Teil drastische Preissteigerungen in diesem Jahr.

In Deutschland sind die Preise für verschreibungsfreie Medikamente frei gegeben. Ausserdem sind Versandapotheken seit einiger Zeit zugelassen worden. Zwar wird immer wieder bemängelt, dass dies nicht zu einem verstärkten Wettbewerb geführt hätte, aber im Vergleich zu unserem Nachbarland erscheinen die Preise geradezu günstig.

Spitzenreiter in Sachen Teuerung bei den rezeptfreien Präparaten war in Österreich das Pharmaunternehmen Solvay, das für Pankreoflat® Dragees den Preis für eine 25-Stück-Packung um 198,8% von 4,15 auf 12,40 Euro erhöhte. Hierzulande beträgt der Apothekenverkaufspreis für 100 Tabletten 30,15 Euro. Wem der Magen allzusehr drückt kann auch eine N3-Packung mit 200 Tabletten für regulär 52,43 Euro erwerben. In Versandapotheken sind 100 Stück Pankreoflat® schon für unter 20 Euro zu bekommen – umgrechnet 60% preiswerter als in Österreich.

Die Mehrwertsteuer erscheint da als das kleinste Problem.