Pressen bis die Luft raus ist

Das Jahr neigt sich dem Ende. Mais-Silage oder Gras-Silage – in Deutschland wie auch den USA bringen Landwirte die letzten Ernte-Durchgänge in die Silos. Ein passender Zeitpunkt für mich, um dieses ominöse Zeug mal etwas genauer zu erklären. Was passiert eigentlich bei der Herstellung? Und noch etwas: vielleicht wird sich die Vielfalt der Silagen noch ins Tierische erweitern… Zuletzt erwähnte ich Silage als Tierfutter in meinem Artikel zur Grünlandwirtschaft, denn Gras kann nicht nur frisch von bzw. auf der Weideweiter

Collider ohne Not-Aus?

Gestern, am Tag der Deutschen Einheit habe ich es mir nicht nehmen lassen, den deutschen Katastrophenfilm „Helden – Wenn dein Land dich braucht“ zu sehen. Nicht weil ich glaubte das könne ein guter Film werden, die Hoffnung nahm mir schon die Rezension von Arno Frank, sondern weil ich sehen wollte, welchen Eindruck der Film von Wissenschaft in Forschungseinrichtungen wie dem CERN vermittelt. Das Bild ist nicht gut. Ruchlose Wissenschaftler setzen die Existenz der Menschheit aufs Spiel um… ja, was genauweiter

Nobelpreis für Chemie 2013 – meine Prognose: Einzelmolekülspektroskopie (mit Update: Physik und Medizin)

2010 habe ich ja richtig gelegen mit meiner Nobelpreis-Prognose, aber seitdem war meine Trefferquote leider nicht mehr so dolle. Zum Glück gilt das für alle anderen auch, nicht zuletzt für Thomson Reuters, die dieses Jahr immerhin eine spektakuläre Vorhersage dabei haben: Sie tippen auf einen zweiten Nobelpreis für Barry Sharpless, dieses Mal für die Klick-Chemie. Das kann schon mal vorkommen, aber dieses Jahr wohl nicht – zumal es durchaus unterschiedliche Meinungen (und heftige Diskussionen) darüber gibt, ob die Klickerei überhauptweiter

Pragmatische Studien – Studien zur Routine machen

Warum gibt es noch soviel Unsicherheit bei medizinischen Entscheidungen? Warum werden nicht mehr Studien durchgeführt? Was kann dagegen getan werden?

Bei medizinischen Entscheidungen herrscht auch heute noch eine grosse Unsicherheit. Soll behandelt werden? Wenn ja, welche Behandlung ist bei einer Ausgangslage die beste?

Fundierte Entscheidungen basieren auf Wissen. Wissen basiert auf Daten. Und genau wegen den fehlenden Daten müssen medizinische Entscheidungen blind getroffen werden.

In der Medizin wird Wissen durch faire Tests gewonnen. Es ist einfach. Man vergleicht zwei Behandlungen und schaut, welche die bessere ist. Für aussagekräftige Resultate ist es wichtig, dass der Vergleich fair ist. Solche fairen Vergleiche werden als Randomisierte kontrollierte Studien (randomized controlled trials, RCT) bezeichnet.

Trotz des einfachen Prinzips der fairen Tests, werden zu wenig Vergleiche gemacht.

Ein Grund ist sicher, dass die Fairness des Vergleichs in der Praxis schwierig sein kann.

Ein anderer Grund ist die hohe bürokratische Hürde für klinische Studien. Eine Kontrolle von medizinischen Studien wurde notwendig, da in der Forschung menschenverachtende Experimente durchgeführt wurden. Doch die heutigen Regeln für Patientenstudien schiessen über das Ziel hinaus. Studien, auch bei unkritischen, zugelassenen Behandlungen sind teuer oder praktisch gar nicht durchführbar.

Abbau von bürokratischen Hürden

Das folgende Beispiel könnte nicht anschaulicher sein: Dreizehn Hausärzte wollen die Bioverfügbarkeit von zugeführtem Vitamin-D testen. Sie machen einen Selbstversuch, stellen die Resultate vor und werden gebüsst. Sie hatten nicht die richtigen Bewilligungen. Sie hätten den Versuch nicht durchführen dürfen.12

Die geltenden Regeln führen nicht dazu, dass geplante Versuche besser durchgeführt werden, sondern, dass die Versuche überhaupt nicht durchgeführt werden.

Kein Wissenszuwachs. Kein Abbau der Unsicherheit. Kein Fortschritt.

Die Studiendurchführung kann sich wegen den Kosten praktisch nur noch die Pharmaindustrie leisten. Und die Pharmaindustrie führt natürlich nur Studien durch, die in ihrem Interesse sind.

Es herrscht gerade zu eine paradoxe Situation. Ärzte dürfen alles verschreiben (Off-Label-Therapie) (was nicht schlecht ist). Doch wenn sie es zusätzlich testen wollen, ist es nicht mehr erlaubt (oder durch grosse bürokratische Hürden stark behindert).

Entscheidungen in der Medizin aufgrund von verlässlichen, wissenschaftlichen Daten wird als Evidenzbasierte Medizin (EBM) bezeichnet. Doch mangels Daten scheint die Evidenzbasierte Medizin auf halbem Weg stecken geblieben zu sein.

Kurz: Die Durchführung von einfachen medizinischen Tests ist zu kompliziert. Sie muss einfacher werden.

Die Forderungen sind:1

  • Pro Studie eine zuständige Ethikkommission, nicht mehr ein Dutzend Ethikkommissionen.
  • Vereinfachungen bei bereits zugelassenen Medikamenten
  • Vereinfachungen bei harmlosen Tests
  • Angebot von praxisrelevanten Kursen zur Studiendurchführung, z.B. an Ärztekongressen
  • Einfache Formulare für Studienteilnehmereinverständnis
  • Einfacher Abschluss von Studienhaftpflichtversicherungen
  • Vergünstigungen für nicht-kommerzielle Studien

Der Schutz der Studienteilnehmer soll und wird durch diese Massnahmen nicht verringert. Die Studien sollen nach wie vor überwacht werden. Die Information und Einverständnis des Patienten bleibt eine Voraussetzung.

Diese Forderungen bedeuten keinen Abbau an der wissenschaftlichen Vorgehensweise. Alle Studien sollen auch hier vorgängig registriert und anschliessend publiziert werden.

Studien zur Routine machen

Einen Schritt weiter geht die Idee von Ben Goldacre und seinen Kollegen. Bei jeder Verschreibung, wo zu wenig gesichertes Wissen vorhanden ist, soll beim Arzt auf dem Computer ein rotes Lämpchen aufleuchten und automatisch eine Studienteilnahme vorschlagen.3 Wenn es beispielsweise für die gleiche Diagnose zwei Medikamententypen gibt, aber keine Daten vorhanden sind, welcher Typ besser ist, soll der Typ zufällig gewählt werden. Der Zufall verhindert Verzerrungen (bias), dass z.B. ein Medikament zu Beginn einseitig, z.B. an die «Gesünderen», vergeben wird.

In den häufigen Krankheiten könnten wegen der grossen Anzahl Patienten die Wissenslücken in kurzer Zeit gefüllt werden.

  • Bessere Heilungen,
  • weniger Nebenwirkungen,
  • weniger unnötige Behandlungen und
  • tiefere Kosten wären die Folge.

Fazit

Es müssen mehr medizinische Studien durchgeführt werden um die Unsicherheit bei medizinischen Entscheidungen zu verkleinern. Klinische Studien müssen einfacher durchgeführt werden können.

Am besten werden medizinische Studien bei ungenügender Datenlage automatisch durchgeführt. Wir müssen pragmatischer werden. Die Verbesserung der Datenlage sollte zur Routine werden.


  1. Markus Gnädinger, Frank Bossert, Felix Eichmann, Bruno Haug, Martin Krüsi, Markus Nadig, u. a. Ceci n’est pas une étude, Schweizerische Ärztezeitung, Feb. 2013, 94(2013):261–3 

  2. Mit Vitamin D gegen die Bürokratie, Tages-Anzeiger, 18. März 2013 

  3. Staa TP, Goldacre B, Gulliford M, Cassell J, Pirmohamed M, Taweel A, Delaney B, & Smeeth L. Pragmatic randomised trials using routine electronic health records: putting them to the test, BMJ, 7. Feb. 2012 BMJ (Clinical research ed.), 344 PMID: 22315246 

Pragmatische Studien – Studien zur Routine machen

Warum gibt es noch soviel Unsicherheit bei medizinischen Entscheidungen? Warum werden nicht mehr Studien durchgeführt? Was kann dagegen getan werden?

Bei medizinischen Entscheidungen herrscht auch heute noch eine grosse Unsicherheit. Soll behandelt werden? Wenn ja, welche Behandlung ist bei einer Ausgangslage die beste?

Fundierte Entscheidungen basieren auf Wissen. Wissen basiert auf Daten. Und genau wegen den fehlenden Daten müssen medizinische Entscheidungen blind getroffen werden.

In der Medizin wird Wissen durch faire Tests gewonnen. Es ist einfach. Man vergleicht zwei Behandlungen und schaut, welche die bessere ist. Für aussagekräftige Resultate ist es wichtig, dass der Vergleich fair ist. Solche fairen Vergleiche werden als Randomisierte kontrollierte Studien (randomized controlled trials, RCT) bezeichnet.

Trotz des einfachen Prinzips der fairen Tests, werden zu wenig Vergleiche gemacht.

Ein Grund ist sicher, dass die Fairness des Vergleichs in der Praxis schwierig sein kann.

Ein anderer Grund ist die hohe bürokratische Hürde für klinische Studien. Eine Kontrolle von medizinischen Studien wurde notwendig, da in der Forschung menschenverachtende Experimente durchgeführt wurden. Doch die heutigen Regeln für Patientenstudien schiessen über das Ziel hinaus. Studien, auch bei unkritischen, zugelassenen Behandlungen sind teuer oder praktisch gar nicht durchführbar.

Abbau von bürokratischen Hürden

Das folgende Beispiel könnte nicht anschaulicher sein: Dreizehn Hausärzte wollen die Bioverfügbarkeit von zugeführtem Vitamin-D testen. Sie machen einen Selbstversuch, stellen die Resultate vor und werden gebüsst. Sie hatten nicht die richtigen Bewilligungen. Sie hätten den Versuch nicht durchführen dürfen.12

Die geltenden Regeln führen nicht dazu, dass geplante Versuche besser durchgeführt werden, sondern, dass die Versuche überhaupt nicht durchgeführt werden.

Kein Wissenszuwachs. Kein Abbau der Unsicherheit. Kein Fortschritt.

Die Studiendurchführung kann sich wegen den Kosten praktisch nur noch die Pharmaindustrie leisten. Und die Pharmaindustrie führt natürlich nur Studien durch, die in ihrem Interesse sind.

Es herrscht gerade zu eine paradoxe Situation. Ärzte dürfen alles verschreiben (Off-Label-Therapie) (was nicht schlecht ist). Doch wenn sie es zusätzlich testen wollen, ist es nicht mehr erlaubt (oder durch grosse bürokratische Hürden stark behindert).

Entscheidungen in der Medizin aufgrund von verlässlichen, wissenschaftlichen Daten wird als Evidenzbasierte Medizin (EBM) bezeichnet. Doch mangels Daten scheint die Evidenzbasierte Medizin auf halbem Weg stecken geblieben zu sein.

Kurz: Die Durchführung von einfachen medizinischen Tests ist zu kompliziert. Sie muss einfacher werden.

Die Forderungen sind:1

  • Pro Studie eine zuständige Ethikkommission, nicht mehr ein Dutzend Ethikkommissionen.
  • Vereinfachungen bei bereits zugelassenen Medikamenten
  • Vereinfachungen bei harmlosen Tests
  • Angebot von praxisrelevanten Kursen zur Studiendurchführung, z.B. an Ärztekongressen
  • Einfache Formulare für Studienteilnehmereinverständnis
  • Einfacher Abschluss von Studienhaftpflichtversicherungen
  • Vergünstigungen für nicht-kommerzielle Studien

Der Schutz der Studienteilnehmer soll und wird durch diese Massnahmen nicht verringert. Die Studien sollen nach wie vor überwacht werden. Die Information und Einverständnis des Patienten bleibt eine Voraussetzung.

Diese Forderungen bedeuten keinen Abbau an der wissenschaftlichen Vorgehensweise. Alle Studien sollen auch hier vorgängig registriert und anschliessend publiziert werden.

Studien zur Routine machen

Einen Schritt weiter geht die Idee von Ben Goldacre und seinen Kollegen. Bei jeder Verschreibung, wo zu wenig gesichertes Wissen vorhanden ist, soll beim Arzt auf dem Computer ein rotes Lämpchen aufleuchten und automatisch eine Studienteilnahme vorschlagen.3 Wenn es beispielsweise für die gleiche Diagnose zwei Medikamententypen gibt, aber keine Daten vorhanden sind, welcher Typ besser ist, soll der Typ zufällig gewählt werden. Der Zufall verhindert Verzerrungen (bias), dass z.B. ein Medikament zu Beginn einseitig, z.B. an die „Gesünderen“, vergeben wird.

In den häufigen Krankheiten könnten wegen der grossen Anzahl Patienten die Wissenslücken in kurzer Zeit gefüllt werden.

  • Bessere Heilungen,
  • weniger Nebenwirkungen,
  • weniger unnötige Behandlungen und
  • tiefere Kosten wären die Folge.

Fazit

Es müssen mehr medizinische Studien durchgeführt werden um die Unsicherheit bei medizinischen Entscheidungen zu verkleinern. Klinische Studien müssen einfacher durchgeführt werden können.

Am besten werden medizinische Studien bei ungenügender Datenlage automatisch durchgeführt. Wir müssen pragmatischer werden. Die Verbesserung der Datenlage sollte zur Routine werden.


  1. Markus Gnädinger, Frank Bossert, Felix Eichmann, Bruno Haug, Martin Krüsi, Markus Nadig, u. a. Ceci n’est pas une étude, Schweizerische Ärztezeitung, Feb. 2013, 94(2013):261–3 

  2. Mit Vitamin D gegen die Bürokratie, Tages-Anzeiger, 18. März 2013 

  3. Staa TP, Goldacre B, Gulliford M, Cassell J, Pirmohamed M, Taweel A, Delaney B, & Smeeth L. Pragmatic randomised trials using routine electronic health records: putting them to the test, BMJ, 7. Feb. 2012 BMJ (Clinical research ed.), 344 PMID: 22315246 

Teilnahme an Studien: Notwendigkeit und Bedingungen

Soll an klinischen Studien teilgenommen werden? Was muss bei einer Studienteilnahme beachtet werden?

Klinische Studien sind das Herzstück der medizinischen Forschung. Studien liefern die praktische Erfahrung, hochgestochen ausgedrückt, die empirische Evidenz für eine Behandlung. Denn Behandlungen und Theorien mögen auf dem Papier hervorragend aussehen, doch sie müssen auch in der Realität funktionieren. Beispielsweise die Argumente des Aderlassens mögen plausibel und hilfreich tönen, doch in Tests wurden die Theorien nicht bestätigt.

Unsicherheiten über Behandlungen können durch Studien geklärt werden. Ist die Behandlung A oder B besser? Und bei Alten Leuten?

Die Teilnahme an klinischen Studien ist wichtig! Studien bringen die Wissenschaft voran. Es ist geradezu eine Bürgerpflicht an Studien teilzunehmen.

Damit Studien effektiv sind, müssen aber wissenschaftliche und ethische Kriterien erfüllt sein. Eine Überprüfung können und müssen die Studienteilnehmer machen. Auch in ihrem eigenen Interesse.

Welcher Studienteilnehmer will schon, dass beispielsweise seine durchgeführte Studie nach Abschluss einfach in der Schublade verschwindet? Also, ohne den geringsten Beitrag zur Wissenschaft. Das ist leider kein hirnrissiges Beispiel, sondern traurige Realität. Denn die Hälfte aller Studien wurden und werden noch immer nicht veröffentlicht. Sie verschwinden einfach. Die Antwort auf die Unsicherheit ist da, aber womöglich passte sie dem Auftraggeber nicht. Oder es ist schlicht Faulheit des Forschers, wenn die Resultate vermeintlich für die Karriere zu wenig nützlich sind.

Eine Studie muss relevant sein. Die Forschungsfrage muss noch offen sein und nicht bereits geklärt. Nur so leistet eine Studie einen nützlichen Beitrag.

Im Leben gibt es Fragen über Fragen. Die Zeit reicht nie um alle zu beantworten. Wichtige Fragen müssen deshalb zuerst untersucht werden. Forschungsfragen müssen für Studienteilnehmer nachvollziehbar und für die Patienten nützlich sein. Studien ohne praktische Relevanz, beispielsweise nur zu Marketingzwecken, sind pure Verschwendung.

Vor einer Studienteilnahme sollten deshalb unbedingt folgende Bedingungen erfüllt sein:

  1. Das Studienprotokoll muss ordentlich in einem öffentlich zugänglichen Studienregister eingetragen sein.
  2. Das Studienprotokoll muss Bezug auf systematische Übersichtsarbeiten bereits vorhandenen Wissens (systematic reviews of existing evidence) nehmen, die zeigen, dass diese Studie notwendig ist.
  3. Eine schriftliche Garantie bekommen, die sagt, dass alle Studienresultate nach Abschluss veröffentlicht werden und alle Studienteilnehmer die Studie erhalten werden, wenn sie es wünschen.
  4. Im Falle von Pharmastudien, eine schriftliche Garantie vom Pharmaunternehmen bekommen, dass (a) das finanzielle Risiko durch unerwünschte Nebenwirkungen übernommen wird und (b) insbesondere die Beweispflicht nicht beim Patienten liegt, sondern ein Zusammenhang vom Studienorganisator ausgeschlossen werden muss (Beweisumkehr).1

Beim dritten Punkt, wäre es noch besser, wenn die Veröffentlichung der Studienresultate für alle frei verfügbar ist, also Open Access ist.

Um es für Studienteilnehmer einfach zu machen, habe ich die obigen Bedingungen in Fragen umgewandelt, die eins-zu-eins vor Studienbeginn gefragt werden können:

  1. In welchem Studienregister ist diese Studie eingetragen? (wie dies von der Wissenschaft gefordert ist)
  2. Was ist der Stand des bereits vorhandenen Wissens? Was ist die Aussage der systematischen Cochrane Übersichtsarbeiten?
  3. Können sie mir die schriftliche Bestätigung geben, dass alle Studienresultate nach Abschluss veröffentlicht werden und ich den fertigen Forschungsartikel erhalten werde.
  4. Können sie mir die verbindliche Bestätigung der Leitung geben, dass ich (a) im Falle von finanziellen Schäden in Folge der Studie, z.B. Invalidität, entschädigt und (b) eine Zusammenhang plausibel begründen, nicht jedoch formal juristisch beweisen muss (Beweisumkehr).

Falls man keine Garantien für den 4. Punkte erhält und trotzdem bzw. unbedingt an der Studie teilnehmen will, sollte man sich selbst genügend finanziell, z.B. in Form einer Rechtsschutzversicherung, absichern.

Fazit

Die Teilnahme an klinischen Studien ist wichtig. Die Voraussetzungen für gute Forschung müssen aber erfüllt sein und das finanzielle Risiko der Patienten in Folge der Studie muss vom Organisator getragen werden. Jeder Studienteilnehmer sollte diese vier Punkte – in seinem Interesse – sicherstellen. Die oben formulierten, einfachen Fragen machen die Überprüfung der minimalen Studienvoraussetzungen einfach.

Referenzen

Dieser Artikel baut auf der Folie (Position 20:00) des Vortrages von Iain Chalmers auf. Sir Dr. Iain Chalmers ist Gründer der Cochrane Collaboration und Koordinator der James Lind Initiative.

Offenlegung

Ich habe bisher an zwei Studien teilgenommen, einer psychologischen und einer zur Blutuntersuchung. Die Studienresultate der zweiten kenne ich noch nicht und muss dieser einmal nachgehen.

Überarbeitung

[Aktualisierung 24.08.2013: Das finanzielle Risiko als 4. Punkt aufgenommen. Als Studienteilnehmer ist das ein sehr relevanter Punkt. Er wurde im Kommentar unten angeregt. In der Schweiz ist es leider so, dass die Beweispflicht beim Patienten/Studienteilnehmer liegt und ein solcher formal juristischer Beweis praktisch unmöglich ist, wie der Beobachter in seinem Artikel dargestellt hat.1]

[Aktualisierung 12.10.2013: Interview mit Margit Kessler zu Studienteilnahmen: «Ich empfehle jedem Teilnehmer, eine Versicherung abzuschliessen», Tages-Anzeiger, 12. Okt. 2013]

[Aktualisierung 22.10.2013: Die Deklaration von Helsinki wurde soeben überarbeitet. Die Deklaration von Helsinki (DoH): Ethical Principles for Medical Research Involving Human Subjects wird von der World Medical Association (WMA), dem Weltärztebund erlassen. Die Deklaration von Helsinki regelt die medizinische Forschung mit Menschen. Ich habe einen Artikel geschrieben, der die alte und die neue Version vergleicht.]


  1. Hostettler O, Klinische Versuche: Tests mit Nebenwirkungen. Beobachter, 28. Jan. 2013; Nr 2. 

Multiple Sklerose: Langfristige Studien [Akt.]

Was ist der langfristige Nutzen der MS-Therapien? Was ist der langfristige Erfolg der MS-Medikamente? Welche Studien gibt es?

Multiple Sklerose ist eine chronische Krankheit. Die Krankheit ist lang und häufig langsam. Zwischen dem 30. und 40. Lebensjahr treten meistens die ersten Symptome auf, was dann schliesslich zu MS-Diagnosen führt. Durch die verbesserte Diagnostik mit MRI-Geräten verschiebt sich der Diagnosezeitpunkt stetig nach vorne. Multiple Sklerose ist nicht heilbar. Die Betroffenen leben 30 bis 40 Jahre mit der (sich stetig verschlechternden) Krankheit.

Verschiedene Medikamente, die zwischen 20‘000 und 30‘000 Franken kosten, sind zugelassen. Zur Zulassung notwendig waren zwei positive ein- bis zweijährige Studien. In den Studien wurden die Anzahl Schübe und die MRI-Aktivität gemessen. Statistisch weniger Schübe und weniger MRI-Aktivität (weniger Läsionen/Entzündungen) wurden positiv gewertet.

Weniger Schübe, weniger Läsionen. Ein langfristiger Nutzen ist plausibel.

Doch bis heute ist nicht klar, ob die Entzündungen und Schübe die Haupttreiber der Multiple Sklerose sind. Oder ob, nicht doch die Nervenzellen (Neuronen) aus einem anderen, unbekannten Grund absterben und die Entzündungen einfach eine Folge davon sind.

Die Cochrane Collboration erstellt systematische Übersichtsarbeiten (sytematic reviews and meta analysis) zu medizinischen Behandlungen. Diese gelten als das beste vorhandene Wissen. Kürzlich wurde die Auswertung der MS-Medikamente1 überarbeitet.

It is important to consider that the efficacy and the risk-benefit of all these treatments beyond two years are uncertain, and this is a very relevant point for a lifetime disease such as MS.
Es ist wichtig einzubeziehen, dass die Wirksamkeit und Risiko/Nutzen aller Behandlungen über einen Zeitraum von über zwei Jahren unsicher ist und dass dies ein sehr relevanter Punkt für eine lebenslange Krankheit wie MS ist.

Es gibt also kein wissenschaftlich verlässliches Wissen über eine Zeitdauer von über zwei Jahren. Der langfristige Nutzen der MS-Medikamente ist unbekannt.

Zulassungsstudien im Vergleich zur weiteren LebensdauerSchematische Darstellung der Zulassungsstudien im Vergleich zur weiteren Lebensdauer.

Ein früher Behandlungsbeginn wird dennoch empfohlen.

Deshalb starten die MS Behandlungen früh. Häufig wenn die Betroffenen noch wenig Symptome und eine gute bis ausgezeichnete Gesundheit haben. Die MS-Medikamente sind nicht nebenwirkungsfrei.

Sollen Betroffene wirklich „heute“ ein Medikament nehmen, damit es womöglich/hoffentlich „morgen“ weniger schlimm wird?

Die Frage kann nicht beantwortet werden. Verlässliche Daten fehlen. Alle tappen im Dunkeln. Deshalb fordert Cochrane langfristige Studien:

Thus, studies on the long-term efficacy and safety of immunotherapies for MS are urgently needed.
Also, Studien über den langfristigen Nutzen und die Sicherheit von Immuntherapien für MS werden dringend benötigt.

Die ersten der heutigen MS-Medikamente gibt es seit den frühen Neunziger-Jahren. Es eine Schande, dass praktisch kaum langfristige wissenschaftlich verwertbare Daten erhoben wurden. Mich erstaunt, dass sich die Neurologen bisher mit den kurzfristigen Daten zufrieden gegeben haben und dass es keinen grossen Aufschrei gegeben hat.

Ist einmal ein Medikament zugelassen, hat ein Pharmaunternehmen wenig Interesse an weiteren Studien, ausser der Ausweitung auf weitere Patientengruppen. Sie dürfen das Medikament verkaufen. Wirtschaftlich macht es wenig Sinn den Verkauf durch weitere Studien zu gefährden.

Patienten und Ärzte brauchen langfristigen Daten dringend. MS-Gesellschaften oder Staaten müssen selbst handeln. Einerseits können die Staaten die Regulation für Pharmaunternehmen verändern und beispielsweise langfristige Studien verlangen und MS-Gesellschaften können selbst solche Studien durchführen lassen. Gesetze ändern ist ein aufwändiger und langwieriger Prozess.

Erfreulicherweise ergreifen die MS-Gesellschaften neuerdings selbst die Initiative und starten langfristige Studien. Beispielsweise wurden

  • die Schweizerische Kohortenstudie Swiss MS Cohort Study (SMSC) von der MS-Gesellschaft und
  • die European Register for Multiple Sclerosis (EUReMS) – A tool to assess, compare and enhance the status of people with MS throughout the EU von der European Multiple Sclerosis Platform (EMSP).

gestartet.

Die beste Zeit um einen Baum zu pflanzen wäre vor zwanzig Jahren gewesen, die zweitbeste Zeit ist heute. Afrikanisches Sprichwort

Diese Studien sind sehr begrüssenswert.

Auf die Studien werde ich in kommenden Artikeln weiter eingehen.

Kanada

Kanada ist eine löbliche Ausnahme. Dort wurde vor dreissig Jahren, noch vor den heutigen Medikamenten, mit dem systematischen Erfassen von Krankheitsdaten begonnen. Diese Daten stehen heute zur Verfügung und können ausgewertet werden.

Volkswirtschaftlicher Nutzen

MS wird früh diagnostiziert und die Krankheit dauert lange. Mit über 8‘000 MS Betroffenen ist über ein Promille der Bevölkerung (1 auf 1000 Personen) von der Krankheit betroffen. MS Betroffene scheiden früher aus dem Erwerbsleben aus.

MS-Medikamente sind mit Jahreskosten von über 20‘000 Franken teuer. Die Krankheit verursacht hohe volkswirtschaftliche Kosten. Wegen den Medikamenten und wegen den Invaliditätskosten.

Die Gesellschaft muss ein Interesse an Daten über den langfristigen Nutzen von MS-Behandlungen haben.

Fazit

Verlässliche langfristige Daten sind für MS-Betroffene von grösster Wichtigkeit. Doch langfristige Studien wurden bislang vernachlässigt. Das ist ein enormes Versäumnis. Und dies bei einer Krankheit mit über dreissig Jahren Krankheitsdauer.

Wegen der frühen und langen Krankheit und den hohen Kosten der Medikamente von über 20‘000 Franken bei über 8‘000 Betroffenen sind Daten über den langfristigen Nutzen volkswirtschaftlich von Interesse.

Es braucht mehr langfristige Studien zu Multiple Sklerose.

[Aktualisierung 15.08.2013: Langfristige Studien sind ebenfalls in der Psychiatrie eine Notwendigkeit, siehe Forum Gesundheitspolitik-Artikel Weniger ist mehr, was man aber erst nach einiger Zeit bemerkt: Ein Beispiel aus der Behandlung von psychisch Kranken , 13.08.2013.]

[Aktualisierung 17.08.2013: „Das Fehlen von Langzeitstudien bedeute aber, dass wir nie genau wissen werden, was solche Medikamente später in Erwachsenen bewirken.“ Psychopillen für Zappelkinder, Tages-Anzeiger. 17. Aug. 2013. Für viele Krankheiten reichen kurzfristige Studien einfach nicht. Langfristig könnten die Folgen der Medikamente schlimmer als der Behandlungsgrund sein. «Wir führen ein unkontrolliertes Experiment mit der Gesundheit unserer Kinder durch», sagt Allen Frances.]

[Aktualisierung 27.02.2014: Brief an das Deutsche Ärzteblatt Multiple Sklerose: Therapeutische Unsicherheit von Dr. med. Jutta Scheiderbauer, welche selbst an MS erkrankt ist. Der Brief drückt den ungewissen, langfristigen Nutzen von MS-Medikamenten gut aus.]

[Aktualisierung 06.04.2014: TK-Report: Kaum ein neues Medikament bringt medizinischen Fortschritt, Spiegel Online, 02.04.2014]

[Aktualisierung 06.04.2014: Die MS-Gesellschaft baut ein nationales MS-Register auf. Die langfristige Erhebung von Daten ist für das bessere Verständnis der Betroffenen und der Krankheit sehr wichtig. Siehe Magazin Forte 2014/1, Februar 2014, Seite 20]


  1. Filippini G, Del Giovane C, Vacchi L, D’Amico R, Di Pietrantonj C, Beecher D, & Salanti G. Immunomodulators and immunosuppressants for multiple sclerosis: a network meta-analysis. The Cochrane database of systematic reviews 2013, Issue 6 Art. No.: CD008933. DOI: 10.1002/14651858.CD008933.pub2 PMID: 23744561
    In einem Blogartikel habe ich geschrieben, wie mit einem Trick ganze Cochrane Reports gelesen werden können. 

Multiple Sklerose: Langfristige Studien

Was ist der langfristige Nutzen der MS-Therapien? Was ist der langfristige Erfolg der MS-Medikamente? Welche Studien gibt es?

Multiple Sklerose ist eine chronische Krankheit. Die Krankheit ist lang und häufig langsam. Zwischen dem 30. und 40. Lebensjahr treten meistens die ersten Symptome auf, was dann schliesslich zu MS-Diagnosen führt. Durch die verbesserte Diagnostik mit MRI-Geräten verschiebt sich der Diagnosezeitpunkt stetig nach vorne. Multiple Sklerose ist nicht heilbar. Die Betroffenen leben 30 bis 40 Jahre mit der (sich stetig verschlechternden) Krankheit.

Verschiedene Medikamente, die zwischen 20‘000 und 30‘000 Franken kosten, sind zugelassen. Zur Zulassung notwendig waren zwei positive ein- bis zweijährige Studien. In den Studien wurden die Anzahl Schübe und die MRI-Aktivität gemessen. Statistisch weniger Schübe und weniger MRI-Aktivität (weniger Läsionen/Entzündungen) wurden positiv gewertet.

Weniger Schübe, weniger Läsionen. Ein langfristiger Nutzen ist plausibel.

Doch bis heute ist nicht klar, ob die Entzündungen und Schübe die Haupttreiber der Multiple Sklerose sind. Oder ob, nicht doch die Nervenzellen (Neuronen) aus einem anderen, unbekannten Grund absterben und die Entzündungen einfach eine Folge davon sind.

Die Cochrane Collboration erstellt systematische Übersichtsarbeiten (sytematic reviews and meta analysis) zu medizinischen Behandlungen. Diese gelten als das beste vorhandene Wissen. Kürzlich wurde die Auswertung der MS-Medikamente1 überarbeitet.

It is important to consider that the efficacy and the risk-benefit of all these treatments beyond two years are uncertain, and this is a very relevant point for a lifetime disease such as MS.
Es ist wichtig einzubeziehen, dass die Wirksamkeit und Risiko/Nutzen aller Behandlungen über einen Zeitraum von über zwei Jahren unsicher ist und dass dies ein sehr relevanter Punkt für eine lebenslange Krankheit wie MS ist.

Es gibt also kein wissenschaftlich verlässliches Wissen über eine Zeitdauer von über zwei Jahren. Der langfristige Nutzen der MS-Medikamente ist unbekannt.

Zulassungsstudien im Vergleich zur weiteren LebensdauerSchematische Darstellung der Zulassungsstudien im Vergleich zur weiteren Lebensdauer.

Ein früher Behandlungsbeginn wird dennoch empfohlen.

Deshalb starten die MS Behandlungen früh. Häufig wenn die Betroffenen noch wenig Symptome und eine gute bis ausgezeichnete Gesundheit haben. Die MS-Medikamente sind nicht nebenwirkungsfrei.

Sollen Betroffene wirklich «heute» ein Medikament nehmen, damit es womöglich/hoffentlich «morgen» weniger schlimm wird?

Die Frage kann nicht beantwortet werden. Verlässliche Daten fehlen. Alle tappen im Dunkeln. Deshalb fordert Cochrane langfristige Studien:

Thus, studies on the long-term efficacy and safety of immunotherapies for MS are urgently needed.
Also, Studien über den langfristigen Nutzen und die Sicherheit von Immuntherapien für MS werden dringend benötigt.

Die ersten der heutigen MS-Medikamente gibt es seit den frühen Neunziger-Jahren. Es eine Schande, dass praktisch kaum langfristige wissenschaftlich verwertbare Daten erhoben wurden. Mich erstaunt, dass sich die Neurologen bisher mit den kurzfristigen Daten zufrieden gegeben haben und dass es keinen grossen Aufschrei gegeben hat.

Ist einmal ein Medikament zugelassen, hat ein Pharmaunternehmen wenig Interesse an weiteren Studien, ausser der Ausweitung auf weitere Patientengruppen. Sie dürfen das Medikament verkaufen. Wirtschaftlich macht es wenig Sinn den Verkauf durch weitere Studien zu gefährden.

Patienten und Ärzte brauchen langfristigen Daten dringend. MS-Gesellschaften oder Staaten müssen selbst handeln. Einerseits können die Staaten die Regulation für Pharmaunternehmen verändern und beispielsweise langfristige Studien verlangen und MS-Gesellschaften können selbst solche Studien durchführen lassen. Gesetze ändern ist ein aufwändiger und langwieriger Prozess.

Erfreulicherweise ergreifen die MS-Gesellschaften neuerdings selbst die Initiative und starten langfristige Studien. Beispielsweise wurden

  • die Schweizerische Kohortenstudie Swiss MS Cohort Study (SMSC) von der MS-Gesellschaft und
  • die European Register for Multiple Sclerosis (EUReMS) – A tool to assess, compare and enhance the status of people with MS throughout the EU von der European Multiple Sclerosis Platform (EMSP).

gestartet.

Die beste Zeit um einen Baum zu pflanzen wäre vor zwanzig Jahren gewesen, die zweitbeste Zeit ist heute. Afrikanisches Sprichwort

Diese Studien sind sehr begrüssenswert.

Auf die Studien werde ich in kommenden Artikeln weiter eingehen.

Kanada

Kanada ist eine löbliche Ausnahme. Dort wurde vor dreissig Jahren, noch vor den heutigen Medikamenten, mit dem systematischen Erfassen von Krankheitsdaten begonnen. Diese Daten stehen heute zur Verfügung und können ausgewertet werden.

Volkswirtschaftlicher Nutzen

MS wird früh diagnostiziert und die Krankheit dauert lange. Mit über 8‘000 MS Betroffenen ist über ein Promille der Bevölkerung (1 auf 1000 Personen) von der Krankheit betroffen. MS Betroffene scheiden früher aus dem Erwerbsleben aus.

MS-Medikamente sind mit Jahreskosten von über 20‘000 Franken teuer. Die Krankheit verursacht hohe volkswirtschaftliche Kosten. Wegen den Medikamenten und wegen den Invaliditätskosten.

Die Gesellschaft muss ein Interesse an Daten über den langfristigen Nutzen von MS-Behandlungen haben.

Fazit

Verlässliche langfristige Daten sind für MS-Betroffene von grösster Wichtigkeit. Doch langfristige Studien wurden bislang vernachlässigt. Das ist ein enormes Versäumnis. Und dies bei einer Krankheit mit über dreissig Jahren Krankheitsdauer.

Wegen der frühen und langen Krankheit und den hohen Kosten der Medikamente von über 20‘000 Franken bei über 8‘000 Betroffenen sind Daten über den langfristigen Nutzen volkswirtschaftlich von Interesse.

Es braucht mehr langfristige Studien zu Multiple Sklerose.

[Aktualisierung 15.08.2013: Langfristige Studien sind ebenfalls in der Psychiatrie eine Notwendigkeit, siehe Forum Gesundheitspolitik-Artikel Weniger ist mehr, was man aber erst nach einiger Zeit bemerkt: Ein Beispiel aus der Behandlung von psychisch Kranken , 13.08.2013.]

[Aktualisierung 17.08.2013: «Das Fehlen von Langzeitstudien bedeute aber, dass wir nie genau wissen werden, was solche Medikamente später in Erwachsenen bewirken.» Psychopillen für Zappelkinder, Tages-Anzeiger. 17. Aug. 2013. Für viele Krankheiten reichen kurzfristige Studien einfach nicht. Langfristig könnten die Folgen der Medikamente schlimmer als der Behandlungsgrund sein. «Wir führen ein unkontrolliertes Experiment mit der Gesundheit unserer Kinder durch», sagt Allen Frances.]


  1. Filippini G, Del Giovane C, Vacchi L, D’Amico R, Di Pietrantonj C, Beecher D, & Salanti G. Immunomodulators and immunosuppressants for multiple sclerosis: a network meta-analysis. The Cochrane database of systematic reviews 2013, Issue 6 Art. No.: CD008933. DOI: 10.1002/14651858.CD008933.pub2 PMID: 23744561
    In einem Blogartikel habe ich geschrieben, wie mit einem Trick ganze Cochrane Reports gelesen werden können. 

PubMed: Wie suche ich wissenschaftliche Publikationen?

Wo finde ich wissenschaftliche Publikationen? Wie suche ich wissenschaftliche Forschungsartikel? Wie finde ich wissenschaftliche Antworten?

In der Medizin sind Studien und Forschungspublikationen allgegenwärtig. Studien werden zur Zulassung von Medikamenten benötigt. Mit Studien wird argumentiert, warum eine Behandlung besser oder sicherer sei.

In den Medien oder in Laienzusammenfassungen wird häufig verkürzt und vereinfacht darüber berichtet. Die Schlagzeile zählt. Häufig kommt es aber darauf an, wie die Resultate gewonnen wurden? Welche Methode wurde angewendet? Gibt es Einschränkungen? Was sind mögliche Verzerrungen?

Wenn man es genauer wissen will, kommt man nicht darum herum, die Studie selbst zu lesen. Dazu muss die Studie gesucht werden.

Die Forschung heute ist auf englisch. Englisch wird deshalb vorausgesetzt.

PubMed

PubMed ist eine der einfachsten und mächtigsten Möglichkeiten zum Suchen von Forschungspublikationen. Der US-Staat betreibt seit langem die Datenbank MEDLINE, welche die wichtigsten Fachzeitschriften systematisch erfasst und indexiert. Die Daten reichen über 100 Jahre zurück. Die Artikel sind kategorisiert und mit Schlagwörtern versehen. Die Artikel selbst sind jedoch nicht in MEDLINE abgelegt, sondern MEDLINE ist nur der Katalog.

PubMed ist die frei zugängliche Webseite zur Suche in der MEDLINE-Datenbank. Die Artikel können nach Themen gesucht werden. Oder nach Autoren. Die Suche kann zeitlich eingeschränkt werden.

PubMedPubMed | Public domain

Der Mensch lernt am Besten mit Beispielen.

Beispiel 1

Ich möchte das Editorial «Relationships with the drug industry: Keep at arm’s length» von Marcia Angell aus dem British Medical Journal aus dem Jahre 2009 suchen. Dieser Artikel wird in der Regel wie folgt oder ähnlich referenziert

Angell M. Relationships with the drug industry: Keep at arm’s length. BMJ. 2009;338:b222. PMID:19193614

Ich kann beispielsweise mit angell m[Author] Relationships with the drug industry: Keep at arm’s length. nach dem Artikel suchen (Der Link führt gerade die Suche aus.). Namen werden häufig am Besten nach dem Schema Nachname mit erstem Vornamenbuchstaben gesucht, also Angell M. Das ist in der medizinischen Literatur so üblich.

Der Zusatz [Author] sagt PubMed, um welches Feld in der Datenbank es sich handelt. Die Suche wird durch solche Hinweise genauer.

In den «Search Details» auf der rechten Seite sieht man, welche Suche exakt ausgeführt wurde. Das kann beim Verfeinern der Suche helfen. Eine Suchanweisung der Search Details kann beispielsweise bei der nächsten PubMed-Suche ins Suchfeld kopiert und verändert werden.

Bei den gefundenen Artikeln ist jeweils oben Rechts ein Link zur Fachzeitschrift (Journal). In unserem Beispiel landen wir beim Anklicken auf dem Artikel. Doch, oh Schreck. Der Artikel ist da, aber wir können ihn nicht direkt lesen. Er ist nicht frei zugänglich.

Findet Google den Artikel Text? Eine Google-Suche führt zum gleichen Artikel.

Eine weitere Suchmöglichkeit ist Google Scholar, was nur Forschungsartikel sucht. Diese Suche findet wieder den gleichen Artikel. Teilweise werden auch Kopien mit dem Inhalt gefunden. Google Scholar ist von Google speziell zur Suche von wissenschaftlichen Publikationen entworfen worden.

Dass wir den Artikel nicht lesen können, ist nicht ein Problem von PubMed, sondern der Wissenschaft selbst. Viele Forschungsartikel sind leider nicht frei zugänglich.

Der freie Zugang wird als Open Access bezeichnet. Seit einigen Jahren gibt es das Bestreben, dass öffentlich bezahlte Forschung auch öffentlich frei zugänglich ist. Mehr zum Thema in der Artikelauflistung: Open Access.

Beispiel 2

Es soll die Phase III Studie von Fingolimod mit Prof. Dr. Kappos als Erstautoren gesucht werden.

Die Suche Kappos L fingolimod funktioniert. Es werden 15 Resultate zurückgegeben und der gesuchte Artikel ist an elfter Stelle. (Die Reihenfolge kann sich ändern.)

Die Suche könnte zusätzlich mit dem Publikationsjahr verfeinert werden. Die Suche Kappos L fingolimod 2010[year] liefert dann direkt den Artikel zurück.

Wir haben Glück und der Artikel ist Open Access. Oben rechts kann auf den Link zur Fachzeitschrift geklickt werden. Der Artikel erscheint.

Was ist der Unterschied zwischen PubMed und Google?

Google und Google Scholar sind gut bei der Suche von einzelnen Publikationen.

PubMed hat, mit einer Datenbank im Hintergrund, den Vorteil bei systematischen Suchen. Wenn es nicht nur um eine Publikation geht, sondern z.B. alle Artikel eines Themas. Beispielsweise alle Studien von Prof. Kappos zu Fingolimod: Kappos L fingolimod.

(Alle Studien eines Themas werden nur gefunden, wenn alle durchgeführten Studien auch wirklich publiziert wurden. Es wird geschätzt, dass die Hälfte aller Studien nicht veröffentlicht sind. «Positive» Studien werden zweimal häufiger veröffentlicht als «negative» Studien. Die verzerrte Forschungsliteratur (publication bias) ist ein eigenes Thema. Die AllTrials-Initiative engagiert sich gegen dieses Missstand.)

PMID

Die PMID identifiziert eine Publikation in der Datenbank. Mit dieser Nummer kann direkt auf die Publikation zugegriffen werden, beispielsweise 19193614[uid].

Die PMID wird auch von anderen genutzt. So beispielsweise von Wikipedia mit einem Automatismus für medizinische Referenzen via PMID.

PubMed Central (PMC)

PMC ist der Bruder von PubMed. PMC speichert im Gegensatz zu PubMed den vollen Text des Artikels selbst in der Datenbank. Das geht nur mit Publikationen, die dies erlauben. Also Open Access sind. PMC enthält folglich nur eine Untermenge von PubMed.

Cochrane und systematische Übersichtsarbeiten

PubMed ist ein Werkzeug. Mit PubMed können eigene Recherchen durchgeführt werden. Für verlässliche medizinische bzw wissenschaftliche Antworten ist die Cochrane Bibliothek jedoch das Mittel der Wahl. Denn die Cochrane Artikel sind das Resultat von systematischen Literaturrecherchen und Bewertungen, die typischerweise mit PubMed durchgeführt wurden. Wer schneidert sich heutzutage eine eigene Jacke, wenn fertige Jacken günstig gekauft werden können?

Cochrane-Berichte werden periodisch aktualisiert und dem neuen Stand der Wissenschaft angepasst.

Fazit

PubMed ist sehr praktisch zum Suchen von medizinischen Forschungsartikeln. PubMed ist mächtig. Man muss nicht alles verstehen um suchen zu können.

Open Access ist für alle, die nicht an Universitäten angestellt sind, eine Voraussetzung. Und das ist die Mehrheit der Bevölkerung.

Alle im medizinischen Umfeld, sei es als Patienten, Blogger oder Betreuer, sollten PubMed kennen und nutzen.

[Aktualisierung 20.07.2013: E-Mail Adressen von Forschern können mit [First Author] gefunden werden, z.B. Kappos L[Author – First]. Dann auf die Publikation klicken. Oben ist jeweils die E-Mail-Adresse der Ansprechsperson der Studie, häufig der erste Autor, angegeben.]

Der Regierungsstillstand (Government shutdown) der USA betrifft auch PubMed:
PubMed is open, however it is being maintained with minimal staffing due to the lapse in government funding. Information will be updated to the extent possible, and the agency will attempt to respond to urgent operational inquiries. For updates regarding government operating status see USA.gov.
Was wir sehen: Zentrale Systeme sind anfällig.

PubMed: Wie suche ich wissenschaftliche Publikationen?

Wo finde ich wissenschaftliche Publikationen? Wie suche ich wissenschaftliche Forschungsartikel? Wie finde ich wissenschaftliche Antworten?

In der Medizin sind Studien und Forschungspublikationen allgegenwärtig. Studien werden zur Zulassung von Medikamenten benötigt. Mit Studien wird argumentiert, warum eine Behandlung besser oder sicherer sei.

In den Medien oder in Laienzusammenfassungen wird häufig verkürzt und vereinfacht darüber berichtet. Die Schlagzeile zählt. Häufig kommt es aber darauf an, wie die Resultate gewonnen wurden? Welche Methode wurde angewendet? Gibt es Einschränkungen? Was sind mögliche Verzerrungen?

Wenn man es genauer wissen will, kommt man nicht darum herum, die Studie selbst zu lesen. Dazu muss die Studie gesucht werden.

Die Forschung heute ist auf englisch. Englisch wird deshalb vorausgesetzt.

PubMed

PubMed ist eine der einfachsten und mächtigsten Möglichkeiten zum Suchen von Forschungspublikationen. Der US-Staat betreibt seit langem die Datenbank MEDLINE, welche die wichtigsten Fachzeitschriften systematisch erfasst und indexiert. Die Daten reichen über 100 Jahre zurück. Die Artikel sind kategorisiert und mit Schlagwörtern versehen. Die Artikel selbst sind jedoch nicht in MEDLINE abgelegt, sondern MEDLINE ist nur der Katalog.

PubMed ist die frei zugängliche Webseite zur Suche in der MEDLINE-Datenbank. Die Artikel können nach Themen gesucht werden. Oder nach Autoren. Die Suche kann zeitlich eingeschränkt werden.

PubMedPubMed | Public domain

Der Mensch lernt am Besten mit Beispielen.

Beispiel 1

Ich möchte das Editorial „Relationships with the drug industry: Keep at arm’s length“ von Marcia Angell aus dem British Medical Journal aus dem Jahre 2009 suchen. Dieser Artikel wird in der Regel wie folgt oder ähnlich referenziert

Angell M. Relationships with the drug industry: Keep at arm’s length. BMJ. 2009;338:b222. PMID:19193614

Ich kann beispielsweise mit angell m[Author] Relationships with the drug industry: Keep at arm’s length. nach dem Artikel suchen (Der Link führt gerade die Suche aus.). Namen werden häufig am Besten nach dem Schema Nachname mit erstem Vornamenbuchstaben gesucht, also Angell M. Das ist in der medizinischen Literatur so üblich.

Der Zusatz [Author] sagt PubMed, um welches Feld in der Datenbank es sich handelt. Die Suche wird durch solche Hinweise genauer.

In den „Search Details“ auf der rechten Seite sieht man, welche Suche exakt ausgeführt wurde. Das kann beim Verfeinern der Suche helfen. Eine Suchanweisung der Search Details kann beispielsweise bei der nächsten PubMed-Suche ins Suchfeld kopiert und verändert werden.

Bei den gefundenen Artikeln ist jeweils oben Rechts ein Link zur Fachzeitschrift (Journal). In unserem Beispiel landen wir beim Anklicken auf dem Artikel. Doch, oh Schreck. Der Artikel ist da, aber wir können ihn nicht direkt lesen. Er ist nicht frei zugänglich.

Findet Google den Artikel Text? Eine Google-Suche führt zum gleichen Artikel.

Eine weitere Suchmöglichkeit ist Google Scholar, was nur Forschungsartikel sucht. Diese Suche findet wieder den gleichen Artikel. Teilweise werden auch Kopien mit dem Inhalt gefunden. Google Scholar ist von Google speziell zur Suche von wissenschaftlichen Publikationen entworfen worden.

Dass wir den Artikel nicht lesen können, ist nicht ein Problem von PubMed, sondern der Wissenschaft selbst. Viele Forschungsartikel sind leider nicht frei zugänglich.

Der freie Zugang wird als Open Access bezeichnet. Seit einigen Jahren gibt es das Bestreben, dass öffentlich bezahlte Forschung auch öffentlich frei zugänglich ist. Mehr zum Thema in der Artikelauflistung: Open Access.

Beispiel 2

Es soll die Phase III Studie von Fingolimod mit Prof. Dr. Kappos als Erstautoren gesucht werden.

Die Suche Kappos L fingolimod funktioniert. Es werden 15 Resultate zurückgegeben und der gesuchte Artikel ist an elfter Stelle. (Die Reihenfolge kann sich ändern.)

Die Suche könnte zusätzlich mit dem Publikationsjahr verfeinert werden. Die Suche Kappos L fingolimod 2010[year] liefert dann direkt den Artikel zurück.

Wir haben Glück und der Artikel ist Open Access. Oben rechts kann auf den Link zur Fachzeitschrift geklickt werden. Der Artikel erscheint.

Was ist der Unterschied zwischen PubMed und Google?

Google und Google Scholar sind gut bei der Suche von einzelnen Publikationen.

PubMed hat, mit einer Datenbank im Hintergrund, den Vorteil bei systematischen Suchen. Wenn es nicht nur um eine Publikation geht, sondern z.B. alle Artikel eines Themas. Beispielsweise alle Studien von Prof. Kappos zu Fingolimod: Kappos L fingolimod.

(Alle Studien eines Themas werden nur gefunden, wenn alle durchgeführten Studien auch wirklich publiziert wurden. Es wird geschätzt, dass die Hälfte aller Studien nicht veröffentlicht sind. „Positive“ Studien werden zweimal häufiger veröffentlicht als „negative“ Studien. Die verzerrte Forschungsliteratur (publication bias) ist ein eigenes Thema. Die AllTrials-Initiative engagiert sich gegen dieses Missstand.)

PMID

Die PMID identifiziert eine Publikation in der Datenbank. Mit dieser Nummer kann direkt auf die Publikation zugegriffen werden, beispielsweise 19193614[uid].

Die PMID wird auch von anderen genutzt. So beispielsweise von Wikipedia mit einem Automatismus für medizinische Referenzen via PMID.

PubMed Central (PMC)

PMC ist der Bruder von PubMed. PMC speichert im Gegensatz zu PubMed den vollen Text des Artikels selbst in der Datenbank. Das geht nur mit Publikationen, die dies erlauben. Also Open Access sind. PMC enthält folglich nur eine Untermenge von PubMed.

Cochrane und systematische Übersichtsarbeiten

PubMed ist ein Werkzeug. Mit PubMed können eigene Recherchen durchgeführt werden. Für verlässliche medizinische bzw wissenschaftliche Antworten ist die Cochrane Bibliothek jedoch das Mittel der Wahl. Denn die Cochrane Artikel sind das Resultat von systematischen Literaturrecherchen und Bewertungen, die typischerweise mit PubMed durchgeführt wurden. Wer schneidert sich heutzutage eine eigene Jacke, wenn fertige Jacken günstig gekauft werden können?

Cochrane-Berichte werden periodisch aktualisiert und dem neuen Stand der Wissenschaft angepasst.

Fazit

PubMed ist sehr praktisch zum Suchen von medizinischen Forschungsartikeln. PubMed ist mächtig. Man muss nicht alles verstehen um suchen zu können.

Open Access ist für alle, die nicht an Universitäten angestellt sind, eine Voraussetzung. Und das ist die Mehrheit der Bevölkerung.

Alle im medizinischen Umfeld, sei es als Patienten, Blogger oder Betreuer, sollten PubMed kennen und nutzen.

[Aktualisierung 20.07.2013: E-Mail Adressen von Forschern können mit [First Author] gefunden werden, z.B. Kappos L[Author – First]. Dann auf die Publikation klicken. Oben ist jeweils die E-Mail-Adresse der Ansprechsperson der Studie, häufig der erste Autor, angegeben.]

Der Regierungsstillstand (Government shutdown) der USA betrifft auch PubMed:
PubMed is open, however it is being maintained with minimal staffing due to the lapse in government funding. Information will be updated to the extent possible, and the agency will attempt to respond to urgent operational inquiries. For updates regarding government operating status see USA.gov.
Was wir sehen: Zentrale Systeme sind anfällig.