Medizinische Fachzeitschriften (Journals) am Beispiel MS

Wo werden medizinische Erkenntnisse veröffentlicht? Warum wird etwas in einer bestimmten Fachzeitschrift publiziert? Welche medizinischen Fachzeitschriften gibt es? Worin unterscheiden sich die Fachzeitschriften? Wie viele medizinische Fachzeitschriften gibt es?

Wissenschaftliche Erkenntnisse, zu denen die medizinischen gehören, werden an Konferenzen präsentiert und in wissenschaftlichen Fachzeitschriften veröffentlicht. Ein Forscher schreibt einen Artikel über seine Erkenntnisse. Er informiert damit seine Fachkollegen, die Ärzte und die Öffentlichkeit. Dabei werden nicht einfach nur die Erkenntnisse aufgeschrieben, sondern ganz wichtig auch wie der Forscher zu diesen Erkenntnissen gelangt ist. Welche Methoden angewandt und welche Annahmen getroffen wurden. Auch was die Grenzen (limitations) oder Verzerrungen (bias) der Forschungsarbeit sein könnten. Wichtig ist auch wie sich diese neue Arbeit zu den bisherigen Erkenntnissen einreiht. Ein wissenschaftlicher Artikel muss deshalb verschiedene formale Kriterien erfüllen.

BMJ Cover 11.08.2012BMJ Titelbild 11.08.2012 | © BMJ Group 2012

Wissenschaftliche Fachzeitschriften stellen diese formalen Kriterien sicher. Weiter wird der wissenschaftliche Artikel an mindestens zwei andere Forscher aus dem gleichen Forschungsgebiet (peers) zur inhaltlichen Überprüfung (review) übergeben. Das ergibt das bekannte Peer-Review-System. Der Begutachter kann Korrekturen einfordern oder die Arbeit als nicht relevant zurückweisen und nicht akzeptieren (acceptance). Die Begutachter sind meistens etablierte Forscher, häufig Professoren aus dem Fachgebiet und machen die Arbeit unentgeltlich. Begutachtete Artikel (peer reviewed articles) werden als wissenschaftliche Artikel angeschaut, die anderen gelten als nicht „richtig“ wissenschaftlich. Ausnahmen sind Leitartikel (Editorials). Diese werden von der Fachzeitschrift in Auftrag gegeben oder von den Fachzeitschriftenherausgebern (editors) selbst geschrieben und stellen Meinungen dar. Leitartikel besprechen wissenschaftliche Artikel oder allgemeine Themen. Leitartikel sind meist sehr einflussreich. Sie können wissenschaftliche Artikel abqualifizieren oder herausstreichen. Siehe auch Was ist gute Wissenschaft?.

Wer bestimmt wo etwas publiziert wird?

Der Forscher ist erst einmal frei, wo er etwas veröffentlichen will. Er kann also den besten Ort für seine Arbeit aussuchen.

Was ist der beste Veröffentlichungsort für eine Forschungsarbeit?

Das hängt von der Arbeit und den Resultaten ab. Grundsätzlich möchte der Forscher, dass seine Resultate von möglichst vielen „richtigen“ und wichtigen Leuten gelesen und weiterverarbeitet wird. Er möchte also den Einfluss (impact) seiner Arbeit und somit auch von sich selbst vergrössern.

Der Forscher muss also eine geeignete Fachzeitschrift (journal) für seinen Forschungsartikel suchen. Fachzeitschriften können sich erheblich unterscheiden. Sie können ein weites Themenspektrum haben, auf ein Thema spezialisiert sein, ein Mitteilungsorgan einer Fachgesellschaft sein und somit von vielen Leuten gelesen werden, eine lange Tradition haben, strenge Richtlinien haben, ein gutes Renommee haben, …

Der Forscher möchte eine möglichst angesehene und gute Fachzeitschrift für seine Arbeit. Nur möchten das alle anderen Forscher auch. Bei guten Fachzeitschriften werden deshalb mehr Forschungsartikel eingereicht als publiziert werden können. Sie können deshalb die guten und interessanten Artikel auswählen. Die wichtigen Fachzeitschriften können mit den guten Artikeln den guten Ruf erhalten oder gar steigern – eine positive Spirale.

Akzeptanzrate und Prestige {#akzeptanzrate}

Bei angesehenen Fachzeitschriften werden so viele Artikel eingereicht, dass sie 9 von 10 Artikel wieder zurückweisen (acceptance rate). Wenn es nun einem Forscher gelingt in so einer Fachzeitschrift zu veröffentlichen, ist das für ihn wie ein Preis, den er gewinnt. Sein Ansehen (Prestige) bei seinen Kollegen steigt. Diese Steigerung seines Ansehens, ist also nicht direkt abhängig vom wissenschaftlichen Wert seiner eigenen Arbeit, sondern „färbt“ von der Fachzeitschrift ab. Bei Berufungen auf Professorenstellen zählt in der Regel, wie viele Artikel in angesehenen Fachzeitschriften veröffentlicht wurden. Wissenschaftliche Karrieren werden durch Veröffentlichungen in angesehenen Fachzeitschriften gemacht.

Im aktuellen wissenschaftlichen System zeigt der Veröffentlichungsort von wissenschaftlichen Resultaten wie wichtig der Forscher die Resultate findet und wie wichtig seine Kollegen diese Resultate finden. Wie gültig (valide) sie die Resultate halten.

Bei wissenschaftlichen Fachzeitschriften gibt es so etwas wie eine Hierarchie.

Im Jahr 2011 gab es über 11‘000 anerkannte Zeitschriften für die Naturwissenschaften (Physik, Chemie, Biologie, Medizin, Psychologie, …), davon 3718 medizinische Zeitschriften.1 Also eine riesige Menge. Wohlgemerkt dies umfasst nur die naturwissenschaftlichen Fachzeitschriften. Daneben gibt es noch die geisteswissenschaftlichen Fachzeitschriften, z.B. für Geschichte oder Philosophie.

Wenn eine wissenschaftliche Zeitschrift bei einer Fachzeitschrift abgelehnt wurde, wird sie der Wissenschaftler bei einer anderen Zeitschrift einzureichen versuchen. Er wird dann eine Zeitschrift auf der gleichen Hierarchiestufe oder einer Hierarchiestufe tiefer wählen. Eigentlich müssen durchgeführten Studien veröffentlicht werden um zu verhindern, dass nur „positive“ Funde publiziert werden (publication bias).

Journal Citation Reports® {#jcr}

Zur Übersicht über die verschiedenen Fachzeitschriften gibt es eine Datenbank, den Journal Citation Reports® Science von Thomson Reuters.

Diese Datenbank enthält die verschiedenen Fachzeitschriften mit verschiedenen Angaben:

* Namen
* Erscheinungshäufigkeit
* Wie viele Artikel veröffentlicht werden.
* Welche Fachgebiete abgedeckt werden.
* Wie viele Male, die Artikel aus dieser Fachzeitschrift von anderen Artikel zitiert wurden (Impact Factor). Ein Impact Factor von 1 bedeutet, dass jeder Artikel einer Fachzeitschrift im Durchschnitt einmal in einer anderen Zeitschrift zitiert wurde. Wichtig zu beachten ist, dass diese Angabe eine Durchschnittswert ist. Wenige häufig zitierte Artikel können deshalb den Impact Factor „hochziehen“.
* Und ähnliche Kennwerte wie der EigenFactor®.

Welche Fachzeitschriften gibt es für eine Multiple Sklerose Publikation? {#fachzeitschriften}

Ich habe einmal die gebräuchlichen Fachzeitschriften bei Multiple Sklerose herausgesucht und diese hierarchisch geordnet. Die wichtigsten zuerst. Je höher Impact Factor oder Eigenfactor. Dabei enthalten sind auch generelle naturwissenschaftliche oder medizinische Zeitschriften. Diese haben ein sehr breites Themenfeld, werden von sehr vielen Leuten gelesen und haben deshalb ein sehr hohes Ansehen.

Generelle naturwissenschaftliche Zeitschriften {#nature-science}

Es gibt zwei hochangesehene naturwissenschaftliche Zeitschriften: Nature und Science. Sie stellen den Olymp der wissenschaftlichen Fachzeitschriften dar. Diese veröffentlichen alles – von Astronomie über Medizin bis zur Zoologie. Die Messlatte für Veröffentlichungen in diesen Zeitschriften ist sehr hoch. Fundamentale, gar bahnbrechende Arbeiten werden gefordert. Meist stecken jahrelange Arbeit und zahlreiche Veröffentlichungen in kleineren Fachzeitschriften dahinter.

Nature und Science haben eine eigene Redaktion und einen redaktionellen Teil, sie veröffentlichen also auch wissenschaftliche Nachrichten und nicht nur wissenschaftliche Forschungsartikel.

Medizinische Top 4 Journals {#top-med}

Im Bereiche der Medizin gibt es 4 hoch angesehene generelle Fachzeitschriften. Diese liegen mit grossem Abstand vor anderen Fachzeitschriften.

* New England Journal of Medicine (NEJM)
* The Lancet
* JAMA (The Journal of the American Medical Association)
* BMJ (Britisch Medical Journal)

BMJ hat eine eigene Redaktion und einen redaktionellen Teil, sie veröffentlichen also auch wissenschaftliche Nachrichten und nicht nur wissenschaftliche Artikel. (Bei den anderen weiss ich es nicht.)

PLoS ONE {#plos-one}

Die Zeitschrift PLoS ONE ist ein Sonderfall. Diese generelle medizinische Open Access Fachzeit ist Peer-Reviewed (begutachtet). Sie akzeptiert aber alle Artikel, die die wissenschaftlichen Qualitätsstandards (z.B. methodisch korrekt) einhalten. Es werden 7 von 10 eingereichten Artikel publiziert. Viele andere Fachzeitschriften erscheinen auch in gedruckter Ausgabe, PLoS ONE hingegen erscheint nur im Internet und hat somit keine Platzproblem und muss und will nicht auswählen. Alle können hier veröffentlichen, solange es den wissenschaftlichen Standards entspricht. Diese Fachzeitschrift ist somit so etwas wie ein Sammelbecken für Publikationen.

Warum ist diese Fachzeitschrift PLoS ONE dennoch einflussreich?

Grossen Forschungsförderen kann das Prestige einer Zeitschrift egal sein. Sie wollen, dass ihre Resultate schnell veröffentlicht und ohne Einschränkung lesbar (Open Access) sind. Der Begutachtungsprozess ist in der Regel zeitaufwändig und kann Monate, wenn nicht Jahre dauern. Wenn ein Artikel in einer Fachzeitschrift abgelehnt wird, startet der Begutachtungsprozess von neuem. Diese Zeitschrift wird auch von allen gewählt, denen eine rasche und einfache Veröffentlichung wichtiger als das Prestige der Zeitschrift ist. Der oft mühselige Weg von Einreichen, Ablehnung, Wiedereinreichung, … entfällt bei PLoS ONE.

Forschung von grossen Forschungsföderern wie z.B. Wellcome Trust wurde durch die Fördergremiem bereits ausgewählt (selektiert) und können auch grössere Projekte umfassen. Solche Forschungsarbeiten liefern häufig wichtige wissenschaftliche Forschungsergebnisse.

Fachspezifische Zeitschriften

In den Fachgebieten gibt es in der Regel ein oder mehrere führende Fachzeitschriften. In der Neurologie ist dies z.B. die Fachzeitschrift Neurology®.

Multiple Sclerosis Journal (MSJ) {#msj}

Das Multiple Sclerosis Journal (MSJ) ist die einzige Zeitschrift, die sich nur auf Multiple Sklerose spezialisiert hat.

Wissenschaftliche Fachzeitschriften aus dem deutschsprachigen Raum {#de-journals}

* Swiss Medical Weekly (SMW): Wissenschaftliche Fachzeit der Schweizer Ärztegesellschaft FMH zu allgemeinen Themen der Medizin. Häufig mit einem Bezug zur Schweiz.
* Wiener Klinische Wochenschrift: Österreichische Fachzeitschrift mit generellem Themenspektrum. Deutschsprachig.
* Nervenarzt: Die Zeitschrift richtet sich an niedergelassene und in der Klinik tätige Ärzte für Neurologie, Psychiatrie und Nervenheilkunde. Eine der wenigen deutschsprachigen Fachzeitschriften. Organgesellschaften: Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V. (DGN), Deutsche Schlaganfall-Gesellschaft (DSG), Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN)

Die Schweizerische Ärztezeitung druckt keine wissenschaftlichen Publikationen ab. Die Beiträge sind nicht Peer-Reviewed, was auch nicht nötig ist. Denn es geht um Informationsbeiträge und Meinungen.

Übersicht der Fachzeitschriften am Beispiel von MS {#journal-liste}

Name | Gebiet | IF | EF | Art. 2011 | L | GJ | OA
– | – | – | – | – | – | – | –
Nature | Nat | 36 | 1.66 | 841 | UK | 1869 | N
Science | Nat | 31 | 1.41 | 871 | US | 1880 | N
New England Journal of Medicine (NEJM) | Med | 53 | 0.66 | 349 | US | 1811 | 6M
PLoS ONE | Nat | 4 | 0.5 | 13781 | US | 2006 | J
Journal of Neuroscience | N | 7 | 0.45 | 1790 | US | 1981 | H
The Lancet | Med | 38 | 0.36 | 276 | UK | 1823 | N
JAMA | Med | 30 | 0.29 | 220 | US | 1883 | 6M
Neuron | N | 15 | 0.23 | 327 | US | 1988 | N
Nature Medicine | Med | 22 | 0.17 | 187 | UK | 1995 | N
Nature Neuroscience | N | 16 | 0.16 | 226 | US | 1998 | N
Neuroimage | N | 6 | 0.15 | 1024 | US | 1993 | N
BMJ | Med | 14 | 0.14 | 261 | UK | 1840 | 6M
Neurology® | N | 8 | 0.14 | 497 | US | | N
Cochrane Database of Systematic Reviews | Med | 6 | 0.12 | 620 | UK | 1993 | G
Nature Reviews Neuroscience | N | 30 | 0.11 | 47 | UK | 2000 | N
Brain | N | 9 | 0.1 | 269 | UK | 1878 | H
Brain Research | N | 3 | 0.09 | 937 | NL | 1966 | N
Neuroscience | N | 3 | 0.09 | 852 | UK | 1976 | N
PLoS Medicine | Med | 16 | 0.08 | 126 | US | 2004 | J
European Journal of Neuroscience | N | 4 | 0.07 | 402 | UK | 1989 | N
The Lancet Neurology | N | 23 | 0.07 | 86 | UK | 2002 | N
Annals of Neurology | N | 11 | 0.07 | 192 | UK | 1977 | H
Neuropsycho­phar­ma­co­logy | N | 8 | 0.05 | 232 | UK | 1994 | H
Trends in Neuro­sciences (TINS) | N | 14 | 0.05 | 60 | NL | 1978 | N
Journal of Neurology, Neuro­surgery & Psychiatry (JNNP) | N | 5 | 0.04 | 244 | UK | 1920 | H
Annual Review of Neuroscience | N | 26 | 0.03 | 24 | US | 1978 | N
Canadian Medical Association Journal | Med | 8 | 0.03 | 133 | CA | 1911 | 1J
Journal of Neurology | N | 3 | 0.02 | 248 | DE | 1891 | H
Brain Research Reviews | N | 10 | 0.02 | 43 | NL | 1966 | H
Journal of Neuro­immuno­logy | N | 3 | 0.02 | 219 | | | N
Multiple Sclerosis Journal | MS | 4 | 0.02 | 182 | UK | 1995 | H
BMC Neuroscience | N | 3 | 0.01 | 128 | UK | | J
Current Opinion in Neurology | N | 5 | 0.01 | 84 | UK | | N
Nature Reviews Neurology | N | 12 | 0.01 | 55 | US | 2005 | N
Neurothera­peu­tics | N | 6 | 0.01 | 65 | US | | H
BMC Neurology | N | 2 | 0.01 | 154 | US | | J
Swiss Medical Weekly | Med | 2 | 0.01 | 169 | CH | 1871 | J
Wiener Klinische Wochenschrift | Med | 1 | 0 | 121 | AT | 1888 | H
Deutsches Arzte­blatt Inter­na­tio­nal | Med | 3 | 0 | 102 | DE | 1949 | J
Reviews in the Neurosciences | N | 2 | 0 | 49 | UK | | H
Neuro­immuno­mo­du­la­tion | N | 2 | 0 | 42 | CH | 1994 | N
Nervenarzt | N | 1 | 0 | 143 | DE | 1928 | N

Auswahl von Fachzeitschriften geordnet nach Eigenfactor® („Prestige“) für Neurologiepublikationen.
Erklärung:
Fett = Medizinzeitschrift mit hohen Prestige; Fettkursiv = Zeitschrift mit dem höchsten Prestige in den Naturwissenschaften
Legende:
Gebiet = Fachgebiet der Zeitschrift; Nat = Für alle Naturwissenschaften; Med = Für alle medizinischen Themen; N = Aus dem Fachgebiet Neurologie
IF = ImpactFactor, je höher desto angesehener
EF = Eifenfactor®, je höher desto angesehener
Art. 2011 = Anzahl veröffentlichte Artikel im Jahre 2011
L = Herkunftsland der Zeitschrift
GJ = Gründungsjahr der Zeitschrift oder deren Vorgängerin
OA = Open Access; J = Ja; N = Nein; H = Hybrides Modell, Autoren können Artikel durch eine Gebühr freischalten; G = Geographisch, für gewisse Länder besteht freier Zugang; 6M = automatisch nach 6 Monaten Open Access; 1J = automatisch nach 1 Jahr Open Access
Datenquelle: 2011 Journal Citation Reports® Science Edition (Thomson Reuters, 2012)

Daneben gibt es noch zahlreiche weitere Fachzeitschriften, die für eine Veröffentlichung zu Multiple Sklerose in Frage kämen.

Herausgeber und Editoren {#editoren}

Herausgeber und Editoren sind verantwortlich für den Inhalt der Fachzeitschriften. Diese sind meist etablierte und renommierte Professoren. Herausgeber und Editoren von Fachzeitschriften können durch das Akzeptieren oder Zurückweisen von Forschungsartikel Einfluss auf den wissenschftlichen Fortgang nehmen. Publikationen in angesehenen Fachzeitschriften können verhindert werden. Alternative, konkurrierende Ideen und Hypothesen können unterdrückt, oder zumindest verzögert werden. Durch ihren Einfluss sind Editoren respektierte bzw. geführchtete Personen. (Interessant ist dazu der Blogartikel des Ex-BMJ Editors An ex-editor on the receiving end, BMJ, 31. Juli 2012.)

Prestige und Open Access {#oa}

Das hohe Prestige der Top-Fachzeitschriften führt zu einer monopolartigen Situation. Es gibt ihnen sehr viel Macht. Diese kann auch und wird auch wirtschaftlich ausgenutzt und kann den eigentlichen wissenschaftlichen Prozess sogar behindern. Die Open Access Bewegung versucht diesen Prozess wieder in eine für die Allgemeinheit gute Bahn zu lenken.

Zurückgezogene oder fehlerhafte Artikel (retractions) in der wissenschaftlichen Literatur {#retraction}

Wissenschaftliche Artikel, deren Resultate nicht mehr als vertrauenswürdig angeschaut werden aufgrund von wissenschtlichem Fehlverhalten oder Fehlern, von Plagiaten oder Missachtung von ethischen Regeln werden aus der wissenschaftlichen Literatur zurückgezogen (retracted). Interessanter weise scheint die Anzahl der Retractions mit dem Ansehen (Impact Factor) der Fachzeitschrift zusammen zu hängen (zu korrelieren).2 Je höher das Ansehen, desto mehr zurückgezogene Artikel. Das könnte damit zusammenhängen, dass spektakuläre Resultate interessanter sind – aber auch häufiger falsch oder erschwindelt. Ein Grund könnte sein, dass an Schein interessierte Persönlichkeiten das Rampenlicht von angesehenen Fachzeitschriften mit allen (erlaubten und unerlaubten) Mitteln suchen. Zurückgezogene Artikel sind ein eigenes interessantes Thema. Der Blog Retraction Watch thematisiert ausschliesslich zurückgezogene Artikel. Er informiert über Retractions und analysiert die Rückzugsgründe der Artikel. Einfache Ausfühungsfehler oder ausgewachsener wissenschaftlicher Betrug.


  1. Gemäss 2011 Journal Citation Reports® Science Edition (Thomson Reuters, 2012) 

  2. Fang FC, Casadevall A. Retracted Science and the Retraction Index, Infection and Immunity, Aug. 2011

    Welche Fachzeitschriften lesen die Schweizer Ärzte regelmässig? {#ch-medics-journal}

    Die Schweizerische Ärztezeitung hat Umfrageresultate dazu veröffentlicht3.

    1. Schweizerische Ärztezeitung
    1. Swiss Medical Forum
    1. Medical Tribune
    1. The New England Journal of Medicine
    1. VSAO / ASMAC Journal
    1. PrimaryCare
    1. Swiss Medical Weekly
    1. Ars Medici
    1. Cardiovascular Medicine
    1. Revue Médicale Suisse
    1. und weitere

     

  3. Übersicht ist am Schluss des Artikels Maya Grünig, Claudia Weiss, Peter Meier-Abt. Swissmedic durchleuchtet Clinical Trial Units, Schweizerische Ärztezeitung, Jan. 2012, 93(3):54–5 zu sehen.

    Kommentar {#kommentar}

    Die Zeitschriftenhierarchie basierend auf dem Impact Factor ist ein einfaches und schnelles Mittel um eine wissenschafltiche Erkenntnis in ihrer Bedeutung einzuordnen. Eine zu unkritische und zu rasche Verwendung führt aber zu Problemen und Verzerrungen.

    Wie bei allen Messgrössen, können die Leute bestrebt sein, die Messgrösse gezielt zu „optimieren“. Die Messgrössen verlieren dabei jedoch ihre Aussagekraft. Der Impact Factor wurde bereits mehrfach manipuliert um eine Fachzeitschrift einflussreicher darzustellen als sie wirklich ist. So werden eigentlich leere Artikel veröffentlicht, die nichts anderes als Zitationen auf eigene Artikel enthielten.

    Wie wichtig der Impact Factor ist, zeigt, dass die meisten wissenschaftlichen Fachzeitschriften den Impact Factor gut sichtbar auf ihrer Homepage anzeigen.

    Mit diesem Blogartikel versuchte ich das aktuelle wissenschaftliche Publikationssystem für „Nicht-Forscher“ zu beschreiben. Ich hoffe dieser Artikel hilft den Forschungsprozess besser zu verstehen.

     

Neues Buch «Bad Pharma» von Ben Goldacre – Empfehlenswert [akt. 2]

Was steht im Buch „Bad Pharma“? Warum ist es wichtig das Buch zu lesen? Wer ist der Autor Ben Goldacre? Wer soll das Buch lesen?

Ein neues, massstabsetzendes Buch über die Pharmaindustrie – und deren Machenschaften ist erschienen: Bad Pharma: How Drug Companies Mislead Doctors and Harm Patients, Harpercollins UK, 2012 books.ch, amazon.de (Nur Englisch.) Geschrieben hat es der Arzt und Kolumnist Ben Goldacre.

Dieses Buch ist derzeit das beste über die Machenschaften der Pharmaindustrie.

Ben Goldacre kommt aus England. Er ist Arzt, Forscher und Blogger. Er engagiert sich für gute Wissenschaft und gute Medizin. Bekannt wurde Ben Goldacre durch seine Kolumne „Bad Science“ in The Guardian, die er vor 10 Jahren begann. Er hat eine lockere Art zu schreiben, was zu unterhaltsamen Texten führt. Auch bei komplizierten Themen. In seiner Kolumne erklärte er wie Wissenschaft funktioniert, anhand von schlechten Beispiel, so wie man es nicht machen darf. Quacksalberei und Pseudowissenschaft werden durchleuchtet und aufs Korn genommen.

Im Jahre 2008 veröffentlichte er sein erstes Buch mit dem Titel Bad Science, gleichnamig wie seine Kolumne und sein Blog.
Das Buch wurde ein grosser Erfolg.

Bad Pharma

Bad Pharma Buch, Ben GoldacreBad Pharma Buch, Ben Goldacre

“Medicine is broken” ist der erste Satz des Buch, und weiter “the people you should have been able to trust to fix [its] problems have failed you.”

Das Buch beschreibt die Machenschaften der Pharmaunternehmen. Wie die Wissenschaft zu ihren Zwecken sabotiert wird – zum Schaden der Patienten und der Allgemeinheit.

Das Buch beleuchtet die verschiedenen Arten die Wissenschaft zu manipulieren: „Negative“ Studien nicht veröffentlichen, „negative“ Daten weglassen, „negative“ Daten uminterpretieren, die Rohdaten den Universitätsforschern vorenthalten und damite ein unabhängige und kritische Analyse verunmöglichen, gesetzliche Rahmenbedingungen zu ihren Zwecken verändern, Mediziner mit Marketing manipulieren, wissenschaftliche Artikel durch Ghostwriter verfassen lassen, …

Die einzelnen Elemente sind schon lange bekannt. Alles in einem Buch vorzufinden ist erschreckend. Während dem Lesen ist man einem Wechselbad der Gefühle ausgesetzt, Wut über die Missstände, traurig, dass es so weit kommen konnte und inspiriert und voller Tatendrang etwas zu verändern.

Das Buch listet nicht nur die Missstände auf, sondern es enthält auch konkrete Vorschläge, was getan werden kann – was getan werden muss. Für die verschiedenen Gruppen – Ärzte, Forscher, Regulierungsbehörden, Patienten, Patientenorganisationen, Forschungsförderungsinstitutionen, Politiker – sind Korrekturempfehlungen aufgelistet.

Eines der Hauptprobleme ist, dass die Pharmaunternehmen Daten zurückhalten und verstecken. Ein Kernpunkt der evidenzbasierte Medizin ist, dass alle zu einer Therapie ausgewertet werden, und nicht nur die Daten, die einem passen und gefallen (Rosinenpickerei, cherry-picking). Wenn jedoch schon von Anfang an Daten verheimlicht werden, ist die evidenzbasierte Medizin auf Sand gebaut.

> Positive findings are around twice as likely to be published as negative findings. This is a cancer at the core of evidence-based medicine. – Ben Goldacre
> Positive Resultate werden zweimal häufiger publiziert als negative Resultate. Das ist ein Krebs im Herzen der evidenzbasierten Medizin.

Beispielsweise hat Pfizer, das grösste Pharmaunternehmen der Welt, Hersteller von Viagra®, drei Viertel seiner Patientendaten seines Antidepressivums Reboxetin (Edronax®) nicht veröffentlicht. Nur die „positiven Daten“ wurden veröffentlicht. Gemäss aller vorhandenen wissenschaftlich publizierten Daten, ist das Medikament als wirksam. Wenn jedoch alle Daten herangezogen werden, verschwindet die Wirkung. Ist das Wissenschaft? Das traurige ist, dass Pfizer ganz legal gehandelt hat.

Noch trauriger ist, dass der Öffentlichkeit suggeriert wird, dass das Problem bereits gelöst wurde und nicht mehr auftreten kann. Im Buch bezeichnet er diese Korrekturen als „Fake Fixes“ (Scheinkorrekturen). Die Pharmaunternehmen behaupten nun, dass dies in der Vergangenheit gemacht wurde, dass sie sich aber gebessert hätten, und die nicht mehr vorkäme. Das macht das Problem gleich doppelt so schlimm: Nichts korrigiert und eine Korrektur ist nicht zu erwarten.

Regeln wurden aufgestellt, dass alle Studien vor Beginn registriert werden müssen und nur registrierte Studien in renommierten Fachzeitschriften veröffentlicht werden. Denn alle wollen ihre guten Resultate in renommierten Fachzeitschriften veröffentlichen – ein starker Anreiz. Nur das ist Theorie. Die Regeln wurden leider missachtet. Auch nicht-registrierte Studien wurden veröffentlicht. Der ganze Anreiz zerfällt. Ein „Fake Fix“.

Die besten Eindrücke vom Buch erhält mensch durch die frei verfügbare Indroduction.

Es ist wichtig, dass möglichst viele Leute den Inhalt des Buches „Bad Pharma“ kennen. [Aktualisierung 09.09.2013: Zur Zeit leider nur auf englisch erhältlich.] [Aktualisierung 09.09.2013: Mitte August ist die deutsche Übersetzung erschienen: Die Pharma-Lüge.]

Das Buch ist hochgradig relevant und geht uns alle an. Kauft es! Lest es! Sprecht darüber.

Buchkritiken

* The drug industry: Pick your pill out of a hat, The Economist, Sep. 2012
* The drugs don’t work: a modern medical scandal, The Guardian, 21. Sep. 2012
* Trisha Greenhalgh No such thing as a free lunch, British Journal of General Practice, 1. Nov. 2012, 62(604):594–594

> Ben Goldacre’s Bad Pharma: How Drug Companies Mislead Doctors and Harm Patients, a decimating critique of the pharmaceutical industry and the system-level problems that support ineffective and unsafe prescribing, is the new Harry Potter. Open it on the bus or tube and people will approach you to ask what chapter you’re up to. Scandalous, they say. Scandalous, you agree. Those overhearing your conversation will peek at the title and scribble it discreetly on the back of their ticket. As I write this, Goldacre is narrowly behind JK Rowling on the climb up Amazon’s top 20 chart.
Bad Pharma ist der neue Harry Potter. Wildfremde Menschen sprechen in der U-Bahn über das Buch. Skandalös, sagen sie. Skandalös, bestätigst du. Stille Zuhörer notieren den Titel auf der Rückseite ihres Tickets.

[Aktualisierung 14.02.2013: Peter Kleist, medizinischer Direktor des Pharmaunternehmens GlaxoSmithKline (GSK), nun in der Schweizerischen Ärztezeitung erfreulicherweise das Buch Bad Pharma in der Schweiz mit dem Artikel Nur hundertprozentige Transparenz schafft Vertrauen (2013;94: 7 [267]) vorgestellt und besprochen. (Die britische Pharmaindustrie reagierte wie in der Buchbesprechung angetönt etwas anders.) Hinweis: GSK musste in den USA 2012 3 Mrd. Dollar Busse bezahlen.]

TED-Talk

Ben Goldacre hat einen 14-minütigen Vortrag What doctors don’t know about the drugs they prescribe in der TED-Talk-Reihe zu den verheimlichten Studiendaten gemacht. Der Vortrag ist englisch [Aktualisierung 25.11.2012: mit deutschen Untertiteln], unterhaltsam und bietet einen guten Einstieg. Sehr empfehlenswert.

AllTrials.net

Um das Problem des Publication Bias ernsthaft anzugehen, haben Ben Goldacre, Iain Chalmers (James Lind Alliance, Cochrane Collaboration), Fiona Godlee (BMJ) und weitere die AllTrials.net Initiative Mitte-Januar gestartet. Alle sind aufgerufen die Petition zu unterschreiben. (Das Pharmaunternehmen GSK hat unterschrieben.)

[Aktualisierung 06.03.2013: Ein 60 minütiger (lustiger) Vortrag Book Discussion on Bad Pharma (engl.) von Ben Goldacre aus Seattle vom 18.02.2013. Sehenswert.]

[Aktualisierung 09.09.2013: Die lang ersehnte deutsche Übersetzung des Buches ist Mitte August erschienen: Die Pharma-Lüge. Prof. Peter T. Sawicki, Gründer des IQWiG, schreibt im Vorwort: «Das Buch behandelt die richtigen Themen pointiert und wissenschaftlich korrekt; und dies mit guten Beispielen und so allgemeinverständlich, dass sich jeder, der sich mit dem Thema auseinandersetzen will, einen profunden und breiten Einblick erhält und damit selbst zum Experten werden kann.»]

Bewegung bei Open Access [akt.]

Was sind die Entwicklungen beim freien Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen (Open Access)?


Open Access LogoOpen Access Logo | CC0 via Wikimedia designed by PLoS

Open Access meint den freien Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen. Der grösste Teil der Forschung wird öffentlich, also durch Allgemeinheit, bezahlt. Da scheint es geradezu widersinnig, dass das Lesen dieser Publikationen mit grossen Kosten, für Private wie auch für Universitätsbibliotheken, verbunden ist. Es ist im Interesse der Forschung, dass möglichst viele Zugang zu den Erkenntnissen haben und darauf aufbauen können.

Die wissenschaftlichen Zeitschriften versuchen mit aller Kraft das alte auf Papier basierende Modell zu bewahren und weiter zu führen. Dieses garantiert ihnen eine grosse Macht, welche sie durch hohe Gebühren und Kosten finanziell zu ihrem Vorteil ausnutzen, obwohl ihr eigener Anteil an einer wissenschaftlichen Publikation bescheiden ist. Das Internet bringt heute jedoch ganz neue und günstige Möglichkeiten zur Wissensverbreitung, auch von wissenschaftlichen Publikationen.

Prices for online content from two providers have increased by about 145% over the past six years, which far exceeds not only the consumer price index, but also the higher education and the library price indices.

Quelle: Faculty Advisory Council Memorandum on Journal Pricing § THE HARVARD LIBRARY TRANSITION, 17. Apr. 2012

Leider versuchen die Zeitschriftenverlage, das aktuelle Modell nicht nur zu bewahren, sondern andere Entwicklungen auch aktiv zu behindern. Ende letzten Jahres haben die drei grossen Zeitschriftenverlage Elsevier, Thieme und Springer ein Klage gegen die ETH-Bibliothek eingereicht (Ein Bärendienst an der Forschung: Wie Wissenschaftsverlage den freien Zugang zu Informationen zu blockieren versuchen, Neue Zürcher Zeitung, 25. Jan. 2012). Und in den USA versuchen die Wissenschaftsverlage das Gesetz zu ihren Gunsten zu ändern und Open Access einzuschränken.

Mit ihrer Klage wollen die Wissenschaftsverlage eine Regelung des schweizerischen Urheberrechtsgesetzes unterlaufen, die das auszugsweise Kopieren aus Zeitschriften ausdrücklich erlaubt. Diese Regelung ist, im Vergleich etwa zur Situation in Deutschland, wo derartige Kopien verboten sind, ein eindeutiger Standortvorteil für den Forschungsplatz Schweiz.

Was ist die Leistung der Zeitschriftenverlage?

Das Vorgehen der Verlage erstaunt auch deshalb, weil sie in einem rechtlichen Sinne weder die Urheber noch die Qualitätskontrolleure der von ihnen publizierten Arbeiten sind. Der Forschungsförderer bezahlt nämlich nicht nur die ganze Forschung, sondern auch die wissenschaftliche Beurteilung von Fachartikeln, die meist durch Fachleute in solchen Forschungsinstitutionen erfolgt. Die Verlage bekommen also ein fertiges und extrem hochwertiges Produkt, das sie formatieren und vertreiben. Mit der Umstellung auf elektronische Publikationsformen ist ein erheblicher Teil der mit diesem Vertrieb verbundenen Kosten weggefallen. Trotzdem sind die Abonnementspreise dieser Zeitschriften von Jahr zu Jahr rasant gestiegen.

Leider scheinen die Forscher selbst noch zu wenig sensibilisiert und nehmen ihre Verantwortung nicht wahr, wie das Beispiel eines Forschers des Universitätsspitals Lausanne (CHUV) zeigt, der seine vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) finanzierte Forschung nicht frei verfügbar publiziert, obwohl der SNF die unterstützten Forscher zu Open Access verpflichtet. Der SNF finanzierte seine Assistenzprofessur.

Vier Sichten zu Open Access aus unterschiedlicher Perspektiven: einem Forscher, einer gemeinnützigen Forschungsförderungsinstitution, einem Zeitschriftenverlag und der staatlichen Forschungsförderung.

Richard Smith

Der Arzt Richard Smith ist eine profilierte Persönlichkeit in der Medizin. Er arbeitete 25 Jahre beim renommierten British Medical Journal (BMJ), davon 13 Jahre als Editor. Er ist Inhaber zweier (unbezahlter) Professuren. Er ist Begutachter (Reviewer) von wissenschaftlichen Publikationen (Peer-Review). Er ist Direktor des Gesundheitsprogramms gegen chronische Krankheiten in der dritten Welt von UnitedHealth. UnitedHealth ist ein grosses amerikanisches Gesundheitsunternehmen. Richard Smith ist Verfechter von Open Access. Er führte Open Access beim BMJ ein und war Direktor beim gemeinnützigen Open Access Verlag PLoS.

In seinem Blogbeitrag A bad bad week for access, BMJ, 28 Jun, 12 beschreibt er seinen Ärger, der ihm nicht frei zugängliche Publikationen machten.

Er fand über Google einen interessanten Artikel. Kostenpunkt: $48. Er erhielt den Artikel vom Autor. Leider konnte er keinen Tweet machen, da es keine Sinn macht, einen Link zu verschicken, der erst nach Zahlung von $48 zugänglich wird.

Er begutachtete einen Artikel für den (unbezahlten) Peer-Review Prozess und wollte eine referenzierte Publikationen lesen. Der referenzierte Artikel kostet £12. Der Zugriff auf den Artikel über seine Universitätsbibliothek wäre aus technischen Gründen erst nach Änderungen möglich gewesen. Er hätte den Artikel vor Ort in der Bibliothek erhalten können. Aber das im Zeitalter des Internets?

The vested interests are huge, powerful, and well connected. None of the people who wrote the articles I’ve been accessing were paid for writing them. They are supported by public money, and publishers are making money by restricting access to their work.

Wellcome Trust

Der Wellcome Trust aus Grossbritannien ist weltweit die zweitgrösste Stiftung zur Förderung der medizinischen Forschung. (Die Bill und Melinda Gates Stiftung ist noch grösser.) Der Wellcome Trust hatte 2006 ein Stiftungskapital von 13.4 Mrd £ (26.8 Mrd USD) und gibt jährlich 400 Millionen £ für die biomedizinische Forschung, davon hauptsächlich Grundlagenforschung aus.

Die Stiftung führte 2006 Open Access für Publikationen ein, die mir ihrer Unterstützung entstanden sind. Sie stellten nun fest, dass nur 55% der unterstützten Publikationen frei verfügbar sind. Die Stiftung ist anscheinend äussert unzufrieden mit der Situation, dass ihre Publikationen nach wie vor hinter einer Kostenmauer verschlossen sind.

We are firmly committed to ensuring that research publications that result from our funding are made freely available to all. Yet, despite our open access policy having been in place for over five years, still almost half of these publications remain restricted behind subscription paywalls. This is simply unacceptable and so with immediate effect we will be tightening up enforcement of our policy.

Der Wellcome Trust hat nun zur Durchsetzung seiner Richtlinien verschiedene Massnahmen mit sofortiger Wirkung beschlossen:

  • Im Schlussbericht müssen die unterstützten Forscher bestätigen, dass die Wellcome Trust Richtlinien, inkl. Open Access, eingehalten wurden. Wenn sie dies nicht bestätigen können, behält der Wellcome Trust die letzte Zahlung zurück.
  • Publikationen, die die Richtlinien verletzen, z.B. Open Access, werden bei Verlängerungen oder neuen Unterstützungsgesuchen nicht gezählt. Diese Publikationen werden also aus dem wissenschaftlichen Leistungsausweis des Forschers bei der Beurteilung des Gesuches «gelöscht» und vermindern so die Chancen des Gesuches.
  • Die bisher unterstützten Forscher müssen vor Gesucherneuerungen oder neuen Gesuchen sicherstellen, dass die Richtlinien bei den Publikationen, auch Open Access eingehalten werden.

Für 2013 werden die Richtlinien verändert, dass wenn die Stiftung einen Beitrag an eine Open Access Publikation zahlt, die Publikation voll verwertbar sein muss, auch kommerziell.

Wellcome Trust strengthens its open access policy, Press Release Wellcome Trust, 28 June 2012

Springer Verlag

Springer preist auf seiner Webseite die Vorzüge von Open Access an. Teil davon ist ein Youtube Video.

Springer ist ein riesiges deutsches Verlagshaus, unter anderem der deutschen Bildzeitung und dem Schweizer Beobachter. Springer ist ein wichtiger Verlag bei wissenschaftlichen Publikationen und ist nicht zu verwechseln mit dem Axel Springer Verlag, der die Bild-Zeitung herausgibt.

Britische Forschungsförderer verschärfen Open Access Richtlinien

Die wissenschaftlichen Zeitschriftenverlage stellten in einem britischen Bericht fest, dass ein Übergang zum freien Zugang werden sehr teuer würde. Klar, wenn es nach ihren Preisen gehen würde.

Dass dies nicht geschieht, verschärfen die staatlichen Forschungsförderungsinstitutionen die Open Access Richtlinien. Eine Forschungsförderungsinstitution will nur noch Open Access Publikationen beim Leistungsausweis von Forschern beachten, die Open Access sind.

How did this overestimate come about? Because the Finch group was made up of members who «represented different constituencies who have legitimately different interests and different priorities». In particular, a large proportion of the group were subscription-based publishers whose business model stands to be undermined by open access, and who had every reason to undermine the report.

Mehr dazu auf online heise Open Access: Freier Zugang zur britischen Forschung, heise online, 17.07.2012, Guardian Blogartikel Open access means a bright future for scientific research. the Guardian Blog. 17. Juli 2012 und im Guardian Free access to British scientific research within two years, the Guardian, 15. Juli 2012.

Weitere Neuigkeiten

Die EU setzt ebenfalls auf Open Access: EU-Kommission will „Open Access“ vorantreiben, heise online, 17. Juli 2012

Forscher haben zum Boykott von Elsevier aufgerufen: The Cost of Knowledge

Das einflussreiche britische Wochenmagagzin The Economist hat ebenfalls einen lesenswerten Artikel über Open Access geschrieben: Scientific publishing: Brought to book, The Economist, Juli 2012.

Harvard soll Open-Access-Leuchtturm werden, heise online, 25.04.2012

Ich habe noch einen Artikel der Schweizerischen Ärztezeitung gefunden. Der Inhalt hat mich regelrecht schockiert. Die selbständigen Ärzte, d.h. niedergelassene Fachärzte oder Hausärzte, haben häufig gar keinen Zugang mehr zur wissenschaftlichen Literatur.

Vom Literaturzugang weitgehend abgeschnitten sind Ärztinnen und Ärzte in der Praxis. Für diese gilt: Wer ohne grossen Aufwand Zugang zu medizinischer Fachliteratur möchte, muss diesen aus der eigenen Tasche bezahlen. Und das ist nicht ganz billig.

Und so lassen sie es dann bleiben. Was ich verstehen kann.

Sie SAMW hat nun ein Programm zum verbesserten Zugang zu wissenschaftlicher Literatur gestartet.

Quelle: Die SAMW setzt sich für erleichterten Zugang zu medizinischer Fachliteratur ein, Schweizerische Ärztezeitung, Juni 2012, 2012(25):948–9 (PDF)

Im Magazin «Horizonte» (Nr. 94, September 2012) des Schweizerischen Nationalfonds (SNF) und der Akademien Schweiz wurde ein Artikel über Open Access publiziert.

Die Allgemeinheit bezahlt also die Texte. Das Problem ist nur: Sie hat nach der Publikation keinen Zugriff auf die Texte.

Die Hochschulen müssen die Artikel und Zeitschriften durch Lizenzierung von den Verlagen zurückkaufen, also Zeitschriften-Abonnemente erwerben, damit zumindest die Wissenschaftler Zugang zu den Texten haben. Das kommt die Steuerzahler sehr teuer.

Kommentar

Ich kann den Ärger von Richard Smith voll und ganz nachvollziehen. Ich habe ähnliche Erfahrungen gemacht.

Ich begrüsse den Schritt des Wellcome Trusts zur Durchsetzung seiner Open Access Richtlinien ausdrücklich. Dies ist ein wichtiger Schritt. Der Schweizerische Nationalfonds (SNF) hat ebenfalls eine Open Access Richtlinie. Leider sind keine Sanktionsmöglichkeiten vorgesehen.

Wie kann man nach dem Plädoyer von Springer Open Access nicht unterstützen oder gar behindern?


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