Es ist doch so simpel, schlank zu sein, zu werden oder zu bleiben: Wer sich gesund und ausgewogen ernährt, dabei viel Sport treibt und alle Lebensmittel nur in Maßen genießt, der hat mit Übergewicht nichts am Hut.
Diese einfachen Zusammenhänge hören wir wieder und wieder, bis es auch dem letzten klar sein sollte. Daher erleben übergewichtige Menschen immer die gleichen Vorurteile: Sie seien faul und inkonsequent, achten nicht auf ihre Ernährung und vertilgen vermutlich täglich zu ihren Maxi-Beuteln Kartoffelchips mehrere Liter Cola!
Doch gibt es auch übergewichtige Personen, die trotz einer gesunden Lebensweise einfach nicht abnehmen. Wissenschaftler aus den USA haben in dieser Studie nun eine mögliche Ursache für dieses Phänomen entdeckt: Die zur natürlichen Darmflora zählenden Firmicuten machen im Verdauungstrakt fettleibiger Mäuse einen wesentlich höheren Anteil aus als bei normalgewichtigen Tieren. Das gleiche konnte in einer anderen Studie auch bei dicken Menschen nachgewiesen werden.
Nähere Untersuchungen zeigen, dass die Firmicuten, zu denen unter anderem die Bakteriengattungen Lactobacillus, Mycoplasma und Clostridium zählen, Ballaststoffe besonders gut verdauen können. Sie zerlegen die für uns unverdaulichen Pflanzenfasern in Zucker und Fettsäuren, die unser Körper anschließend in Fett umwandelt.
“Ballaststoffe sind immer gut für die Verdauung” – also doch nicht
Gingen wir also Jahrzehntelang davon aus, dass Ballaststoffe unserer Verdauung förderlich seien und sogar beim Abnehmen helfen, so scheint dies nun in Frage gestellt. Denn bei Menschen mit einem hohen Firmicuten-Anteil werden sie im Gegenteil zur wahren Kalorienbombe. Da aber jede menschliche Darmflora sich völlig individuell zusammensetzt, wird durch die neue Erkenntnis auch das Kalorienzählen bei Diäten unsinnig. Denn dann müssten wir für jede Person eine eigene Kalorientabelle anlegen, die auch die Verdauung der Ballaststoffe mit einschließt!
Professor Michael Blaut erklärt gegenüber dem Südwestrundfunk (SWR), dass die Wissenschaft noch lange nicht genau weiß, welche Rolle den Darmbakterien bei der menschlichen Verdauung wirklich zukommt. Doch sei die Stoffwechselleistung, die durch die Bakterien im Darm vollbracht werde, sehr vielfältig, so Blaut. „Genau dies macht es den Forschern aber so schwierig, diese Vielfältigkeit zu erforschen, die einzelnen Funktionen zu erkennen und auch einzelnen Bakterienarten zuzuordnen“, so der Ernährungsforscher weiter.
Die wundersame Welt der Darmbakterien
Obwohl mittlerweile einige Funktionen der Darmbakterien in Ansätzen bekannt sind, weiß man immer noch sehr wenig. Dies hängt unter anderem mit der geringen Größe und der Vielzahl der bisher bekannten Darmbakterien zusammen. Denn etwa 700 verschiedene Bakterienarten besiedeln den menschlichen Darm. Doch auch dies ist nicht allgemeingültig: Schließlich werden nicht bei jeder Person all diese Mikroorganismen nachgewiesen. Auch ändert sich die Darmflora mit dem Alter und mit der Nahrungszusammensetzung. Dies erschwert die Forschungsarbeit ebenfalls.
Damit eine modellhafte Forschung überhaupt möglich ist, werden Ratten untersucht, die völlig keimfrei, also auch ohne bestehende Darmflora gehalten wurde. Sie werden dann mit einem genau definierten „Cocktail“ der unterschiedlichsten Darmbakterien gefüttert, so dass in allen Tieren eine bekannte und nahezu identische Darmflora aufgebaut wird. Anschließend können die Wissenschaftler beobachten, ob eine Veränderung der Ernährung oder des Bakteriencocktails auch Abweichung des Gewichts mit sich bringen.
Auf der Entdeckung, dass Firmicuten einen nicht geringen Beitrag am Dicksein leisten, können die Wissenschaftler nun aufbauen. So möchte Professor Blaut herausfinden, ob eine gezielte Veränderung der Ernährung das Verhältnis der Mikroorganismen so umformen kann, dass dicke Leute leichter abnehmen. Andere Forscher hoffen, durch den gezielten Einsatz von Probiotika das Bakterienverhältnis in die gewünschten Bahnen zu lenken – und damit die Fettsucht zu bekämpfen. Auch die Forschergruppe um Professor Blaut untersucht in einer Studie, ob probiotische Bifidobakterien oder auf sie abgestimmte Prebiotika einer Fettleibigkeit entgegenwirken können. Denn im Gegensatz zu vielen anderen probiotischen Bakterien, gehören die Bifidobakterien nicht zu den Firmicuten.
Einen Aspekt betont Blaut allerdings im Gespräch mit dem SWR ausdrücklich: Der Zusammenhang zwischen Darmflora und Übergewicht sollte dicke Menschen auf keinen Fall dazu verleiten, nun auf eine gesunde und ausgewogene Ernährung zu verzichten. Der Potsdamer Forscher betont, dass es sogar erste Hinweise darauf gibt, dass eine ausgewogene Ernährung davor schützt, dass die Firmicuten sich im Darm übermäßig vermehren.