Ein Wohlfühlort ist der Knast sicher nicht. Für schwule Männer kann die Haft aber noch mal schwieriger sein als für andere. Wir haben mit dem Psychologen Marcus Behrens gesprochen, der schwule und bisexuelle Inhaftierte betreut.
Herr Behrens, geht es im Gefängnis eigentlich besonders homophob zu?
Ja, allein schon aus dem Grund, weil dort häufig Männer mit einem nicht so hohen Bildungsgrad sitzen. Studien zeigen, je niedriger der Bildungsstand und je größer die Ferne zu bestimmten sozialen Milieus ist, desto mehr findet sich auch Homophobie. Der Knast ist also schon ein Ort, an dem man als schwuler Mann besonders auf sich und seine Sicherheit achten muss.
Welchen Platz nehmen denn schwule Männer in der Knasthierarchie ein?
Das kommt auf die Person an, aber grundsätzlich sind schwule Inhaftierte natürlich nicht so hoch angesiedelt. Die Rangfolge in Haft wird in erster Linie über das Delikt hergestellt. Wenn dann Homosexualität hinzukommt, rutscht die Person meist noch eine Stufe weiter runter. Entscheidend ist auch, wie der Inhaftierte sich gibt; das Äußere spielt ebenfalls eine Rolle: Hat er zum Beispiel fette Tattoos, oder ist er mit Muskeln aufgepumpt, ist sowieso schon alles leichter. Wenn er aber relativ jung und schmächtig ist, ist die Wahrscheinlichkeit, Opfer zu werden, recht hoch.
Kuchen backen für Mitgefangene als Gefahrenabwehr-Strategie
Wie gehen schwule Inhaftierte damit um?
Viele sind da sehr geschickt, indem sie ihre sozialen Kompetenzen einsetzen und sich ein Netzwerk aufbauen. Da werden Kuchen gebacken oder Mitgefangenen wird Hilfe angeboten – zum Beispiel bei bürokratischen Dingen. Ganz übel ist es, wenn man das überhaupt nicht kann. Aber wenn man gut darin ist, Beziehungen aufzubauen, dann geht’s in aller Regel besser. Nur bleibt es eben brisant, und es ist belastend, dass schwule Männer immer besonders auf solche Dinge achten müssen. Im Grunde ist das alles Gefahrenabwehr, und das bedeutet viel Stress und hat Auswirkungen auf die Psyche und die Gesundheit.
Hat das letztlich auch Auswirkungen auf die Resozialisierung?
Das ist ein ganz besonders heikler Punkt. Es passiert draußen schon oft genug, dass auf die schwule Identität draufgehauen wird, aber außerhalb der Gefängnismauern hat man ein selbstgewähltes Umfeld, das einen unterstützt – das habt man in Haft deutlich weniger. Wenn man ständig „du schwule Sau“ hört, und keiner schreitet ein, es dem Staatsapparat augenscheinlich egal ist, ob man beleidigt wird und man sich dadurch dauernd als abgewertet wahrnimmt, dann ist das kein guter Ausgangspunkt, wenn man wieder in die Gesellschaft entlassen wird.
Homophobe Beleidigungen sind auch in Haft eine Straftat
Was tut die JVA gegen homophobe Übergriffe oder Beleidigungen? Ist da Unterstützung zu erwarten?
Hier in Berlin sind wir schon weit gekommen. Früher wurden solche Vorfälle immer runtergespielt oder ignoriert. Mittlerweile haben wir eine Ansprechpartnerin in der Staatsanwaltschaft, die solche Delikte verfolgt. Wenn also jemand eine Anzeige macht, dann fällt das nicht mehr unter den Tisch. Denn homophobe Beleidigungen sind eine Straftat, und eigentlich muss ein Beamter auch in Haft in einem solchen Fall einschreiten.
Und passiert das auch?
So richtig ist das bei den Bediensteten noch nicht angekommen, viele wissen aber auch nicht, wie. Sie wollen schließlich nicht in den Ruf kommen, selbst schwul zu sein. Denn das könnte ihre Männlichkeit und ihre Autorität gegenüber den Gefangenen beschädigen. Und diese harte Schale ist ein probater Schutz in Haft, das muss man auch sehen. Aber auch hier sind wir dran. Demnächst fahre ich zum Beispiel nach Thüringen und gebe dort eine Schulung für Bedienstete zum Thema Homophobie. Selbiges ist ebenso im Herbst in Berlin geplant.
Wie wollen Sie das Thema dort angehen?
Erst mal geht es mir darum, den Bediensteten überhaupt bewusst zu machen, dass es ein Straftatbestand ist, wenn jemand homophobe Beleidigungen von sich gibt. Und dann möchte ich natürlich auch auf sie einwirken, dass sie in solchen Fällen einschreiten. Es geht in dieser Schulung aber nicht nur um die Gefangenen, sondern auch um den Umgang der Bediensteten untereinander. Ich kenne einen Fall, bei dem ein schwuler Beamter von seinen Kollegen immer ganz freundlich und scheinheilig den Schlüssel mit der Nummer 175 ausgehändigt bekommen hat – als Anspielung auf den Paragrafen 175. Für den Betroffenen war das zutiefst beschämend.
„Das einzige offen schwule Projekt, das Knastbesuche macht“
Im Mann-O-Meter, dem Berliner Beratungs- und Informationszentrum für schwule Männer, leiten Sie die AG Haft und sind für die Vollzugshelfer zuständig. Was macht ein Vollzugshelfer genau?
Unsere Vollzugshelfer sind ehrenamtliche Mitarbeiter, die alle 14 Tage für mindestens eine Stunde einen Inhaftierten besuchen. Wir von Mann-O-Meter machen das jetzt schon seit 25 Jahren und sind in Deutschland immer noch das einzige offen schwule Projekt, das auch Knastbesuche macht. Bei diesen Besuchen kann über alles Mögliche gesprochen werden – über Probleme in der Haft, aber auch über das schwule Leben draußen. Unsere Vollzugshelfer bringen zum Beispiel Broschüren und Szenemagazine mit, so bleiben die Gefangenen auf dem Laufenden und halten Kontakt zur Szene.
Wer kann Vollzugshelfer werden?
Grundsätzlich jeder, aber der Strafvollzug muss die einzelnen Helfer zulassen. Wenn jemand etliche Vorstrafen vorzuweisen hat – besonders wegen Drogendelikten –, wird es schwierig, weil die Anstalt dann argumentieren kann, dass die Sicherheit und Ordnung gefährdet werden könnte.
Braucht man auch bestimmte psychische Voraussetzungen?
Die Aufgabe des Vollzugshelfers ist schon sehr fordernd. Manche Gefangene haben schlimme Geschichten hinter sich: Die Vollzugshelfer hören dann zum Beispiel, wie der Inhaftierte als Kind schwer missbraucht wurde. Und irgendwann wird man ja auch mit dem Delikt konfrontiert und erfährt dann vielleicht, dass der Inhaftierte jemanden auf bestialische Weise ermordet hat.
Ehrenamt Vollzugshelfer
Die Vollzugshelfer werden aber intensiv betreut. Alle zwei Wochen setzen wir uns mit allen zu einem Plenum zusammen, in dem man alle möglichen Probleme besprechen kann. Und zu Beginn laufen potenzielle Neue erst mal drei Monate ausschließlich im Plenum mit, damit sie sehen, worum es überhaupt geht. Anschließend besprechen wir in der Gruppe, ob der Bewerber in dieses Ehrenamt und auch in die Gruppe passt.
Wie können die Gefangenen mit Ihnen Kontakt aufnehmen?
Eine Möglichkeit ist, uns zu schreiben. Aber es kommt auch vor, dass ein Gruppenleiter oder der psychologische Dienst Gefangene an uns vermittelt, und manchmal läuft es auch einfach über andere Gefangene.
Aber wenn die Gefangenen zu Ihnen in die Sprechstunde gehen oder einen Ihrer Vollzugshelfer treffen, dann ist das doch ein Outing, oder?
Ja, so ein Knast ist klein und da wird viel getratscht, das bekommen dann alle mit. Und deshalb erreichen wir sicherlich nicht alle schwulen Männer, sondern lediglich die, die entweder schon vor der Haft schwul gelebt haben oder die in Haft ihr Coming-out erleben und dringenden Redebedarf haben.
Mit welchen Fragen und Anliegen kommen die Männer?
Erst einmal wollen sie sich entlasten. Die meisten erzählen als erstes, wie ätzend die Haft ist, wie eingeschränkt sie dadurch sind und teilweise auch, welch große Ängste sie haben. Die meisten berichten gar nicht von selbst einzelne Vorfälle, sondern erst, wenn man sie direkt fragt. Und dann erzählen wirklich alle, dass sie blöd angemacht werden – im Sinne von „du Schwuchtel“, aber auch durch Tätlichkeiten und sexualisierte Anmache. Im Gespräch versuchen sie dann, solche Erlebnisse eher runterzuspielen, um nicht zu sehr in eine Opferrolle zu geraten.
Gespräche zur Entlastung der Gefangenen
Was raten Sie den Gefangenen in solchen Gesprächen?
Den meisten geht es erst mal nicht darum, dass man was dagegen macht, sondern sie wollen das Gefühl haben, dass sie nicht alleine sind. Wir gucken dann aber auch, welche Möglichkeiten es gibt, auf solche Vorfälle zu reagieren – das kann auch heißen, dass man über eine Anzeige wenigstens mal nachdenkt. Wir überlegen gemeinsam, ob man den Gruppenleiter oder die Gruppenleiterin ansprechen könnte, ob man sich verlegen lassen kann, und spielen strategische Möglichkeiten durch – indem man zum Beispiel bestimmte Freunde gewinnt, die einem ein besseres Standing verschaffen können. Aber meist sind die Gefangenen einfach schon froh, jemanden zu haben, mit dem sie offen über solche Erlebnisse sprechen können. Diese Entlastung ist sehr wichtig, weil sie sonst psychisch sehr schnell an ihre Grenzen kommen.
Wie ist es, wenn jemand in Haft sein Coming-out erlebt?
Das ist besonders schwierig. Während des Coming-outs gibt es häufig ein sogenanntes Going Public, das heißt, man möchte dann wirklich rausgehen und es allen mitteilen. In Haft kommt es dann häufiger zu entsprechenden Reaktionen, denen man kaum ausweichen kann: Von Beleidigungen und Drohungen bis hin zu Gewalt ist alles dabei. Aber der innere Druck ist meist so groß, dass die Betroffenen das in Kauf nehmen. Ich kenne einen Inhaftierten, der hatte schon Medikamente gesammelt und meinte, er hätte sich umgebracht, wenn er nicht endlich mit einem schwulen Berater gesprochen hätte. Eine Woche nach dem Gespräch hatte er dann sein Going Public. Daran sieht man, unter welcher Belastung schwule Männer in Haft teilweise leben.
Vielen Dank für das Gespräch!
Interview: Christina Laußmann
Marcus Behrens ist Psychologe und seit 20 Jahren in der Haftarbeit tätig. Er ist Leiter der „AG Haft“ in dem Berliner Beratungs- und Informationszentrum für schwule Männer „Mann-O-Meter“ und bietet in Berliner Gefängnissen regelmäßig Sprechstunden für schwule und bisexuelle Inhaftierte an. Außerdem ist er Mitglied im Berliner Vollzugsbeirat, Mitherausgeber des Handbuchs „Gesundheit und Haft“ und freiberuflicher Trainer in der Bildungsstätte Justizvollzug Berlin.
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