Wir alle wissen und glauben ganz fest, dass die Pharmaindustrie zu unserer aller Wohl da ist und da zu sein hat. Das Geschäftliche an solchen „Institutionen“ ist natürlich nebensächlich oder auch nur ein notwendiges Übel. Sind wir uns da einig?
Aber dennoch scheinen die angesprochenen Firmen sich nicht an diese Erwartungshaltung zu halten: Immer wieder verstoßen sie gegen Auflagen oder wenden Tricks an, um Verkaufsschranken zu unterlaufen. Das allerdings geht nicht immer reibungslos über die Bühne; immer wieder fliegt die eine oder andere Firma mit ihren speziellen Machenschaften auf – und wird bestraft.
In der Regel ist die Strafe nicht mehr als eine Tracht Prügel, die schon bald vergessen ist. Natürlich gibt es da keine “Prügel” im wörtlichen Sinne – eigentlich ist es noch harmloser. Denn die Strafen bestehen in Zahlungen, die für die betroffenen Firmen kaum der Rede wert sind. Es sind eher sowas wie finanzielle “Nadelstiche”, die man locker aushalten kann und die leider oft schon im Verkaufspreis der Medikamente mit einkalkuliert sind. Um bei dem Beispiel mit der “Tracht Prügel” zu bleiben: Damit hätte man sich ein Stück Schaumstoff in die Hose gesteckt und dann in aller Seelenruhe die Prügel über sich ergehen lassen, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken.
Nun ist es wieder so weit und eine besonders große Pharmafirma hat sich zu weit aus dem Fenster gelehnt und ist auffällig geworden: GlaxoSmithKline, kurz Glaxo. Die sind nämlich in den Vereinigten Staaten vor Gericht gezerrt und von der amerikanischen Regierung verklagt worden. Am 2. Juli dieses Jahres bekannte sich Glaxo schuldig in 3 Fällen von kriminellem Fehlverhalten und zivilrechtlichen Vergehen im Bezug auf die verschreibungspflichtigen Medikamente Paxil (deutsche Präparatenamen sind ParoLich, Paroxalon, Paroxat, Seroxat, Tagonis), Wellbutrin (Elontril, Zyban) und Avandia. Die Firma stimmte der Zahlung einer Strafe zu, die die Rekordsumme von 3 Milliarden Dollar betrug – 1 Milliarde Dollar als Strafe für kriminelle Vergehen und 2 Milliarden für die zivilrechtlichen Verurteilungen. Diese Summe stellt die höchste gezahlte Strafe für eine Betrugsverurteilung in der amerikanischen Geschichte dar, und ist sie sehr wahrscheinlich auch in der Geschichte der Pharmaindustrie.
Glaxo hat “prominente” Vorgänger beim Schummeln
Bis zum Jahr 2009 war die Firma Pfizer die ungeschlagene Betrugskönigin mit einer Strafzahlung von 2,3 Milliarden Dollar, die wegen ähnlicher Vergehen angeklagt worden war (Quelle: http://www.nytimes.com/2009/09/03/business/03health.html).
Erst letzten Mai musste die Firma Abbott sich vor Gericht verantworten. Sie hatte ein von ihr produziertes Medikament gegen Anfälle so vermarktet, dass es auch bei Indikationen eingesetzt werden sollte, für die es gar keine Zulassung gab, nämlich bei der Demenz bei älteren Leuten. Diese unerlaubte Indikationsausweitung kostete der Firma 1,6 Milliarden Dollar (Quelle: http://www.nytimes.com/2012/05/08/business/abbott-to-pay-1-6-billion-over-illegal-marketing.html).
Johnson und Johnson sind auch kein unbeschriebenes Blatt. Auch diese Firma erweiterte einfach mal kurz, schmerzlos und eigenmächtig die Indikationsliste für ihr Neuroleptikum Risperdal und sieht sich nun einem möglichen Urteil von 1,6 bis 2 Milliarden Strafzahlung ausgesetzt. Die Liste ließe sich noch beliebig lange mit mehr oder weniger hohen Strafzahlungen fortsetzen. Es bleibt der Eindruck, dass betrügerische Praktiken Teil des Tagesgeschäfts der Pharmafirmen sind, nicht zuletzt weil diese genau wissen, dass die Strafen nicht wirklich Strafen sind.
Natürlich sind 3 Milliarden Dollar kein Pappenstiel, auch nicht für einen Pharmariesen wie Glaxo. Aber die Summe ist immer noch relativ lächerlich, wenn man bedenkt, dass Glaxo mit den Psychopharmaka alleine schon 27,5 Milliarden Dollar verdient hat. Vor diesem Hintergrund tun 3 Milliarden nicht mehr ganz so weh. 27,5 Milliarden Dollar ist der Schaumstoff in der Hose, der für formvollendetes Wohlbefinden sorgt, trotz Haue. Vor diesem Hintergrund kann man seine Chemie auch ruhig für Kinder anpreisen, obwohl das Präparat nur für Erwachsene zugelassen ist.
Warum sich da noch lange mit “evidenzbasierten Studien” aufhalten, wovon Firmen anscheinend selber wissen, dass die erstunken und erlogen sind? So was hält einen ja nur auf bei der Umsatzsteigerung und kostet auch noch! Außerdem hatte zum Beispiel Glaxo diese Präparate auch noch für Störungen der Sexualfunktion zum Einsatz kommen lassen, um den umsatzträchtigen Viagra-Markt etwas anzukratzen. Damit die Indikationserweiterungen auch in der Praxis zum Tragen kamen, griff die Marketingabteilung zu den bekannten Waffen der Industrie: Ärzte wurden mit Geschenken überschüttet, erhielten Beraterverträge bei Glaxo, wurden als bezahlte (Für)-Sprecher angeworben und gingen auf Kosten der Firma zu beliebten Sportveranstaltungen (Quelle: http://www.huffingtonpost.com/robert-reich/how-not-to-get-big-pharma_b_1653588.html).
Interessant auch hier wieder: Ganz wie in der Vergangenheit bei ähnlichen Verfahren gegen andere Pharmafirmen fällt auf, dass nur die Firma selbst angeklagt ist und zur Rechenschaft gezogen wurde. Von einer Anklage gegen verantwortliche Manager und Führungskräfte ist nicht die Rede. Es geht zwar das Gerücht um, dass die verantwortlichen Manager ihren Erfolgsbonus an die Firma zurückzahlen müssen, aber die Firma selbst sieht die Zahlung der Strafe überhaupt nicht als ein Schuldeingeständnis.
Wie bitte? Die bezahlen einfach so für nichts und wieder nichts?Die haben wohl zuviel Geld? Ja, bei 27,5 Milliarden kann man davon ausgehen…
Neuigkeiten von der evidenzbasierten Gaunerei der schulmedizinischen Hochstapler
Wenn man sich einmal die Anklageschrift der amerikanischen Staatsanwaltschaft anschaut, dann müsste eigentlich auch dem letzten treu gläubigen Anhänger der allein selig machenden Mutter Schulmedizin ein Lämpchen aufgehen (Quelle: http://www.justice.gov/opa/documents/gsk/gsk-criminal-info.pdf). Dort, wo die Protagonisten der Schulmedizin und Gegner der alternativen Medizin lauthals letztere an den Pranger der Unglaubwürdigkeit und Scharlatanerie stellen, werden sie jetzt von der amerikanischen Justiz dessen überführt, was sie ihren Gegnern immer unterstellen. In der Psychologie würde man so etwas „Projektion“ nennen. Dabei werden die eigenen Fehler anderen in die Schuhe geschoben, um von sich abzulenken.
So auch im eingangs erwähnten Fall von Glaxo: Die Anklageschrift argumentiert, dass Paxil nur für die Behandlung von Erwachsenen von der FDA zugelassen worden war. Aber dennoch manipulierte Glaxo Studiendaten mit Kindern so, dass unter dem Strich eine überzeugende antidepressive Wirkung auch bei Kindern und Jugendlichen heraus kam. Ein Angestellter von Glaxo schlug sogar vor, die Nebenwirkungsliste dahingehend zu frisieren, dass Verschlimmerungen von Depressionen und Auftauchen von feindseligem Verhalten bei 11 Kindern in der fraglichen Studie einfach entfernt wurden. Sein Vorschlag: Anstelle dessen könnte man ja die Nebenwirkung „Kopfschmerz“ einsetzen und schon wäre die evidenzbasierte Basis der Arbeit gesichert. Unter dem Strich wurde also der negative Befund der Studie in einen Erfolg umfrisiert. Sie werden es nicht glauben, aber diese Arbeit ist wirklich veröffentlicht worden, und zwar 2001 im Journal of American Academy of Child und Adolescent Psychiatry. Und diese einzige, dazu noch evidenzbasiert verfälschte Studie diente Glaxo als Grundlage für die Befürwortung der Indikationserweiterung.
Wellbutrin ist ein anderes Antidepressivum der Firma. Seine Indikation wurde, laut Anklageschrift, auf die Indikationen „Gewichtsreduktion“ und „Störungen der Sexualfunktion“ erweitert. Hierfür wurde eine Marketingfirma angeheuert, die ordentlich viel Lärm um die Abnehmqualitäten des Produkts machten (in den USA ist öffentliche Werbung für Medikamente seit ca. 15 Jahren erlaubt, siehe mein Artikel “Pillen fürs Leben“). Damit nicht genug. Die Marktschreier behaupteten auch noch, dass der zufriedenen Kunde mit der Einnahme des Medikaments zur erhöhten sexuellen Leistungsbereitschaft in der Lage ist. Auch für diese Mission sind natürlich Leckerlis an die Ärzte verteilt worden, wie Urlaub in Hawaii, bezahlte Redneraufträge, Einladungen nach Europa zur Fasanenjagd, Tickets für ein Madonna Konzert. Heilige Mutter…
Mein persönliches Negativ-Highlight: Avandia. Dieses Präparat gegen zu hohe Blutzuckerwerte ist ja jetzt evidenzbasiert vom Markt gefegt worden (eine Zusammenfassung der Geschehnisse finden sie in meinem Artikel: “Avandia – ein evidenzbasiertes Desaster“). Und dies geschah nicht deshalb, weil es zu vielen Patienten nach der Einnahme zu gut ging. Hier wurde Glaxo für schuldig befunden, Todesfälle und Nebenwirkungen, die möglicherweise bzw. tatsächlich auf das Präparat zurückzuführen waren, nicht der FDA gemeldet zu haben. Dies ist eine gesetzliche Auflage in den USA für neu zugelassene Medikamente.
Es ist bemerkenswert, dass die Anklageschrift einen für diese Verhältnisse enorm langen Zeitraum von 6 Jahren (2001 bis 2007) angibt. Das heißt, dass Glaxo sich 6 lange Jahre mit einem Medikament die Nase goldig verdient hat, an dem letztendlich bis zu 50.000 oder auch mehr Menschen gestorben sind. Auch hier wusste die Firma, dass bei Entdeckung die Strafe in keinem Verhältnis zum Gewinn stand. Dies war das Todesurteil für all diese Menschen, die sich vertrauensvoll und Rat suchend an ihren Arzt gewandt hatten. Hätten sie es mal besser nicht getan. Aber was ist das gegen einen jährlichen Umsatz von ca. 3 Milliarden Dollar?
… und es kann noch schlimmer kommen
Evidenzbasiert werden Patienten über den Tisch gezogen, einige sogar, bis dass sie dabei ihr Leben lassen müssen. Firmen wie Glaxo produzieren sogar Medikamente, bei denen sie von Gesetzes wegen von jeder Haftung ausgeschlossen sind: Impfseren. Da kann man sich an den Fingern abzählen, was da auf einen zukommen kann, wenn die Auflagen für die „normalen“ Medikamente noch nicht einmal eingehalten werden.
Hier haben die Serenhersteller einen Freifahrtschein, bringen ohne ihre evidenzbasierten Studien Seren auf den Markt und machen die Wirksamkeits- und Verträglichkeitsstudien vor Ort am Patienten, die dafür auch noch bezahlen müssen. Sollten Sie das Pech haben, ordentlich viele Nebenwirkungen zu haben oder sogar daran zugrunde zu gehen, dann haben Sie halt Pech gehabt. Die Firma ist aus dem Schneider. So kann sie weiter machen wie bisher. Nur mit dem signifikanten Unterschied, dass sie beim nächsten Mal keine 3 Milliarden zu berappen braucht. Denn jetzt sind sie ja immun.